Autor Thema: 2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo  (Gelesen 2621 mal)

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« am: 18.04.2010, 00:00:00 »
Datum: 2010-04-18
Event: Vienna City Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: dodo

Offline dodo

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #1 am: 18.04.2010, 00:00:00 »
Beim ersten Marathon kommt es erstens anders… oder „Wir sehen uns im Prater. Von dort bringe ich dich ins Ziel.“

Nachdem ich mich nun ziemlich lange nur als Konsument im Forum aufgehalten habe, möchte ich mit meinem ersten Bericht auch etwas beitragen. Das Forum kenne ich über meinen langjährigen Tischtennis-Freund Ulrich (inzwischen habe ich noch herausgefunden, dass Manfred mit mir in einem Projekt gearbeitet hat und Wi(e)nfried ein Schulkollege von mir war). Auf seinen und eigenen Wunsch hin schreibe ich also diese Zeilen.

Zuerst eine kurze Vorstellung: mein Name ist Thomas vulgo dodo, bin 34 Jahre alt und wiege knapp 85kg bei 1.86m. Also keine typische Läuferfigur. Überhaupt bin ich erst vor 2 Jahren nur um abzunehmen ins Laufen eingestiegen. Als Ulrich im Jahr 1995(?) seinen ersten Marathon in der Tischtennisrunde verkündet hat und auch meine Mutter ihren einzigen im Jahr 2000 „durchgemacht“ hat – gab es genau kein Interesse von meiner Seite *schäm*. Zu meiner Schande muss ich auch noch gestehen, dass ich Laufen an sich bis heute differenziert gegenüberstehe, aber meine masochistische Ader und das Bedürfnis nach Fitness zwingen mich immer wieder auf die Hauptallee oder aufs Laufband.

Weil sich Training ohne Wettkämpfe nicht auszahlt, hat mir Ulrich für den Wachau HM 2008 einen provisorischen Trainingsplan erstellt. Mit Erfolg: die halbe Distanz konnte ich unter den angepeilten 1:45h absolvieren. Leider plagen mich seit damals auch Kniebeschwerden, die phasenweise wiederkehren und Laufen teilweise unmöglich machen. Daher auch nur kleinere WK seither – 2x Sie&Er-Lauf und 1xBusiness Run.

Schon letztes Jahr wollte ich die Stimmung auf dem VCM miterleben und aus Bequemlichkeit die volle Distanz laufen – zur Erklärung: wo ich keine Zeit stehen habe, muss ich auch nix unterbieten ;-). Einen Testlauf musste ich aus oben genannten Gründen nach 13km beenden. Also heuer ein zweiter Anlauf. Mit Herbst habe ich ein langsames Aufbautraining gestartet und schmerzfrei auf 1 wöchentlichen LJ im Prater mit 20-25km gesteigert. Dazu noch 1-2 kürzere und schnellere Einheiten auf dem Laufband im Fitnesscenter. Darunter auch ein erfolgreicher Testlauf über 31km. Leider dann der verletzungsbedingte Rückschlag 2 Monate vor dem VCM. Es heisst also wieder leiser treten, aber ich melde mich dennoch an. Folgende Ziele setze ich mir (in dieser Reihenfolge):
  1. Durchkommen
  2. Maximaler Schnitt von 6:00 – also 4:12h in Summe
  3. Sub4h

Nach einer Laufanalyse beim bständig und neuen Schuhen fühle ich mich zumindest mental gut vorbereitet. Dazu versuche ich, das mangelnde Training mit viel Internet-Recherche wettzumachen und kaufe mir erstmals so tolle Dinge wie Powergels und Gel Chips. Ulrich beantwortet mir geduldig jede Frage und versucht mich vor diversen Anfängerfehlern zu bewahren.

Heute ist es dann soweit: treffe mich mit meiner Laufpartnerin Conny und ihren Freunden von der Sportordination im Holmes Place. Sind aber alle mind. eine Klasse zu schnell für mich. Daher möchte ich gemeinsam mit meinem Bekannten Martin laufen, der "ebenfalls" sub4h angepeilt. Zufällig sehen wir zwei gute Freunde von mir, Alex und Jana – sie versuchen sich beide an ihrem zweiten HM. Auf meinem Handy eine SMS mit dem Text „Guten Morgen! Heute ist der Tag der Tage. Wir sehen uns im Prater. Von dort bringe ich dich ins Ziel. Ulrich“ Irgendwie gibt mir das Zuversicht, wenn man in der schwierigsten Phase auf kompetente Unterstützung bauen kann. Ehrlicherweise glaube ich zu diesem Zeitpunkt noch, dass ich es auch ohne Hilfe problemlos bewältigen kann.

Dann geht’s los, die Anfangsnervosität legt sich rasch. Am Ende vom gelben Block ist schnelles Laufen sowieso nicht möglich. Alex zieht nach 1-2km davon, Martin verlieren wir auf der Hauptalle. Nun halte ich mich an Jana, die für ihren HM sub2h anpeilt – also etwa mein Tempo. Wir gehen es gemütlich an (5:40 – 5:50) und versuchen ab KM11 die verlorene Zeit aufzuholen. Das gelingt uns mit Zeiten um 5:30 bis Ende der Wienzeile, aber dann gibt Jana ihre Zielzeit für den HM auf. Mir kommt das gelegen, denn so wirklich fit fühle ich mich heute eh nicht. Kurz nach Schönbrunn warten bereits Maria und die Kids sowie meine Schwester mit ihrer Familie auf mich. Schnell Wasser und die beiden Gel-Tuben ausgefasst und weiter geht’s. Ein Gel konsumiere ich gleich, das andere bei KM20. Wir können auch auf der Mariahilferstraße bergab nicht richtig zulegen und so komme ich in 2:03:03 beim HM durch. Von Beginn an achte ich aber nicht auf die Gesamtzeit, sondern kontrolliere nur immer wieder die aktuelle km-Pace zwecks Orientierung. Just beim HM stellen sich die ersten Krämpfe in den Unterschenkeln ein. Ein Schock für mich, denn ich hatte noch nie Krämpfe beim Laufen und befürchte eine Aufgabe. Ich versuche, ein bisschen Gas zu geben damit die Beine sich beruhigen. Das scheint zu helfen. Nun habe ich meine schnellste Phase im Rennen und klatsche immer wieder mit Kindern am Straßenrand ab. Beim Schottentor steht erstmals Ulrich. In einem kurzen Statusbericht scheinen ihn die beginnenden Krämpfe nicht zu interessieren – beruhigt auch irgendwie ;-). Jetzt melden sich allerdings vor allem die Oberschenkel, die phasenweise ebenfalls glauben, sich gegen das Laufen wehren zu müssen.

Mental der schlimmste Streckenabschnitt ist für mich KM26/36 wo mir bewusst wird, dass die Entgegenkommenden bereits 10km mehr zurückgelegt haben. Überholt zu werden, stellt für mich hingegen kein Problem dar. Maria und die Kids warten kurz danach und versorgen mich mit den Gel Chips (optisch und geschmacklich vergleichbar mit Marshmallows). Etwa ab KM 27 sind die Krämpfe konstant in den OS und das Laufen wird immer schwieriger. Ich beiße, denn Stehenbleiben oder Gehen macht es nicht leichter und entspricht auch nicht meinem Naturell. Rückblickend wäre pausieren und dehnen vielleicht besser gewesen…? Der Weg in den Prater ist schon gequält – bei KM31 wartet aber meine Mutter und reicht mir Wasser mit Redbull. Beim Lusthaus die erwartete Unterstützung durch Ulrich. Er begleitet mich bis ins Ziel und versucht unaufhörlich mich von meinen Qualen abzulenken und in seiner unnachahmlichen Art, gute Stimmung zu verbreiten. Mit jedem km wird die Verkrampfung stärker und das ganze kommt schon einer Folter gleich. Ich versuche mein Befinden in Worte zu fassen „Alles Unterhalb der Gürtellinie ist Beton“, worauf Ulrich nur meint, dass er nicht so genau wissen möchte was in meiner Hose passiert ;-). Damals bei meinem HM in der Wachau musste ich auch auf den letzten 4 km meinem Restalkohol Tribut zollen, aber hier ist es doch noch deutlich weiter bis ins Ziel. Auf der ersten Hälfte habe ich km-Tafeln kaum  wahrgenommen, aber nun wird jeder Fortschritt sehnsüchtig erwartet. Ulrich versucht mir wenig erfolgreich einzureden, dass es noch langsamere Läufer rund um mich gibt… in einem dieser Momente erscheint der Besenwagen auf der Gegenspur. Schon wieder so eine Ernüchterung – die Schüttelstraße und ich werden wohl nie Freunde werden. Etwa zu diesem Zeitpunkt sieht mich eine deutsche Zuschauerin mitleidig an und ruft „Noch eine halbe Stunde und dann ist die Sch.. vorbei“. Das kostet sogar mich ein Lächeln. Immer wieder versuche ich auch ein wenig schneller zu werden, denn die Luft dafür wäre da. Aber der Bewegungsapparat lässt es einfach nicht zu. Das ist so wie mit zusammengebundenen Beinen laufen… nur dass es auch noch wehtut dabei. Regelmäßig werfe ich einen Blick auf die Uhr, um zu sehen ob ich schon gehe oder noch laufe. Der Schnitt befindet sich schon jenseits der 6:00. „Rein technisch läufst du“ merkt mein Begleiter an. Endlich biegen wir auf den Ring ein und Ulrich versucht die Zuschauer zu pushen. Abschnittsweise wirkt die Stimmung tatsächlich wie auf einem Begräbnis. Die meisten lassen sich aber von seinen Gesten motivieren und so bekomme ich doch noch einen unvergesslichen Zieleinlauf. Einen Sprint oder ähnliches gab es leider vorher nur in meinen Träumen. Die offizielle Uhr zeigt 04:12:xx und grosser Frust stellt sich ein - nicht einmal Ziel#2 konnte ich also erreichen. Dann ein Blick auf meine Uhr und zum Glück sind es netto 4:06:40 - jaja, Anfängerfehler.

An dieser Stelle jedenfalls ein riesiges Dankeschön an Ulrich für seine tolle Hilfe… auch wenn ich weiß, dass er es gerne gemacht hat ;-) Und natürlich an meine Familie, die mich entlang der Strecke die ganze Zeit betreut hat.

Im Ziel angekommen löse ich meine Bandagen und schon melden sich erstmals die Knie. So humple ich langsam Richtung U-Bahn. Daheim wartet schon die erweiterte Familie mit einem Eis, aber so richtig Appetit will sich nicht einstellen. Die warme Dusche spürt sich dann so angenehm an, dass ich abends noch ausgiebig bei Dampfbad und Sauna regeneriere. Dort treffe ich einen anderen Marathon-Rookie und wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Die Knie danken es mir, die starken Schmerzen sind fast verschwunden. Was ich ihnen noch zumuten kann, wird die Zukunft weisen.

Am Ende des Tages bin ich sehr stolz auf die letzten 15 km, denn das war Überwindung pur. Bin 4kg ärmer und 42.8km (lt. SportTracks) Erfahrung reicher. Die Zeit ist ok, aber durch die Umstände konnte ich einfach nicht mehr aus mir rausholen. Immerhin 2 von 3 Zielen erreicht. SportTracks zeigt mir, dass ich ab KM11 einen praktisch konstanten Puls von 165 hatte. Also mMn noch genug Spielraum nach oben. Nun bleibt die Frage, warum gerade heute erstmals Krämpfe aufgetreten sind. Meine Theorie/Ausrede ist, dass ich beim Schlafen im Kinderzimmer in den Tagen davor eine zusammengekauerte Stellung eingenommen habe (bin auch mit zwei Mini-Krämpfen in der Früh aufgewacht). Aber vll habe ich auch in der Ernährung etwas falsch gemacht…? Magnesium-Tabletten waren bei mir jedenfalls fixer Bestandteil. Also wenn jemand Tipps hat, gerne.

Offline pipel

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #2 am: 19.04.2010, 11:05:09 »
Gratuliere zum gelungenen Debut und zum Durchhaltevermögen!
Stop the world — I wanna get on!
(Leo Bloom in "The Producers")

Offline Laufhäschen

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #3 am: 19.04.2010, 11:12:39 »
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem 1. und hoffentlich nicht Letzten Marathon.
Dankeschön für Deinen Bericht. Ich habe beim lesen mitgelitten und auch mitgefreut als Du über die Ziellinie bist.

Offline Tschitschi

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #4 am: 19.04.2010, 11:54:26 »
willkommen im Klub!
"man muss wissen bis wohin man zu weit gehen kann" jean Cocteau

Offline heitzko

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #5 am: 19.04.2010, 12:21:36 »
ich gratuliere ebenfalls herzlich! du hast einen super ersten marathon hingelegt. von der zeit können andere nur träumen und dann noch mit dem krämpfen... bravo!!! es freut mich, dass mein lieber ehemann ein wenig helfen konnte - auch wenn ihn nicht interessiert hat was unter der grütellinie so abläuft :D! freue mich schon auf den nächsten marathon bericht :)!

Offline Ulrich

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #6 am: 19.04.2010, 12:23:13 »
Vom Tischtennis-thomas mit dem eiskalten Händchen zum Marathomas. Ich habe es wirklich sehr genossen, dich zu begleiten, viel besser kann man seinen ersten Marathon nicht rennen. Gratuliere und Danke, dass ich teilhaben durfte

Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline wi(e)nfried

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #7 am: 19.04.2010, 13:11:36 »
Glückwunsch zur tollen Leistung, 15 km mit Betonbeinen laufen und trotzdem das Zeitziel noch schaffen! Ich frage mich nur, wann du dir die 85 kg raufgefressen hast, in der Schule warst du doch noch schlank - naja, ist jetzt schon ein paar Jahre her. ;-)
“During the hard training phase, never be afraid to take a day off.
If your legs are feeling unduly stiff and sore, rest; if you are at all sluggish, rest;
in fact, if in doubt, rest.”
- Bruce Fordyce

Offline dodo

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #8 am: 19.04.2010, 13:29:52 »
danke fuer die netten reaktionen!
@winfried: jaja, damals warst auch du noch der unsportliche und sieh dich jetzt an ;-) aber du wirst lachen, ich hatte schon 99kg und fuehle mich derzeit richtig schlank.

Offline StefanM

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #9 am: 19.04.2010, 13:58:38 »
Vieles erinnert mich an meinen ersten Marathon, schön, dass ich das nochmal nachlesen konnte. Nur schneller wart du.
Weiter so!

Offline Wienerwaldläufer

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #10 am: 19.04.2010, 16:39:56 »
Gratulation zum Durchhalten - starke Leistung
its always good at the end. If its not good, its not the end

Offline Richy

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #11 am: 19.04.2010, 18:16:20 »
Willkommen im Club.

Offline JM

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #12 am: 19.04.2010, 19:58:31 »
dein Bericht kommt mir seltsam bekannt vor. Ich bin so groß wie du, war letztes Jahr sogar schwerer als du . 86 kg auf 1,85 und mein erster Marathon war genau so leidvoll -> 5 Stunden !
Aber man kann es schaffen wenn man will, wie du nun sogar recht eindrucksvoll bewiesen hast. Warte noch 2 Tage und du wirst die Qualen vergssen haben und dich auf den nächsten Marathon freuen ;) Schade dass wir uns nicht beim run15-Lauf  kennen gelernt haben. Aber das machen wir dann ein ander mal...
ach ja: Gratulation !
When your life flashes before your eyes, make sure you’ve got plenty to watch

Offline MT76

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #13 am: 19.04.2010, 21:28:00 »
Wie heisst es so schön: der Schmerz geht, der Stolz bleibt - herzlichen Glückwunsch!
“If u can't fly then run, if u can't run then walk, if u can't walk then crawl, but whatever u do u have to keep moving forward.” - Martin Luther King Jr.Blog: http://martin24h.blogspot.com
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Offline johnlennon

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2010-04-18 Vienna City Marathon - dodo
« Antwort #14 am: 20.04.2010, 23:17:24 »
herzliche glückwünsche, toller bericht, tolle leistung!

 

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