Autor Thema: 2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy  (Gelesen 1364 mal)

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« am: 18.04.2011, 00:00:00 »
Datum: 2011-04-18
Event: 115th Boston Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: Richy

Offline Richy

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #1 am: 18.04.2011, 00:00:00 »
Medical Aid

An sich entsteht dieser Bericht ein Jahr zu spät. Eigentlich war ja 2010 Boston geplant und gebucht.
Bedingt durch den Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull konnten viele Europäer, darunter auch ich, nicht zum Boston Marathon 2010 anreisen. Finanziell hielt sich der Schaden in Grenzen, die Flugkosten bekam ich rückerstattet, das Hotel konnte ich noch am gleichen Tag kostenlos stornieren. Und gelaufen bin ich dann 2010 den fast zeitgleich stattfindenden VCM  zum nicht wohlfeilen Nachmeldetarif. Die Kosten für den Boston Marathon bekam ich nicht zurück, aber es gab eine Zusicherung, wenn ich will, kann ich 2011 in Boston laufen und die Qualifikationszeit gilt 1 Jahr länger.
 
Noch bevor die Internet-Anmeldung Boston 2011 öffnete bekam ich am 6. Oktober per Brief ein Anmeldeformular zugeschickt, welches ausschließlich per Post (Fax, Mail war nicht gestattet !!!) bis zum 22. Oktober retourniert werden musste. Was am Postweg schon ein wenig knapp war ... Eine Doppelanmeldung auch übers online – System war nicht zulässig.
Ansonsten gibt es für Leute, die nicht die Qualifikationskriterien erfüllen nur die Varianten über charity und Reisebüro.

Da ich zwei Tage später sowieso zum Chicago Marathon aufbrach, kam das Formular zu den restlichen Reiseunterlagen und sollte geplanter weise dann nach dem Chicago Marathon als Inlandsbrief verschickt werden. In der Hitzeschlacht von Chicago verlor ich dann nicht nur die Chance auf eine gute Zeit sondern auch den Bock auf Marathonlaufen generell. In den folgenden zwei Tagen besichtigte ich Chicago, aber das Formular blieb jungfräulich. Am Flughafen, das Gepäck schon abgegeben, noch eine Stunde bis zum Abflug kam der Sinneswandel. Ich gebe mir den Wahnsinn Marathon weiterhin. Das Formular aus dem Handgepäck gekramt, ausgefüllt und – ähm – ja – wo kriege ich nun eine Marke her und wo gibt man einen Brief am Flughafen auf. Ich finde ein Papiergeschäft, und auf mein Begehr ernte ich nur „No stamps on the airport“. Ich erkläre der Dame die Situation, der Brief muss bis 22. Oktober nach Boston und ich lege einen Dollarschein, den Brief mit dem Formular und meine zukünftige Marathonlaufbahn in Monas Hände. Sie gibt mir noch ihre Handynummer und meint, sie wird den Brief dann ich Chicago aufgeben. Aber ich möge sie noch am Handy anrufen, damit sie nicht vergisst.

Nachdem ich gefühlte 10 mal Monas Stimme auf der Mailbox hörte, gab ich auf. Ich werde es sowieso bald merken, wenn man die Teilnehmer auf der Homepage abrufen kann.

Am 20.10. postet Carola dann hier im Forum, dass der Boston Marathon Stunden nach Öffnung der Onlineanmeldung ausverkauft ist. Exakt war die Anmeldung 9 Stunden offen, dann war Schluss mit lustig. Und auch meine Stimmung verdüsterte sich, ich schien unter den Zugelassenen nicht auf. Fast täglich checkte ich das nun, aber kein Richy für Boston 2011 zu finden :(
Am 5.11. kam dann die Bestätigung des Startplatzes, auf die Frauen, und auf Mona im speziellen ist doch Verlass. ;)
Einzig blöd an der verspäteten Bekanntgabe war, dass die besten Flüge nun schon weg waren, aber mittels BA gab es ein noch erträgliches Angebot via London nach Boston.
2012 gelten dann auch letztmals die „weichen“ Qualirichtlinien, dass Leute bis 35 laufen dürfen, wenn sie im letzten Jahr sub2:50 liefen. 2013 gibt für die dann sub2:45. Für mein Alter (45-) gilt dann sub3:05, bisher sub 3:10.

Frühjahrsmarathons sind ja generell nicht mein Ding. Einerseits weil 3 Wochen Schi fahren kein vernünftiges Training zulassen, andererseits nur echte freaks bei stockfinsterer Nacht und –6 Grad und vereister Piste einen LongJog starten. Da bin ich auch schon drüber hinweg.  Es gibt meiner Ansicht nach eigentlich nur zwei vernünftige Marathontermine aus der Trainingssicht heraus, Später Mai mit Wetterglück am Veranstaltungstag (Training eisfrei von März bis Mai) oder ein Novembermarathontermin (Training September bis November). Alles andere ist für Menschen die neben dem Laufen noch ein zweites Leben führen schon mehr als kasteien. Wobei Marathonveranstalter unbedingt glauben, ihre Marathons nun schon Mitte April machen zu müssen oder sinnvolle Termine canceln und auf Termine ausweichen, wo alle anderen auch gebündelt sind oder wo es eben trainingstechnisch keinen Sinn macht. Meine beiden Lieblingsmarathons bilden da keine Ausnahme, Bremerhaven verschob man heuer vom günstigen Endjunitermin nachts auf Ende August bei Tag !!!! Juli / August macht man Urlaub und nicht Kilometerfressen als Marathonvorbereitung. Mailand, mein zweiter Lieblingsmarathon verschob sich von Anfang Dezember nun auf 10. April, wo 50 andere Marathons auch sind. Gut man muss ja nicht, und ich werde auch nicht.

Zurück zum Thema Boston und der Vorbereitung.
Kurz war der Wille ja da, mich vernünftig vorzubereiten. Aber ein Schiunfall – eine Erkältung und ein Darmvirus in meiner 8 wöchigen Vorbereitungszeit haben klare Signale gegeben, dass ganze ein wenig anders anzugehen. Auch hatte ich mehr Freude an Crossläufen als an irgendwelchen Halbmarathons im Prater – und der einzige Halbe in Mistelbach ist mit den Wiener Läufen von der Zeit sowieso nicht vergleichbar. Aber ich konnte in diesen 8 Wochen doch einige (!!!) lange Trainingsläufe unterbringen – die eigentlich notwendige Endbeschleunigung verhindert der Westwind entlang der Donau, den ich bei meiner LJ - Strecke ab km17 bis 34 genießen darf. Und noch eine Erschwernis kam hinzu – der Ausbau der U2. Wenn ich bei km27 dort vorbeiröchle, vernehme ich immer deren Rufe „Nimm mich – nimm mich“. Und „die“ U-Bahn kann man ja nicht immer im Regen stehen lassen. Die letzten 4 Wochen liefen dann aber friktionsfrei.
 
So wirklich ein Ziel gab es nun für Boston nicht – meiner Einschätzung nach sollte sub 3:15 möglich sein, sub 3:10 nur bei optimalen Verhältnissen. Nachdem das Streckenprofil von Boston wie mein Marathonlaufen ist, war das in der Überlegung ein 1. HM in 1:31 und für die zweite Hälfte ca. eine 1:40. Aber Marathon hat immer eine grobe Unbekannte, und wenn es nicht läuft, dann sind 30 Minuten auch gleich weg.

Boston ist ja eine point-to-point Strecke, kein Rundkurs. Gestartet wird in Hopkinton auf einer Höhe von 475 feet (= 144,8 Meter), das Ziel ist Boston mit 16 feet (=4,88 Meter). Dass heißt der Kurs weist ein Gefälle von fast 140 Metern auf die 42,195 Kilometer oder 26,2 Meilen auf. Bei Kilometer 6 ist man schon bei nur mehr 170 feet Höhe, hat also über 90 Höhenmeter für meinen Geschmack zu abrupt hergeschenkt. Darum schaut auch der Beginn bei den Läufern mit eingeschränkten Verkehr vor den Füssen recht schnell aus. Ab dann geht es ziemlich wellig dahin. Dann ab Meile 16 gibt es 4 giftige Anstiege – der letzte ist als Heartbreak recht bekannt. Diese Anstiege sind schon heftiger, als der VCM zu bieten hat. An sich ist Boston eben wegen dieses extrem welligen Profils trotz des Gefälles nicht besonders schnell und auch nicht weltrekordtauglich. Und Vergleichswerte gibt es genug, dieses Jahr gab es die 115 Auflage des Boston Marathons. Öfters als jeden andere Marathon gab es diesen, vergleichsweise ist New York heuer bei 42 und Wien bei 28.  Boston ist DER Marathon, und einer der BigFive – der World Marathon Majors.

In Boston am Samstag abend angekommen fällt sofort der stürmische Wind auf. Mühsam, wenn man um einen Block geht, der pfeift gewaltig. Und der Wind bleibt bis Montag, also auch beim Marathon. Allerdings kommt der Wind genau aus der Richtung, wo der Marathonstart liegt. Wenn es stimmt, dann gibt es Rückenwind.
Leichter Regen und Sturm lassen mich den ersten Abend mal ruhig angehen.
Irgendwie ist alles sehr sauber, sehr schön, sehr nett und sehr alt.
Die Green line ist angeblich die älteste U-Bahn der USA – noch vor Chicago. Mit Verlaub, nun gibt es 3 richtige U-Bahnen in Boston und die green Line ist eine unterirdische Straßenbahn die unter mords Gekrächtze sich unter dem Stadtzentrum schlängelt. Cool, die Leute queren auch gehend die Schienen. Aber alles easy, alles cheasy wie die dümmsten der dummen Politikersprosse(innen) zu sagen pflegen.

Sonntag in der Früh ab 6 Uhr (12 MEZ) Beobachtung vieler Freunde und Bekannter beim VCM via schleppendem Linz Server. Ich leide nicht nur wegen des Systems sondern mit dem einen oder anderen mit, und freue mich über Bestzeiten. Dann Aufbruch zur Marathonmesse. Ist eh schon der 3. und letzte Tag, da wird hoffentlich nicht mehr so viel los sein. Beim hingehen zur Messe bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich einen Tag verschlafen habe, überall Läufer, welche auch mit Startnummern durch die Gegend hopsen. Wahrscheinlich Frühstückslauf oder so was.  Startnummernausgabe nur gegen Vorweis einer ID und Abholkarte – bestens organisiert. Nummer ist gleichzeitig Chip – das Ding soll man also nicht unbedingt knicken.
Adidas – der offizielle Ausstatter hat großen Stand – und nachdem ich Einkaufsliste mit habe, gebe ich mir den Einkaufsmarathon. 45 Minuten später bin ich abgekämpft und flüchte – der riesigen Messe schenke ich keine weitere Bedeutung – zu dicht ist es hier.
 
Tagwache 5:00 am Tag X
Eine schier nicht enden wollende Kolonne von gelben Schulbussen bringt einem am Montag von Boston ins 42 Kilometer entfernte Hopktinton. Da ich in wave 1, corral 3 von insgesamt 9 starte, sollte ich mich zwischen 6:00 und 6:30 bei einem Bus für den Transport zum Start einfinden. Was ich auch mache – da mir hier ja Erfahrungswerte für Negieren aller Regeln fehlen. Eine Stunde später mit dem letzten geplanten Bus wäre immer noch zu früh gewesen. Und wieder die mustergültige Organisation mit den Schlangen und den Buskonvois. Mein Sitznachbar im Bus misst gut 1,9 Meter und wir unterhalten uns über die minimalistischen Sitzabstände im Bus – für Kinder eben. Und kommen drauf, dass wir uns durchaus auch auf Deutsch unterhalten können. Robert ist Sportjournalist aus Berlin, ähnlich alt  und hat eine ähnliche Zielzeit wie ich im Visier. Er startet auch in der ersten von drei waves – allerdings weiter hinten, erst im corral 8. Gut – zusammen weglaufen können wir nicht – aber eventuell sehen wir uns in Zielnähe ja. Robert will 1:36 den ersten HM anlaufen – die zweite Hälfte geringfügig schneller. Hüftbedingt kommt bei mir ein Negativsplitt ja nicht in Frage. Wie ich dann in der Ergebnisliste sah hat er das wie eine Maschine umgesetzt.
Die Fahrt raus führt auf mautpflichtigen Autobahnen und Strassen – die Busse geben ziemlich Stoff. Und doch sind wir eine Weile unterwegs. Das alles zurück – laufend? Was tun wir uns an???
In den Wäldern steht oft Wasser, ob das von starken Regenfällen kommt oder ob es hier einfach sumpfig ist?
Am Startgelände angekommen wird uns bewusst – das wir hier nun stundenlang ausharren müssen. Es ist praktisch wie in New York. Die endlose Warterei. Es gibt riesige Zelte ohne Seitenwände, das Gras ist nass. Man bekommt Frühstück, und hängt herum. Bei der Suche nach einem Lagerplatz schöpfe ich mir den Laufschuh. Na das beginnt ja bestens. Der Wind pfeift derartig, das mir ein mehr als 2 stündiges Verweilen auf unserem gewählten Lagerplatz nicht angebracht erscheint. Robert passt auf mein Zeug auf – und ich mache mich auf die Suche nach dem optimalen Lagerplatz. Würde ja gerne in die Schule rein, aber die ist natürlich abgesperrt. Aber ich finde einen Platz am riesigen Areal, der windgeschützt und trocken ist – und wo die Sonne einem ins Gesicht scheint. Ich hole Robert und das Zeugs und wir machen es uns gemütlich und sind glücklich, wie gut wir es auf dem trockenen Beton mit der Backsteinmauer im Kreuz doch haben. :D
Um 9:25 geht es dann los, vor den Bussen zur Kleiderabgabe trennen sich unsere Wege. Die Zugänge zu den Startbereichen werden streng kontrolliert, so ein Gewurrle wie in Wien ist dort nicht möglich. Je Corral sind ca. 1000 Leute – darum mühe ich mich auch nicht – weiter nach vorne innerhalb des Corrals zu kommen. Ich setze mich auf den Asphalt und erst bei der Hymne die ca. 5 Minuten vorm Start ertönt stehe ich auf und trenne mich von Schihose und Hemd :D
Was bei einem Marathon so für Klamotten anfallen, gegenüber anderen sah ich ja fast noch ordentlich aus.

Start – wie immer der Blick bei überschreiten der Startlinie wie hoch die Brutto – Netto Differenz ist. 59 Sekunden oder 1 Minute – hervorragend – da brauche ich bei den offiziellen Uhren bei jeder Meile und alle 5K nicht kompliziert rechnen. Es geht bergab – die Straße ist nicht wirklich breit – überholen nicht leicht möglich. Eh egal – alle die da um mich stehen bzw. nun laufen sind im letzten Jahr irgendwo um die 3:05 gelaufen, die sollten, wenn sie in der Zwischenzeit nicht in Laufpension gegangen sind, in etwa mein gewünschtes Tempo laufen. 4:14 am ersten Kilometer ist für bergab nicht mal so flockig – aber es zieht merklich an. Es läuft. Und ab km 2 läuft der erste Schweißtropfen – ah – keine AirCondition – der Wind kommt von hinten.
Was mich schon ein wenig beunruhigt, ich habe auf meiner Uhr autolap mit 1km eingestellt, und die Kilometer sind auf meiner Uhr deutlich schneller erreicht, als das die doch vorhandenen einzelnen Kilometerschilder besagen. Das ändert sich dann auch nicht mehr, und ich bin auf meiner Uhr 42,6 Kilometer gelaufen. Soviel zum Thema Distanzgenauigkeit von GPS Uhren. Allerdings sind nun Kilometerzeiten um die 4 Minuten im lockeren Schlapfschritt möglich – würde fast sagen motivierend. Die ersten 5K in 20:55, das ist schon deutlich schneller als ich mir vorgenommen habe.

Das ändert sich schlagartig ab Meile4 (km6,4) – wo sich das erste mal der Berg aufstellt. Ist nicht schlimm, aber damit man sich mal darauf einstellen kann, dass es hier nicht immer nur bergab geht.
Ich hänge mich an zwei Männer mit grünem Dress, die augenscheinlich zusammengehören. Sie sind mir zwar eine Nuance zu schnell, aber weil es gerade so schön läuft bleib ich dran. Die beiden sind nun am überholen, bergauf kann ich Ihr Tempo kaum halten, wenn es wieder bergab geht schließe ich auf. Mal dranbleiben. Wir sind vorhin durch Ashland gelaufen, da gab es einen Uhrturm zu sehen und auch Zuschauer. Nachdem wir hier ja auf einer Landstraße laufen, kann man das Zuschaueraufkommen mit New York nicht vergleichen.

Meile 5 bis 8 kann man fast als eben bezeichnen – da werde ich – wohl auch wegen dem dranbleiben an meinen beiden grünen Freunden – noch mal deutlich schneller. Bei km10 werde ich nachdenklich – den 10er in 41:40, wie in meinen besten Marathonzeiten. Sicher – der schwere Teil kommt erst. Aber 1 Minute schneller als sub3 – schau ma mal wohin das führt. Bei Meile 8 (km13) geht es kurz bergauf, 4:07 auf den km hinter den beiden Kollegen recht hart gelaufen. Ich beginne erstmals mein Ziel, sub3:15 in Frage zu stellen und werde euphorisch.

Ansatzlos – aus dem Nichts – ein Stich im rechten Oberschenkel. Hinten. Es schmerzt extrem. Ich torkle muss stehen bleiben und rette mich auf den Straßenrand um nicht niedergewalzt zu werden. Der erste Gedanke, jetzt ist irgendetwas gerissen. Ich massiere und drücke – es schmerzt. Mir ist zum heulen, gerade eben schwebte ich auf Wolke 7 – und nun stehe ich am Arsch der Welt und habe keine Ahnung wie es weiter geht.
Muskelfaserriss? Eine Art von Krampf? Ich weiß es nicht. Die Karawane zieht an mir vorbei.
Die weite Anreise – der frieren im Startbereich – soll das alles damit Enden – dass ich Stunden später im Besenwagen nach Boston gekarrt werde?
Ich beginne zu traben – geht doch. Ich ziehe an – der Oberschenkel sagt - Njet.
An sich sollte ja jede Meile eine Erste Hilfe Station sein, wo die beiden bei Meile 9 und 10 waren -  kann ich nicht sagen. Ich habe mich auf die Getränkestation, die jede Meile ist – konzentriert – da war die Station definitiv nicht.
Die km-Zeiten sind so um 30 Sekunden schlechter, plus die Zeit natürlich, die ich stehend verbracht habe.
Die 15K Durchgangszeit sieht wegen der 3 extrem schnellen Kilometer eigentlich recht passabel aus, aber so komme ich nicht bis nach Boston.

Bei Meile 11 (km 17,6) dann endlich die Erste Hilfe Station. Die Boxenstraße ist leer, niemand vor mir, die Sanitäter sprühen und vereisen was geht. Der Doktor/Sanitäter schaut mir kurz in die Augen – wie beim Formel 1 ein Reifenwechsel – extrem gekühlt gehe ich – nachdem meine Nummer protokolliert ist wieder auf die Piste.

Es wird besser. Hoffnung keimt auf, das ich Boston laufend erreiche. Meine Einstellung hat sich um 100% geändert, es gilt durchzukommen, nicht die Zeit ist das Ziel, das Ziel ist das Ziel.
Ich höre zwei, dass nun die beste Meile kommt, und habe keine Ahnung, was die meinen.
Einerseits kommt die Halbmarathondurchgangszeit, die mit 1:30:0x noch sehr gut ist – aber nun kommt ja erst mein Kampf. Was normalerweise die Hüfte besorgt, hat sich diesmal der Oberschenkel umgehängt.
Ich höre ein Gebrüll, Gekreische, das netter und ärger zugleich nicht sein kann.
Es stehen hunderte, wahrscheinlich sogar 1000 brüllende hübsche Mädchen im besten Alter an den Rändern. Alle halten die Hände zum Abklatschen rein. So ganz geschnallt habe ich das ja noch nicht, aber wahrscheinlich ist das Wellesey College eine reine Damenpartie. Ich klatsche die rechte Seite komplett ab – soviel Damenkontakt werde ich mein restliches Leben nicht mehr haben. J Das you looks good – gooooooddd jooooobbbbb gibt mir irgendwie wieder Aufwind.

Die Kilometerzeiten werden kaum schlechter – leider nimmt die Wirkung des Sprays ab und mein Klassiker Hüfte macht sich bemerkbar. Gute Rennen werden in der Box entschieden.
Bei Meile 16 (25,6) kehre ich das zweite mal Erste Hilfe technisch ein. Oberschenkel und Knie werden besprüht, die Fr. Doktor schaut streng. Mir fällt auf die schnelle nicht ein, was Hüfte heißt und ich setze Zeichen. Lasse einfach linksseitig die Hose vor Ihr runter und nach einem „Do it“ kommt wohltuende Linderung nach Besprühung ihrerseits. Nach der Nummernprotokollierung darf ich wieder auf die Piste.
Spätestens hier bin ich mir sicher, wenn ich robbe, ich komme nach Boston. Und ins Ziel.
Ab Meile 16 gibt es nun 4 signifikante Anstiege, wobei mir die ersten eigentlich mehr zu schaffen machen. Bei Meile 21, dem heartbrake bin ich wieder guter Dinge, ich überhole sogar wieder. Einerseits die US-Soldaten, die vor dem Marathonstart auf die Strecke geschickt wurden und die bei kühlem, aber sehr sonnigen Wetter einen 42K Marsch machen dürfen. Unaufhörlich schluckt man so. ca. 20 Mann Truppen. Wenn ich nicht mehr kann, sollen die mich doch tragen :D
Doch ich brauche keinen Träger. Der Splitt 30 – 35 ist bedingt durch die Anstiege der langsamste. Dann kann ich Boston schon riechen  und bald auch die Hochhäuser sehen.

Schon bei meiner Einkehr in den Medical Centers fielen mir die Damen mit den Steckerln auf, die anscheinend schmerzstillende Creme anbieten. Es läuft gerade so gut, dass ich mich für keinen weiteren Einkehrschwung entscheide, sondern Drive-In mäßig mir zwei so Staberln fische und die auf meinen Oberschenkel verteile. Walfett kann nicht so fett sein wie das Zeugs, es versaut meine Hose komplett – aber mir ist es echt so was von egal. Ich kalkuliere, da geht sich unter 3:10 aus, und wenn ich mich besonders beeile, dann sogar noch unter 3:09.
Gut – dann noch ein Rennen im Rennen. Ich war noch nie so frisch bei einem Marathon auf den letzten Kilometern – muss mal sehen, ob ich jemals eine 22:48 von 35 auf 40 hatte. Ich glaubs aus dem Gedächtnis nicht.

Bei ein paar Richtungswechsel spürt man den Wind ordentlich von der Seite, wenn das die ganze Zeit so gewesen wäre, dann hätte das anders angestrengt.
Ich habe sogar die Körner, auf dem letzten Kilometer noch bei einigen zurückzurunden (:D), die an mir im ärgsten Elend vorbei gezogen sind.

Ziel – ich habe es geschafft. Das war mehr eine Hochschaubahn als ein Marathon. Gefühlsmäßig und geländemäßig. Ich habe es geschafft, den 25. Marathon mit Anstand zu Ende gebracht.

Da habt ihr im Forum schon lange diskutiert, was es mit den Rekordzeiten des Siegers und zweiten auf sich hat, habe ich es erst am Weg ins Hotel erfahren, welche Show Mutai hier abgezogen hat.

Ein netter Kollege hat mir am Abend vor dem Marathon noch gepostet, ich solle mich an Mutai halten, weil er ihn bei seinen Kenia Aufenthalten kennengelernt und bei Crossläufen gefilmt hat. Leider hatte ich nicht mehr die Gelegenheit, mir ein Abschleppseil zu kaufen. ;)

Emotional war der Marathon nach dem ersten Bremerhaven Marathon und ersten New York sicher der bewegenste, weil es einmal galt – unter schier nicht möglichen Umständen zu Ende zu bringen – warum ich hauptsächlich hier war.
 


1.   Geoffrey Mutai KEN 2:03:02
2.   Moses Mosop KEN 2:03:06

Offline dogrun

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #2 am: 20.04.2011, 18:36:33 »
SUPA Richy! Wahnsinns Leistung und wie immer ein genialer Richy-Bericht.
DANKE!
„Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine / Kürzt die öde Zeit / Und er schützt uns durch Vereine / Vor der Einsamkeit.“ (Joachim Ringelnatz)

Offline heitzko

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #3 am: 20.04.2011, 18:53:35 »
danke für diesen schönen bericht, die taaaaagelange warterei darauf hat sich ausgezahlt ;). nein, im ernst, du bist eh ein braver marathonberichtschreiber, gooooood job richy, du hast wieder einmal das unmögliche mögliche gemacht - also warst du quasi so gut wie der geoffrey mutai :);)


Offline Tschitschi

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #4 am: 20.04.2011, 19:00:09 »
Danke!
"man muss wissen bis wohin man zu weit gehen kann" jean Cocteau

Offline helga

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #5 am: 20.04.2011, 20:15:39 »
Du bist ein echter Marathon-Heroe Richy! Bravo! Echt super Berichterstattung=)
Danke=)
Der Weg, auf dem Sie Ihre Ziele erreichen, ist genauso individuell, wie Sie selbst. (Klaus Weiland)

Offline JM

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #6 am: 20.04.2011, 20:29:40 »
super gelaufen Richy. Wahnsinnszeit für das was du alles an Boxenstops einlegen musstest. Unter normalen Bedingungen wärst du eins Zeit gelaufen, die ich mich gar nicht traue hier zu schreiben. In Berlin dann !
Und der Bericht ist auch wieder empfehlenswert gut. Falls ich es mal zum Boston Marathon schaffen sollte, werde ich deinen Bericht vorher noch mal lesen .
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Offline KITTY

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #7 am: 20.04.2011, 20:34:43 »
Wieder einmal ein genialer Bericht von dir, lieber Richy. Bei deinen Problemen die du hattest überhaupt es bis nach Boston zu schaffen ringt einem größten Respekt ab. Aber gib es zu die Mäderl vom Wellesey College haben dich angtrieben, gell :D:D
lg
peter

Offline cbendl

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #8 am: 21.04.2011, 06:47:27 »
Super, Richy, das das ein wirklich bemerkenswerter Marathon - und ein tolles Ergebnis. Herzlichen Glückwunsch, du hast meine größte Hochachtung!
Und wenn du mal nicht auf Womanizer machst, gibt es sicher auch wieder eine neue Bestzeit. :D
hippocampus abdominalis

Offline pipel

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #9 am: 21.04.2011, 08:35:29 »
Ganz toller Bericht und ein irrer Kampf zurück. Gratuliere dir zu beidem.
Stop the world — I wanna get on!
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Offline chri63

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #10 am: 21.04.2011, 08:47:09 »
Unglaublich unter diesen Umständen eine derartige Leistung hinzukriegen! Super!
lG Christian

Offline Wolfgangrun

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #11 am: 21.04.2011, 09:12:32 »
Toller Bericht und großartige Leistung, die Zeit mit so viel Medical Center zu schaffen! Gooooood Job!!!

Offline boenald

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #12 am: 21.04.2011, 09:21:00 »
eins versteh ich nicht - was spricht gegen longjogs bei -6°, dunkelheit und eis? kann man die auch anders machen :D??? ansonsten: gratuliere (zum lauf) und danke (für den bericht) - gehts den haxen inzwischen wieder besser?
Paragraph eins: jedem sein´s.

Offline Laufhäschen

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #13 am: 21.04.2011, 10:41:41 »
Meinen ALLERHERZLICHSTEN Glückwunsch!
Suuuuuuuuuuuuuuuper!!
Du machst Deine Marathons immer sooooo spannend.

Offline elisabeth

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2011-04-18 115th Boston Marathon - Richy
« Antwort #14 am: 21.04.2011, 23:45:26 »
Unpackbar!!
Mit so vielen " Pausen " so eine Zeit zu schaffen!!
Wie immer, sehr kurzweiliger Bericht von dir! Danke!
Gratuliere!! Hast gute Arbeit geleistet!!

 

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