Autor Thema: 2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh  (Gelesen 709 mal)

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2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh
« am: 21.05.2011, 00:00:00 »
Datum: 2011-05-21
Event: Monte Zoncolan
Distanz: 10.000 km

Ersteller: shiloh

Offline shiloh

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2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh
« Antwort #1 am: 21.05.2011, 00:00:00 »
Fight for Pink/Monte Zoncolan

Der Start für die „Fight for Pink“-Fahrt anläßlich des Giro d`Italia erfolgt bei Sonnenschein freitags am Hauptplatz in Lienz um 10h30.
Es ist kein Radrennen, dennoch wird vorne gleich Tempo gemacht und das Feld zieht sich in die Länge. Ich versuche einen Kompromiß zu finden zwischen Kräfte Sparen und bei hoher Geschwindigkeit im Windschatten Mitschwimmen.
Bald nach Lienz beginnt der Iselsberg, den ich aus eigener Anschauung noch nicht kenne. Ich rechne mit einem kleinen „Schupfer“, sozusagen Dopplerhütte mal 2 oder 3 – ich sollte mich täuschen. Es ist ungemein heiß und als der Scheitelpunkt nach meinem Wunsch kommen sollte, steht erst das KM 3-Schild für die Profis am Streckenrand. Das kann ja heiter werden – Mölltal und Pasterze vor mir und am Samstag noch der Monte Zoncolan und ich fühl` mich jetzt schon nicht mehr so spritzig.
Bei der Abfahrt nach Winklern überschreite ich nach langer Zeit mal wieder die 70 km/h – Marke am Tacho und bin dabei wahrscheinlich einer der Langsameren.
Kurz vor Heiligenblut dann schreit im Pulk hinter mir einer plötzlich „Pfui,Pfui,Pfui“ und gleich danach werden wir alle von einem Typen in kurzer Jean, knielangen Stutzen, kariertem Hemd und Sandalen überholt – auf einem E-Bike mit einer Trittfrequenz von sicher unter 50. Hoffentlich ist es wenigstens Ökostrom...
Für die Auffahrt von Heiligenblut zum Giro-Tagesziel beim Glocknerhaus brauche ich 67min, dann folgen 17 min hinauf zum Parkhaus bei der Pasterze  - das ergibt total 3h04 für 58km.
Es gibt warme Verpflegung und ich ziehe mich um. Es gibt hier auch eine Spendenaktion von Thomas Rohregger für die Hinterbliebenen seines Teamkollegen Wouter.
Mit vom Schmelzwasser nassen Schuhen fahre ich mit dem Rad wieder zurück, in Winklern ist aber mal Pause, denn der Giro-Troß muß durch.
Ich konnte gar nicht hinschauen, wie sich die Profis da die Ausläufer des Iselsberges hinunterwarfen – vorne auf der Lenkstange klebend, halb am Oberrohr sitzend.
Bald war die Wilde Jagd vorüber und der leichtere Aufstieg über die kärntner Seite bereitete mir keine Probleme. Nach 2h15 war ich am späten Nachmittag wieder in Lienz.
Über die von den Profis ebenfalls am gleichen Tag befahrenen Übergänge Gailberg und Plöckenpaß fahre ich nach Tolmezzo im Kanaltal und übernachte wieder im Auto.
In Vila Santina 8km westlich treffe ich Brigitte, Christian und Christian und steige mit den beiden Letztgenannten wieder auf`s Rad. Statt des ursprünglich geplanten Monte Crostis fahren wir über Tolmezzo Richtung Norden und vor Arta Terme nach rechts nach Paularo. Die 12km dorthin gehen mäßig bergauf, immer unter 10 %.
In der Ortschaft selbst folgt eine ca. 200 m lange Rampe mit 15 %, im Anschluß sind noch 4 oder 5km auf schlechterer und oben schmaler Straße zu bewältigen.
Wieder ist es sehr heiß und die rund 12 %  , die der Asphalt hier manchmal aufweist, zehren an den Kräften.Gut, daß ich die Route vom letzten Jahr her kannte.
Mitten im Wald ist der höchste Punkt des Passo Duron (1070m) und wir beginnen  die  steile und kurvenreiche Abfahrt nach Paluzza und Sutrio.
Im Tal angelangt sind ein paar nicht sehr steile Kilometer hinauf nach Ravascletto hinaufzuklettern.
Wegen der Streichung des Monte Crostis aus dem Giro-Programm kommen auch die Orte nördlich und östlich des Monte Zoncolan wie im Vorjahr zu Giro-Ehren und so gibt es auch hier schon jede Menge Wirbel und Vorbereitungen.
15km vor dem Ziel stärken wir uns hier nochmals. Die beiden Christian fühlen sich unwohl, weil sie ahnen, was auf sie zukommt. Ich fühl` mich schlecht, weil ich aus dem Vorjahr weiß, was mich erwartet. 5Km Abfahrt nach Ovaro auf die Westseite als Galgenfrist, dann geht es nach links und der Spaß beginnt. 10Km noch. Jetzt ist jeder auf sich allein gestellt.Die ersten beiden KM (ca. 10min) geht’s mal mehr, mal weniger steil durch Ovaro und den Nachbarort, relativ abwechslungsreich ist es und wieder sind unzählige Fans unterwegs – und es ist brutal heiß. Ich drücke mir noch das letzte Enervit hinein und verschütte prompt den halben Inhalt des klebrigen Zeugs auf Lenker, Tacho und Hände – na super. Zum Ärgern komme ich gar nicht, denn da steht sie schon, die 6km lange Wand hinter dem 8km-Bogen. Unendlich schwerfällig kämpfe ich mich hinauf, fühle mich schwächer als 2010, sowohl physich als auch mental. Wieder steht ein Hindernislauf bevor:
Mountainbiker strampeln sich mit irrer Trittfrequenz hinauf, den Lenker nach links und rechts schlagend und kommen doch kaum voran. Andere Rennradfahrer fahren in wilden Serpentinen hoch, und machen so noch viele Extra-Meter.
Ich merke, wie ein Fußgänger längere Zeit einen MTBiker anschiebt, der sich dafür bedankt. Ich überhole, fahre vorbei und auf einmal merke ich, wie der Vogel mich anschiebt. Voller Wut und Entsetzen brülle ich „Stop“ und „No“ und schon ist der Spuk vorbei – ich flüchte nach oben und ärgere mich noch etwas über diese unerwünschte Hilfe.
Ich muß sehr vorausschauend fahren, um kollisionsfrei in möglichst gerader Linie nach oben zu kommen. Den KM 7-Bogen bemerke ich gar nicht und erreiche nach 14min20 für die zwei Kilometer KM 6. Der nächste Kilometer zieht sich unendlich, ich spekuliere schon damit, die Markierung verpaßt zu haben und hoffe bald auf KM 4, aber nach 10min 22 bin ich bei der Hälfte, also doch erst KM5.
Irgendwo ist eine Videowall aufgebaut mit vielen Zuschauern und auch bei 2 Merchandising-Wagen wird es ziemlich eng. Jetzt müßte doch bald das ungefähr 50m lange flachere Stück kommen – doch die Erinnerung trügt. Ebendas merke ich auch daran, daß es heuer anscheinend mehr flachere Kurven gibt als letztes Jahr.
Für den fünftletzten KM brauche ich nur 7min30, ich bin wieder besser drauf und versuche Überholvorgänge möglichst schnell hinter mich zu bringen. Nach weiteren 8min25 bin ich bei KM 3 und jetzt erst liegt nach einer Linkskurve das „Flach“stück vor mir. Übermütig schalte ich gleich in den 2. Gang, nehme einen großen Schluck aus der Flasche und komme noch mehr außer Atem. Nächste Rechtskurve, die Kette wieder ganz nach links und noch eine lange Gerade mit bis zu 16 % laut Tacho.
Von der nächsten KM-Marke tönt ein Lautsprecher hinunter und endlich bin ich bei km 2. Den letzten Km der 6KM langen Mauer mit ca. 12 % Durchschnittssteigung habe ich in 8min absolviert.
Die Straße fällt nach vorne, ich schalte in meinem jugendlichen Übermut gleich ein paar Gänge hinauf und kurz sogar auf das große Kettenblatt. Mir ist klar, daß ich schneller unterwegs bin als vor 12 Monaten. Ich fliege förmlich hinauf und an den bergwärts strebenden Fans mit oder ohne Rad vorbei. Zurückschalten, noch eine kurze Rampe und nach 4min31 ist der vorletzte KM erledigt. Die letzten 975m dauern dann 5min44, die 3 kurzen Tunnel bereiten keine Probleme, dann wird das Slalomfahren und Stop and Go  durch die Massen immer prekärer. Eine besonders schwerhörige Dame, die mitten auf der Straße bergauf torkelt, muß ich mit der rechten Schulter wegstoßen – manchmal geht`s halt nichts anders. Hauptsache, im Sattel bleiben! Die gleichen Probleme hat vor mir eine Fahrerin, dem Dress nach aus Kosice. Hoffentlich hat sie meine Rufe nicht auf sich bezogen, sondern auf die menschlichen Hindernisse. Vor der letzten Linkskurve steigen wir dann doch ab, dann aber wieder auf, denn es geht doch noch irgendwie bis fast zum Zielbogen.
Mit 69 Minuten für die 10 km bin ich um 7min schneller als im Vorjahr bei niedrigerem Max. und Durchschnittspuls (173/144). Entweder bin ich ein Jahr älter oder während der Auffahrt extrem gealtert oder, am wahrscheinlichsten, besser.
Am Berg Volksfeststimmung, Menschenmassen auf den Hängen und wir schlagen uns mit den Rädern hinauf auf den Kamm durch, um von hier den Tagessieger anfeuern zu können.
Im zerdrückten Gras immer  wieder niedergetretene Stengellose Enziane. Bei uns unter Naturschutz, hier hat er heute schlechte Karten.
Eine weitere negative Seite dieses Events, nämlich die Dopingproblematik, blende ich kurz mal aus als der Tagessieg durch Igor Anton an das von mir sehr geschätzte Euskaltel-Team geht. So werde auch ich zu einem Teil des komplexen Beziehungsgeflechts aus Profisport, Fantum, Doping, Medien und Sponsoren.
Hm, aber eigentlich ist der Giro eh nur Kulisse für meine Bergfahrten :)
Kaum sind die ersten Fahrer im Ziel öffnet sich der Himmel und schickt eine Ladung Hagelkörner hinunter.
Im einsetzenden strömenden Regen wollen alle rasch ins Trockene und vom Berg hinunter. Begleitet von Blitz und Donner strömen Zuschauer mit und ohne Räder, Radprofis und Begleitfahrzeuge zu den Parkplätzen – fast schon apokalyptische Szenen.
Die folgende Abfahrt auf der gut ausgebauten Straße hinunter war ein Alptraum.
Strömender Regen, vor Kälte zitternder Oberkörper, nasse Beine und Füße, kaum noch Bremskraft auf der Vorderbremse und die Angst, die Kurven nicht mehr fahren zu können. Dazu noch abfahrende PKW und Busse – sehr schlimm, das möchte ich nicht mehr erleben. Immerhin hatte ich meine Regenjacke dabei.
Verkrampft und erfroren, aber ohne Sturz, sind wir endlich in Sutrio unten, auf den letzten 23 km leicht bergab nach Tolmezzo und Vila Santina tauen wir im nachlassenden Regen wieder etwas auf.
Und jetzt,  24 Stunden später, könnte ich mir gut vorstellen, wieder in Friaul Rad zu fahren, zB auf den Monte Crostis.
It`s good to have an end to journey toward, but it`s the journey that matters, in the end. (Ernest Hemingway)

Offline heitzko

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2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh
« Antwort #2 am: 24.05.2011, 07:23:34 »
ich bin froh, dass dir bei diesem wolkenbruch aus hagelkörnern und regenschauern nichts passiert ist! ich gratuliere zur tollen performance und danke für den schönen bericht!

Offline pinguin

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2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh
« Antwort #3 am: 24.05.2011, 09:08:20 »
Meine unendliche Hochachtung, daß du sowas fahren kannst. Mir kommen schon beim Zuschauen beim Giro alle Zustände ... chapeau!

Offline boenald

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2011-05-21 Monte Zoncolan - shiloh
« Antwort #4 am: 24.05.2011, 09:59:57 »
cool...- und damit mein ich nicht (nur) den Hagel am Schluss ;)
Paragraph eins: jedem sein´s.

 

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