Autor Thema: 2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi  (Gelesen 929 mal)

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« am: 27.08.2011, 00:00:00 »
Datum: 2011-08-27
Event: Karwendelmarsch
Distanz: 52.000 km

Ersteller: superzogi

Offline superzogi

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #1 am: 27.08.2011, 00:00:00 »
Iwahaupsch nit

Dieser Bericht ist nicht objektiv, unstrukturiert und viel zu lang geworden. Er gibt keine genaue Auskunft über die Strecke und auch die Beschreibung der landschaftlichen Schönheit dieses Laufes fehlt komplett. Ich habe den Lauf nicht einmal zu Ende gebracht. Wer trotzdem weiterlesen möchte...


Eventuell liegt es an den vorhandenen Restgenen der Höhlenmenschen oder aber an nicht ausgelebter Abenteuerlust, in die Berge zieht es mich immer wieder. Meist wandernd, selten laufend.

Diesmal eine Mischung aus beidem. Zum nur Laufen zu steil, zum gemütlichen Wandern zu lang. Vom Veranstalter passen "Karwendelmarsch" genannt.

Zufällig irgendwo im Forum davon gelesen (ich glaube Manuela hat davon geschrieben), eine Woche Urlaub drumrum organisiert, Heidi und Ulrich als Mitstreiter gewonnen und drauf gefreut.

Unsere Urlaubswoche in der der Lauf stattfinden sollte verbrachten meine Familie und ich in Salzburg und Tirol. Es waren sehr abwechslungsreiche und erholsame Tage. Die ganze Woche gab es strahlenden Sonnenschein und hochsommerliche Hitze.

Da ich sehr sonnenempfindlich bin, aber auch nicht gerne Sonnencreme schmiere, habe ich für den Lauf eine lange, dünne Trainingshose und ein langes Funktionsshirt eingepackt.
Das lange Gewand sollte ausreichend vor der Sonne schützen und am Berg wird es schon nicht so heiß sein, dachte ich mir.Weiters plante ich eine dünne Gore-Tex-Jacke ein, falls es beim Bergablaufen doch ein bisserl kühler wird.

Am Tag vor dem Lauf trafen auch Heidi und Ulrich in Tirol ein, wir gingen gemeinsam zur Startnummernausgabe und konnten einige Gedanken austauschen. Das Einzige, was an diesem Tag sehr wenig freundlich strahlte, war die Wetterprognose. Temperatursturz, 2-3 Grad in 2000m Höhe, Schneefall bis 1800m (unser Lauf sollte uns auf knapp über 1900m führen), jederzeit Regenschauer möglich. Gewitter zum Glück nur in Ost-Tirol, also für uns im hohen Norden Tirols kein Thema.

Am Abend noch schnell Laufsachen hergerichtet, angesichts der Wettervorhersage kam noch ein Pullover - für Notfälle - neben einer Trinkflasche und ein paar Gels und Iso-Säckchen in den Rucksack. Auf Handy und GPS-Gerät wollte ich nicht verzichten. Da ich bis Nachmittags unterwegs sein werde, steckte ich mir auch noch 20,- Euro ein, damit ich mir auf einer der Hütten ein ordentliches Mittagessen gönnen kann, falls ich mit der Versorgung an den Labestationen nicht zufrieden bin.

Warum ich soviel von "Vor dem Lauf" schreibe? Weil einige scheinbar unwichtige Details noch wirklich wichtig werden sollten.

Samstag 4:00. Der Wecker läutet unbarmherzig. Gut, steh ich halt auf. Nicht ahnend wie viel Wasser ich heute noch abbekommen werde, lege ich mich in die warme Badewanne um richtig munter zu werden.
5:30 Nur mit Hose und Leiberl raus aus dem Hotel. Es nieselt. Jacke drübergezogen, was macht denn schon ein bisserl Nieselregen.
5:50 Heidi und Ulrich am Start getroffen, Ulrich meint er hat ein etwas ungutes Gefühl, aber das sei bei ihm ein gutes Zeichen.
6:00 Zwei Schützen geben den Startschuss zum Karwendelmarsch.
Nach einem kurzen Anstieg geht es flach dahin, erst nach der ersten Labestation - ca. bei km 9 - dreht der Weg nach oben. Der Regen wird heftiger, es wird windiger und kälter.
Für den ersten Gipfel im Höhenprofil - das Karwendelhaus - habe ich mir eine Zwischenzeit von ca. 3h vorgenommen, dort sind dann fast die Hälfte der Höhenmeter und ca. ein Drittel der Strecke geschafft.
Nur knapp über der Zeit komme ich oben an, durchnässt, frierend, aber mit dem Gedanken die längste Steigung geschafft zu haben. Ab jetzt gehts nur mehr ein bisserl runter, ein bisserl rauf...
Menschen irren sich, ich irrte mich gewaltig.
Bevor ich vom Karwendelhaus runterlief zog ich noch meinen Notfallpullover an und wärmte mich an einem heißen Tee. In den Regen mischten sich Eiskörner und irgenwo donnerte es.
Wäre ich als Wanderer unterwegs gewesen, hätte ich im Karwendelhaus Schutz gesucht um die Wetterentwicklung abzuwarten oder gleich den Rückweg angetreten. Aber der Gruppenzwang - das war mir erst am Tag danach klar - trieben mich weiter. Jetzt gehts eh runter, was machts da schon wenns oben am Berg ein bisserl schirch ist?
Als ich die ca. 500Hm zum Ahornboden runtergelaufen war fühlte ich mich gut. Das Wetter war scheinbar besser geworden. Ich war zwar klatschnass, hatte aber fast die Hälfte der Strecke zurückgelegt und spürte keinerlei Müdigkeit. Heute werde ich zum Ultraläufer! Ich werde zwar 8 bis 9 Stunden brauchen - Ulrich und Heidi werden es bestimmt in 6 Stunden schaffen - aber ich werde heute zum Ultraläufer!
Einige Höhenmeter weiter oben wurde ich wieder zurück in die Realität geholt. Und es war eine verdammt bittere Realität. Es ging steil nach oben zur Falkenhütte. Das Wetter wurde wieder schlechter, Blitz und Donner kamen näher. Der Weg, im ersten Drittel noch breite Forststraße, wurde zum engen Steig. Ich schleppte mich weiter nach oben. Einige Male blitzte es recht nahe auf, durch Wolken und Nebel sah ich aber weder Richtung noch Entfernung. Blitz - 21 - 22 - 23 - sch...e verdammt nah. Längst war die Angst zum bestimmenden Faktor geworden. Als ich einen Streckenposten fragte wie gefährlich das Gewitter sei, meinte er völlig entspannt: "Iwahaupsch nit" und weiter - leider kann ich das nicht in Norttirolerisch wiedergeben - "Ich hab gerade gezählt, das ist einen Kilometer entfernt und du kommst in 5 Minuten zum höchsten Punkt, ab dort gehts eh abwärts, da passiert gar nix". Von wilden Tieren wird behauptet, dass sie die Angst eines Menschen riechen können. Ich fragte mich in dem Moment ob der Blitz wohl meine Angst roch. Einige Male wurde es verdammt hell im Nebel, einmal kreischte eine Teilnehmerin hinter mir auf, als es aufblitze. Kaum ein, zwei Sekunden vergangen zwischen Blitz und Donner. Ich war mittendrin. Während ich mit jedem Blitz schneller runterlief kämpfte ich mit den Tränen. Ich wollte losheulen vor Angst. Das hätte aber nur meine Leitfähigkeit erhöht, da Salzwasser ein sehr guter Leiter ist, also unterdrückte ich es.
Als Wanderer hätte ich mich im Biwaksack verkrochen und gewartet bis es besser wird oder ich mich retten lassen muss. Aber ich hatte wohl bei der Startnummernabholung einen Teil meines Verstandes abgegeben - oder war so in Panik - dass ich nur noch weiter wollte. Runter von dem Berg. Nach etwas mehr als 6 Stunden erreichte ich die "Eng". 35km waren hier geschafft. Ich setzte mich hin um mich von dem eben Erlebten zu erholen. Körperlich war ich noch fit genug für die restlichen 17km. Ich beobachtete die Helfer, die Sanitäter, den Sprecher, keinen schien das Gewitter sonderlich zu beunruhigen. Was tun? Ich wartete ca. eine halbe Stunde, immer wieder brachen Teilnehmer auf zum letzten Teilstück. Hatten die alle keine Bedenken? Hätte nicht irgendwer sagen müssen "Das ist jetzt wirklich lebensgefährlich da oben"? Oder bin ich als Stadtmensch überängstlich? Irgendwann machte es klick und mir war klar: ich hatte Glück hier klatschnass und frierend, aber unversehrt zu stehen. Ein Glück das ich nicht noch einmal herausfordern wollte. Ich meldete mich ab - nahm mein Finisher-Paket mit der 35km-Medaille gleichgültig entgegen und wartete auf den Bus nach Pertisau, dem eigentlichen Ziel wo meine Familie auf mich wartete und auch Heidi und Ulrich hoffentlich sicher angekommen sind.
Leider gab es beim Transfer einige unschöne Szenen. Der erste Busfahrer machte kurz vor dem Sammelpunkt kehrt weil er ein Einfahrtsverbot zu ernst nahm. Als endlich einer ankam, dauerte die Abfertigung über 20min, weil jeder 15,- bezahlen mußte und keiner in den Bus gelassen wurde der noch nicht bezahlt hatte. Vorne in der Schlage wurde nach Geld gekramt, Abbrecher die nicht zufällig Geld dabei hatten, versuchten doch noch mitgenommen zu werden, hinten erfrohren manche fast.
Warum nimmt der Veranstalter nicht jedem 1 oder 2 Euro mehr Nenngeld ab und macht den Bustransfair kostenlos? Ich bezahle mit dem Nenngeld ja auch die Bergrettung und die Verpflegung, egal ob ich sie brauche oder nicht.
Auf der Fahrt mußte ich dann noch 2x umsteigen - 1x planmäßig und 1x weil der Bus überfüllt war. Ich erfuhr im Bus auch, dass der Lauf jetzt wegen starkem Schneefalls abgebrochen worden war und alle Teilnehmer abgefangen wurden.
Als ich endlich das Ziel erreichte war ich glücklich meine Familie wiederzusehen und froh, dass es Heidi und Ulrich ins Ziel geschafft hatten. Beide sprachen von lebensgefährlichen Bedingungen am letzten Teilstück und beglückwünschten mich für die Entscheidung das letzte Stück ausgelassen zu haben.
Ulrich meinte am Tag davor, dieser Lauf wird bestimmt grenzwertig. Es war mehr als das. Aber es ist Gut ausgegangen und ich bin froh darüber, auch wenn ich den Sprung zum Ultraläufer nicht geschafft habe. Und Sonnenbrand hab ich auch keinen erwischt.

Meine Angst vor langen Bergläufen habe ich verloren, mein Respekt vor den Naturgewalten ist aber warscheinlich noch größer geworden, und das finde ich auch gut so.
Laufpensionist

Offline JM

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #2 am: 28.08.2011, 22:19:49 »
Iwahaupsch nit kein Ultraläufer. Es ist ja nicht nur die Distanz die einen Ultralauf definiert. Ultraherausforderung war es - also bist du ein Ultraläufer, und gsd ein gesunder, mit gesundem Menschenverstand. Gratuliere die zum weisen Entschluss.
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Offline heitzko

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #3 am: 29.08.2011, 06:38:03 »
ich war sooooo froh, als wir dich im ziel gesehen haben. du bist jedenfalls ein super ultraläufer, das sieht man schon daran wie gut es dir insgesamt gegangen ist und wie locker du das geschafft hättest. der abbruch war einfach die richtige entscheidung, denn ein lebender ultraläufer zu sein ist wirklich besser als ein toter ultraläufer...

Offline KITTY

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #4 am: 29.08.2011, 07:01:34 »
Gratuliere dir das du dich zum Abbruch überwinden konntest.
lg
peter

Offline Ulrich

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #5 am: 29.08.2011, 08:21:08 »
Michi, einmal abgesehen davon, dass wir uns sehr gefreut haben, die Zeit vor und nach dem Lauf mit Euch zu verbringen...
Abgesehen davon, dass Deine Einstellung zum ganzen Karwendelabenteuer ziemlich cool war...
Es war kein normaler Ultralauf, es war ein Risiko, das Du völlig richtig eingeschätzt hast und zugunsten Deiner Familie entschieden hast.
Glaub mir, wenn mir die Situation oben klar gewesen wäre, hätt ich auch den Ausstieg gewagt.
Du bist ein Ultraläufer, nur weißt du es noch nicht ;)
Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline Don Tango

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #6 am: 29.08.2011, 11:09:05 »
von den adrenalin-schüben kannst noch die ganze rennsaison zerren! gratuliere zu dieser grenzerfahrung.


>> you'll never know, unless you go <<

Offline boenald

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #7 am: 29.08.2011, 11:54:57 »
gute Entscheidung (deine nämlich...)! und was den angesprochenen Respekt angeht: gut, dass du ihn in diesem Ausmaß bewiesen hast. Besser einmal zu oft als nicht.
Paragraph eins: jedem sein´s.

Offline dogrun

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #8 am: 29.08.2011, 15:55:30 »
Schöner Bericht, danke und richtige Entscheidung!
Vielleicht ja noch ein Versuch bei besseren Wetter ;)
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Offline Richy

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #9 am: 29.08.2011, 23:14:04 »
Sonnenbrand hast wenigstens keinen bekommen :D
Nicht einfach - nach den Strapazen aufzuhören. Wenn Du darüber nicht grübelst - war es die richtige Entscheidung.

Offline StefanM

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2011-08-27 Karwendelmarsch - superzogi
« Antwort #10 am: 04.09.2011, 19:39:07 »
Ich hab das Nordtirolerische aus deiner Lautschrift schon heraushören können.
Man muss auch wissen wann man aufhören muss, war sicher nicht falsch. Vielleicht gibts ja einen neuen Versuch bei besserem Wetter, macht dann sicher mehr Spaß.

 

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