Autor Thema: 2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald  (Gelesen 1379 mal)

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Datum: 2011-10-08
Event: Tour de Tirol: Kaisermarathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: boenald

Offline boenald

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #1 am: 08.10.2011, 00:00:00 »
"Es wird nicht nur wolkenlos..." oder: Das auf seine Art bemerkenswerte Wochenende der Unterdistanzen

Ein Wiederholungstäter zeichnet sich dadurch aus, dass er bereits weiß, worauf er sich einlässt und es dann trotzdem tut. Meiner Meinung nach sieht man das den Leuten irgendwie an, und so mach ich mir am Freitag Nachmittag im Veranstaltungszelt beim Abholen der Startunterlagen einen kleinen Spaß daraus zu erraten, wer von den Leuten, die sich hier anstellen, zum ersten Mal dabei ist und wer nicht. Je entspannter, desto häufiger dabei, weil (so meine Theorie): spannend wirds eh früh genug, da kann man seine Nerven bis dorthin sparen. Oder: Stählerner Nordwandblick - meiner Meinung nach eindeutig und überwiegend nervöse Erststarter. Es gibt auch Ausnahmen. Wenn beispielsweise der/die Nordwandblicker(in) ein Finisherleiberl vom Zermattmarathon unter der Softshelljacke anhat, eins vom K78 dekorativ aus dem Laufrucksack baumeln lässt und mit der Anmeldebestätigung für den nächstjährigen Jungfraumarathon in der Hand wedelt. Ok, das war jetzt übertrieben, aber nicht sehr... Das jedenfalls sind die Freaks, die Hohepriester, die als Gutenachtgebet die Profile der schärfsten Läufe der Welt meditieren. Die sind hier gut vertreten.

Warum ich das alles mache? Sehr einfach - im Zelt stehen verteilt ein paar gasbetriebene Heizschwammerl, quasi die Hotspots von Söll, da wärme ich mich ein paar Minuten auf. Draußen an der frischen Luft ist es nämlich wirklich frisch. Und nass. Spätherbstliches Wetter nach ein paar Wochen Altweibersommer. Einige Tage zuvor krieg ich einen Newsletter von der Tour de Tirol Organisation zugeschickt, nur mehr so und so viele Tage bis zum Start, Juhu und überhaupt. Und ein Hinweis auf die Wetterprognose, die nicht berauschend war. "Es wird nicht nur wolkenlos sein, Regenjacke nicht vergessen..." lese ich da. Ach ja.

Freitag

Tour de Tirol ist eine Kombinationsveranstaltung, bestehend aus drei Bewerben. Einem 10km-Lauf zu Beginn, dem Kaisermarathon als Höhepunkt am Samstag und dem Halbmarathon als Finale am Sonntag. Aufsummiert 73km, 2200 Höhenmeter. Heuer finden erstmals alle drei Bewerbe in Söll statt, was die Logistik für alle Beteiligten klar vereinfacht. Zur Eröffnung des Events finden auch noch eine Reihe von Kinderbewerben statt. Die Ärmsten kriegen am Freitag eindeutig das meiste Wasser des Tages ab. Während ich mich ein paar Minuten einlaufe, die erste Garnitur Laufgewand durchnässe und mich dann rasch wieder ins wärmere Hotelzimmer zurückziehe, rennen die Kids bei strömendem Regen und knapp 5 Grad. Eine Dreiviertelstunde später schauts nicht mehr ganz so schlimm aus, es gibt während des 10km-Laufs sogar ein paar regenfreie Momente.

Die Strecke an sich ist ganz witzig. Drei Runden plus 150m Zieleinlauf sind zu absolvieren. Recht abwechslungsreich, zuerst kurz und halbwegs eben durchs Dorfzentrum, dann gut einen Kilometer auf der Straße bergauf, eine Feldwegpassage den Waldrand entlang, dann einen asphaltierten Güterweg wieder runter nach Söll und dann das Ganze von vorn noch zweimal. In Summe 200 Höhenmeter, sogar die Tiroler Sprachregelung findet hier zur Beschreibung "kupiert". Passt eh. Was nicht ganz so passt, ist das "Es wird scho glei dumper-Syndrom". Gut, man konnte Anfang Oktober nicht mit einem derart zeitigen Sonnenuntergang rechnen, und dass dann auch noch Wolken den Himmel verdüstern, ist überhaupt gemein. Aber ab der zweiten Runde ist es am Waldrand schon recht finster, der einzige am Wegrand aufgestelle Scheinwerfer plagt sich, kann aber logischerweise nicht das ganze unebene Gelände ausleuchten. Passiert ist nix, aber da wäre, wie man so schön sagt, noch Optimierungspotenzial drinnen.

Das Rennen macht Spaß. es dauert bis ca zur ersten längeren Steigung, bis sich das Feld ein wenig sortiert und verteilt, Platz zum Laufen ist genug. Ich versuche mich selbst zu diziplinieren und nicht gleich jedem Flotten hinterher zu rennen. Das haut einigermaßen hin. Bergauf fällts leicht zu überholen, bergab überrollen mich dann die anderen. Meine Tempoeinteilung geht sich halbwegs gut aus, ein anderer Läufer verfolgt eine scheinbar fast identische Taktik, wir pacen uns quasi gegenseitig durch den Abend. Mit einer hohen Vierzigerzeit bin ich schließlich sowohl gut bedient als auch zufrieden, das Zielbier schnapp ich mir, trabe die paar hundert Meter ins Hotel, heiße Dusche, feiner Saunaaufguss, ich bin fürs Erste mit der Tour de Tirol wieder gut versöhnt.

Samstag

Freitag Nachmittag war das Veranstaltungszelt mein Menschenbeobachtungspunkt, Samstags ist es der Frühstücksraum des Hotels. Fast nur Maniacs, sehr skurrile Menschenansammlung. Ein Thema an allen Tischen ist natürlich die Änderung der Streckenführung. Die Originalstrecke ist, da war man sich schon vor gut einer Woche sicher, nicht belaufbar, also war zunächst geplant, im wesentlichen den Schlussanstieg auf die Hohe Salve (wo am Wochenende übrigens schon die ersten Schifahrer unterwegs waren!) wegzulassen und stattdessen das Ziel nach Söll zu verlegen. Doch als dann das Wetter bis zum Wochenende noch schlechter zu werden versprach, wird aus dem Plan B ein Plan C: Drei Runden á 14km und 700 Hm sollten es werden, jeweils bis zum Hexenwasser hinauf und wieder retour nach Söll. Das ist nicht gerade prickelnd, aber es ist vernünftig, der katastrophale Zugspitzenlauf hängt seit einigen Jahren wie ein Damoklesschwert über allen Berglaufveranstaltungen, noch einmal darf "so was" nicht passieren.

Am Start gießt es zur Abwechslung wieder einmal wie aus Schaffeln. Da es auf den letzten hundert Metern angeblich schneien soll, kommt es deshalb nochmals zu eindringlichen Erklärungen bezüglich Ausrüstung, Vorsicht und gegenseitiger Hilfe. Ich bin ganz gut eingepackt, mehrere Schichten, Handschuhe, Kappe, eine Aludecke für den worst case in der Hosentasche. Dass die Handschuhe nach zehn Minuten Laufen bereits wie zwei nasse Lappen an meinen Händen herumbaumeln, kümmert mich nicht allzusehr. Sobald ich auf Betriebstemperatur komme, werden die Hände warm, dann wird das schon und der nasskalte Spuk hat ein Ende. Das hat er auch, wenn auch anders als erwartet, denn nach höchstens fünf Kilometern wird aus dem Regen Schnee und dann wirds auch noch windig. Schön langsam kriecht die Kälte in mich rein, das Bergauflaufen hilft wärmetechnisch vorerst noch ganz gut. Wir rennen raus aus dem Ort, nach einer kleinen Runde gehts Richtung Talstation der Bergbahn, in mehr oder weniger steilen Serpentinen geht es eine geschotterte Forststraße hinauf. Das ist alles ohne Probleme laufbar, gerade einmal 20 Meter sind so steil, dass ich gehen muss. Am höchsten Punkt der Runde angekommen herrscht bereits tiefster Winter, dann geht es auf der anderen Seite des Rückens auf rutschigem Asphalt wieder in ein paar Serpentinen durch den Wald Richtung Tal. Doch nun passiert etwas, wofür ich mich fast ein wenig geniere, weil es so versnobt wirkt: ich beginne mich mitten im Schneegestöber zu langweilen. Jede x-beliebige Wald- und Wiesenrunde im Wienerwald stellt (bei jedem Wetter) diese Strecke in den Schatten. Als dann kurz vor Söll ein Streckenposten mir was von "Abbruch" und "Verkürzung auf 2 Runden" zuruft, brauch ich knappe fünf Minuten, um mich zu entscheiden. Aussteigen, Schluss mit dem Trauerspiel. Ich melde mich im Veranstaltungszelt ordnungsgemäß ab, damit ich nicht gesucht werde, lauf rüber ins Hotel, lass mir eine heiße Badewanne ein und höre dann später im warmen Wasser liegend die Lautsprecher den Einlauf des Siegers verkünden. Kurz darauf gehe ich gut aufgewärmt und unter einem großen Regenschirm wieder raus, gönne mir eine Leberkässemmel und ein Bier und verfolge den weiteren Zieleinlauf. Bist du deppert, was ich mir da erspart hab... Obwohl ich später nachlesen konnte, dass ich an gar nicht mal so schlechter Zwischenplatzierung liegend augestiegen bin, bin ich angesichts der bibbernden Läufer, die jetzt ins Ziel kommen, mit mir und meiner Entscheidung sehr im Reinen.

Sonntag

Bleibt nach so einem durchwachsenen "Dochnichtbergmarathon" die Frage: Halbmarathonstart oder nicht? Dagegen spricht, dass ich die Nase vom Rennen im Nasskalten inzwischen sowas von voll hab. Dafür spricht die Tatsache, dass ich ja nicht verletzt bin und nur wegen eines Zehners sich die weite Reise ja schon gar nicht ausgezahlt hätte. Alsdern, Halbmarathon!

Sonntagfrüh ein Blick aus dem Fenster: nicht schon wieder! Das darf ja nicht wahr sein! Dicke Schneeflocken über Söll, Dächer und Autos sind weiß. Hört denn das nie auf? Doch, tut es, zuerst hört das Schneien auf, dann schön langsam auch der Regen, gegen Mittag verirren sich sogar ein paar Sonnenstrahlen ins Tal. Nach einem geruhsamen Vormittag verbinde ich Streckenbesichtigung mit Aufwärmen. 6 Runden zu 3,5km sind in und um Söll zu laufen, es ist eine ziemlich verwinkelte Angelegenheit aus Harnadelkurven, einer 180°-Wende, 2 Wiesenabschnitten und 2 Grasböschungen. Kurzum: man kann hier eigentlich nur die falschen Schuhe anhaben - entweder ich rutsch (mit den Speed Cross) auf der regennassen Straße in den engen Kurven oder ich plag mich (mit den Puma Prevail) im Gatsch. Ich entscheide mich dann für die Straßenschuhe und außerdem fürs Laufen mit Brille statt Kontaktlinsen. Ersteres war sicher nicht ganz falsch, aber das mit der Brille...naja. Es beginnt nämlich, welch Wunder, wieder zu regnen. Eine Zeitlang geht das ganz gut, aber dann wirds annähernd zum Blindflug und ich muss mir mit den Fingern immer wieder die Sicht freiwischen.

Renntaktik im engeren Sinn hab ich keine. Wäre aber an sich empfehlenswert gewesen. Das denke ich mir spätestens nach der ersten Runde. Still schimpfe ich in mich hinein, was für einen vertrottelten Anfängerfehler ich da gemacht hab, dass ich das Tempo auf den ersten 3km total überzogen hab, dass gestern ja trotz vorzeitigem Ausstieg ein nicht ganz unanstrengender Tag war und so weiter. Zu Beginn der zweiten Runde lautet mein Zwischenresümee: vergiss es, sei froh wenn du überhaupt laufend ins Ziel kommst. Bemerkenswert: so klar meine Selbsteinschätzung war, so wenig erkennbare Konsequenzen ziehe ich daraus. Ja, die Splits werden schon langsamer, aber nicht viel. Bis zur Halbzeit des Rennens laufe ich mit dem trotzigen Gefühl eines Fünfjährigen: "Mir doch egal, jetzt renn ich halt, bis die Batterien leer sind!" Dann, ab der vierten Runde, beginne ich die Kilometer runterzuzählen, und in der letzten Runde gibt´s dann nur mehr einen Gedanken: "Reeeennnn! Ausrasten kannst dich dann im Zug nachhause!!" Der Gedanke, hier möglicherweise PB zu laufen, sozusagen als Kompensation für den ausgefallenen Marathon, ist eigentlich erst sehr spät konkret geworden. Etwa ab Rennmitte höre ich die Lautsprecher aus dem Zielgelände mit Zwischenzeiten. Sowas motiviert, vor allem dann, wenn noch genügend Sauerstoff im Hirn ist, um die Zeiten hochzurechnen. Als ich dann in der letzten Runde unweit des Ziels schon höre, wie jemand mit einer 1:20er Zeit ins Ziel gekommen ist, merke ich, dass ich mich wohl zu meinen Ungunsten verrechnet habe. Weil 8 oder 9 Minuten brauch ich von da weg sicher nicht mehr ins Ziel. Und so war´s dann auch. 1:26 liegt überraschend weit über meinen Erwartungen, cool...!!

Und nun zum Wetter

Ach was, lassen wir das.  Jetzt ist mir eh schon wärmer :D
Paragraph eins: jedem sein´s.

Offline heitzko

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #2 am: 10.10.2011, 13:24:37 »
so ein geniales quasi happy end nach so einem vers****ten wochenende! super bernhard und redlichst verdient! wer weiß, was du auf einer "normalen" strecke gelaufen wärst :). das training hat sich trotz allem wirklich ausgezahlt!

Offline Ulrich

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #3 am: 10.10.2011, 13:25:29 »
vom Dochnichtbergmarathon zum sensationsHM, ein grandioser Bericht eines ... nicht nur wolkenlosen Wochenendes ;)
Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline cbendl

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #4 am: 10.10.2011, 13:43:15 »
Supergenial! Herzlichen Glückwunsch! Das war ein abenteuerliches Wochenende mit einer schönen Belohnung.
hippocampus abdominalis

Offline dogrun

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #5 am: 10.10.2011, 13:45:16 »
Nach so einem Wochenede so eine PB hinzulegen kann schon was!

Gratuliere und danke für deinen Bericht, der ist wie alle Bericht von dir sehr köstlich zu lesen!
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Offline JM

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #6 am: 10.10.2011, 19:56:22 »
ich hoffe deien (Wetter-)Moral hat sich wieder erholt, denn bald werden wir ähnluches Wetter in Wien haben. Die Winterzeit bricht ein. Ich freue mich ja teilweise drauf, weil ich noch viel Sonne im Tank habe. Aber wie schaut´s mir dir aus? Solltest vielleicht noch mal Urlaub in der Sonne machen um den Tank zu füllen, damit du den Winter überstehst. Schade dass der Start in den Winter so anfangen musste. Aber wieso schade ? Da war ja noch der HM mit PB :D  - SUPER Leistung. Das sollte doch für alles andere entschädigen, oder ?
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Offline Richy

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #7 am: 10.10.2011, 22:36:51 »
ich frag mich ja, wie schnell du auf einem normalen hm sein musst, wenn du in gatsch und sonstigen ungemach so eine zeit hinlegst - wenn der hm keine der oben genannten unterdistanz war - dann grosse hochachtung - ansosnten aber auch ;)

Offline Richy

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #8 am: 10.10.2011, 22:40:40 »
habe mir nun die strecke auf der hp angesehen - da ist ja wirklich eine flache runde in tirol zu finden - hut ab vor dieser hm zeit

Offline KITTY

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #9 am: 11.10.2011, 06:18:30 »
Sensationelle Leistung, gratuliere zu deiner PB.
lg
peter

Offline elisabeth

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2011-10-08 Tour de Tirol: Kaisermarathon - boenald
« Antwort #10 am: 11.10.2011, 14:48:39 »
Gratuliere dir Bernhard!!!

 

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