Autor Thema: 2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl  (Gelesen 1054 mal)

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« am: 30.10.2011, 00:00:00 »
Datum: 2011-10-30
Event: BWM Frankfurt Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: cbendl

Offline cbendl

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #1 am: 30.10.2011, 00:00:00 »
Der Vierer – eine Gratwanderung

Mein Start beim 30. MW Frankfurt Marathon begann ja sehr vielversprechend: Mit einem Sieg über Roman Weger, dem zweiten in meiner Karriere. Aber schön der Reihe nach …

Mein Antreten 2010, das ein tröstliches, aber objektiv bescheidenes Ergebnis brachte, führte mich zu dem Schluss: Dieser Lauf hat auch ein Antreten in fitterem Zustand verdient. Auch für Martin schien der recht späte Termin optimal geeignet, daher stand der Entschluss, diesen Marathon wieder in Angriff zu nehmen, recht früh fest. Eine Zwischenstation gab es beim Marathon am Bodensee. Dort war ich mit meiner Leistung einigermaßen zufrieden, aber die äußeren Verhältnisse, das Starterfeld und vor allem meine Renneinteilung zeigten noch Verbesserungspotenziale. Und vor allem sah es so aus, als würde meine Form noch weiter besser werden. So war also gewährleistet, dass auch der Kopf voll bei der Sache war.

Der Plan stand einige Tage vor dem Lauf fest: Ich würde riskieren und eine Zeit unter 2:50 anpeilen. Also jeden Kilometer in 4:01 – eigentlich gar nicht so arg, oder?? :)
Freitag Nachmittag ging es los, gemeinsam mit zahlreichen anderen Marathonstartern. Trotz „kreativer Routen“ durch den Frankfurter Flughafen schaffte ich es doch, schneller als Roman mein Gepäck zu bekommen. Wenn das kein gutes Zeichen ist? :)
Die Logistik in Frankfurt ist wirklich angenehm: Startnummernabholung und Messe (und am Sonntag auch Start und Ziel) beim Messegelände, rundherum zahlreiche Hotels, und das Ganze auch gut an den Flughafen angebunden. So gingen sich noch am Freitag die Startnummernabholung und ein schneller Überblick über die Messe aus. Auch Tapes ließ ich mir verpassen.
Samstag Früh ein kurzer Lauf um die Beine zu lockern. Wieder einmal zeigte sich die wunderbare Gastfreundlichkeit unserer „Lieblingsnachbarn“. Als ich an einer Ampel warten musste, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass meine Tapes lose waren. Ja, weiß ich, die Profis haben da ziemlich gepfuscht. Mit besten Wünschen für den Marathon ging es weiter.
Nachmittags ging es dann ausführlich zur recht großen Messe. Sowohl die neuesten Trends der Hersteller als auch „Wühltische“ mit Schnäppchen der verschiedensten Händler waren vorhanden. Auch die Pasta Party in der Festhalle, wo tags darauf der Zieleinlauf sein würde, war durchaus großzügig. Dass eine große Portion Pasta und drei Getränke bereits in der Startgebühr enthalten sind, ist nicht überall so. Dazu gab es Musik, Rückblicke, Vorschau und die Ehrung der „ewigen“ Frankfurt-Marathon-Starter. Einer von ihnen, ein ca. siebzigjähriger Mann, wurde nach seiner Verfassung befragt. Seine Antwort: „Ach wissen Sie, als Läufer ist man nie so recht fit. Die Vorbereitung ist nicht so optimal und mal tut es hier, mal tut es dort weh,“ brachte mich auf den Gedanken, meinen Zustand abzufragen. Das Training? Hat eigentlich recht gut funktioniert. Dass ich drei Tage zuvor Bierkisten geschleppt hatte, wovon ich beidseitig auf meinen Oberschenkeln große blaue Flecken davongetragen hatte, war vielleicht keine so gute Idee, aber sie schmerzten nur beim Draufdrücken. Dasselbe galt für einen ebenso großen blauen Fleck am rechten Unterschenkel, von dem ich nicht wusste, wo er herkam: Sah spektakulär aus, aber nicht schmerzhaft. Auch das Schlafdefizit der letzten Woche konnte ich mit einer langen Nacht und einem Mittagsschläfchen ganz gut ausgleichen. Also eigentlich … sah es ziemlich gut aus. :) Es wurde bei der Pasta Party auch über einen möglichen Weltrekord gesprochen – mir erschien das außer Reichweite, zu überirdisch war meiner Meinung nach Patrick Makaus Zeit aus Berlin. Ich studierte noch genau den Zielbogen und den Platz, wo die Ziellinie vermutlich sein würde – vom Vorjahr erinnerte ich mich, dass diese am Renntag unter einem roten Teppich versteckt sein würde, und es ist ja wichtig zu wissen, bis wohin die Kräfte reichen müssten. Nach der Pasta Party ging es nur mehr darum, die Sachen für den Lauf vorzubereiten. In welche Hose, die auch eine ausreichend große Tasche für Gel und Traubenzucker hätte und zu der ich ein passendes Oberteil hätte, würde mein großer Pastabauch hineinpassen, und welche Tapes (Martin musste drei der vier neu kleben) sollte ich dazu nehmen? Ich rechnete mit trockenem Wetter, zumindest die Schuhfrage schien also entschieden.
Der Sonntag Morgen war durch die Startzeit um 10:00, Zeitumstellung (auf die bei der Pasta Party immer wieder hingewiesen worden war) und die Nähe zum Start angenehm stressfrei. Um ca. 08:00 sprach mich allerdings ein recht nervöser Hotelgast an: „Stimmt es, dass es 08:00 ist?“ „Ja.“ „Stimmt es, das der Start in zwei Stunden ist?“ „Ja.“ „Aber bei der offiziellen Rennuhr steht noch ‚noch eine Stunde bis zum Start.‘“ Aha, keine Ahnung, was soll ich da machen? Ich glaubte trotzdem, dass noch zwei Stunden Zeit war. Kurz ging ich vor die Tür, Wetter überprüfen. Über Nacht hatte es geregnet, die Straße war noch nass. Die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch, trocknen würde es wohl nicht, aber es schien trotzdem griffig genug für die LunaRacer zu sein, zumindest bei meinem Tempo. Angenehme Temperatur, wenig Wind – insgesamt also sehr gute Bedingungen.
Bald nach 09:00 machte ich mich auch den Weg, meinen Kleidersacke mit viel warmem Gewand für nach dem Lauf abzugeben, das Gewand zum Aufwärmen behielt ich noch an, das würde ich erst unmittelbar vor dem Start im Hotel deponieren. Wirklich sehr praktisch, dass alles so nahe beisammen ist. :) Beim Aufwärmen fühlten sich meine Beine einmal ganz gut an. Ein wenig müde war ich, aber das sollte kein großes Problem sein sondern bestenfalls einen zu schnellen Start verhindern. Ein wenig seltsam war nur das Gefühl durch meine immer noch vorhandene Restverkühlung – der Körper schien irgendwie „höhertourig“ zu arbeiten. Wie würde sich das auswirken? Aber insgesamt sprach wirklich alles dafür, das Wagnis < 2:50 einzugehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es nicht klappen würde. Gleichzeitig fürchtete ich mich davor und sah mich schon irgendwo am Randstein kleben. Diszipliniert würde ich sein müssen – mit einem zu schnellen Beginn würde alles schnell vorbei sein.
Entspannt ging ich nach dem Aufwärmen ins Hotel, entspannt genoss ich Privatklo ohne kilometerlange Schlange, entspannte legte ich Obergewand ab, entspannt kehrte ich in Startnähe zurück und aktivierte meine Beine noch einmal mit ein paar kurzen Steigerern. Alles so wunderbar praktisch in Frankfurt! Vor lauter Entspannung verbummelte ich fast, mich rechtzeitig in den Startbereich zu begeben. Überraschenderweise ;) konnte ich doch nicht von vorne in den Startblock zur Elite hineinspazieren, da waren zwei Absperrungen zwischen dem Aufwärmbereich und der Startlinie. OK, ich sah ein, dass das hier nicht der Hintertupfinger Dorflauf war und trollte mich, um von der Seite hineinzugehen. Nur war auf der linken Seite der Zaun leider über zwei Meter hoch, also wohl nicht zum Übersteigen gedacht. Jetzt aber schnell auf die andere Seite! Nach der Erfahrung aus dem Vorjahr relativ weit vorne, da viele langsamere Läufer unterwegs sind. Der erste Startblock ist m.E. leider zu groß definiert und reicht von 2:03 bis 3:15. Beim Versuch, in den Startblock zu kommen, die „üblichen“ Diskussionen: Die, die hinein wollten und die, die schon länger drinnen standen und meinten, wer jetzt noch käme, hätte eben Pech gehabt und solle sich hinten anstellen, wären sie eben früher gekommen. Ich versuchte, mich schmal zu machen, über den Zaun zu steigen ohne jemanden niederzutreten und mich auf die andere Seite des Startblocks durchzuarbeiten. Dort ging es viel bequemer und zum Glück auch freundlicher zu. Wieder waren alle „Lieblingsnachbarn“ überaus nett und zuvorkommend. Bei den Gesprächen rundherum fiel mir auf, dass in Deutschland der Hobbysport viel strukturierter und organisierter zu sein scheint. Überall war von gemeinsamem Training in Vereinen und Ähnlichem zu hören. Ebenso fiel mir auf, dass ich wohl nach wie vor in einem etwas zu langsamen Umfeld gelandet war. Ich hörte von „Wenn’s gut geht, schaffe ich 3:15.“ Hmmm, was laufen denn die anderen, die im 1. Block weiter hinten stehen??? Egal, es wird schon nicht so schlimm sein. Nach dem Startschuss (zum „Mitlaufen“ hier die Strecke: http://www.bmw-frankfurt-marathon.com/fileadmin/user_upload/starterinfo/FfM_Strecke_2011_Finale_Version_2011_10_10.pdf ) ging es in der Tat etwas stockend zur Sache, ein bisschen schubsen und geschubst werden und Zickzack laufen waren dabei, aber ich stresste mich nicht („Hält mich ja eh nur vor zu schnellem Anlaufen ab“) und nach ein paar hundert Metern war alles wieder in Ordnung. Der Startbereich in Frankfurt gehört wohl nicht zu den allergrößten Pluspunkten, von etwas langsameren Läufern hörte ich über noch mehr Gedränge weiter hinten, verglichen mit VCM oder Berlin (wenn man dort von der rechten Spur startet) ist es aber dennoch recht gut.
Der erste Kilometer war in 3:58 absolviert – das „ging noch“, nur hieß es jetzt, wo wieder Platz war, nicht schneller zu werden. Weiters galt es, so gut wie möglich nach vorne zu schauen und die Ideallinie zu suchen, da die ersten neun Kilometer in mehreren winkeligen Schleifen durch das Zentrum verliefen. Da wollte ich nicht unnötig Meter machen, indem ich vor einer Linkskurve rechts lief oder umgekehrt. Inmitten vieler Männer fiel mir nur eine Frau auf, eine Dänin, wie ich nach einiger Zeit an den Flaggen ihrer Eigenverpflegungsflaschen und der Aufschrift auf ihrem Shirt bemerkte. Ungefähr 24 Kilometer liefen wir mehr oder weniger gemeinsam – allerdings ohne ein Wort zu wechseln. Ich überlegte mir ja, meine Norwegischkenntnisse für eine gepflegte Konversation auszupacken, doch schien mir das dann doch etwas übermütig. :D

Mein Motto lautete von Anfang an: Was ich vorhabe, ist ein ziemliches Wagnis, eine Gratwanderung, da darf nichts schief gehen. Also kontrollierte ich regelmäßig mein Tempo. Als ich am zweite Kilometer eine Pace von 3:00/km (Durchschnittspace für diesen Kilometer) angezeigt bekam, war mir klar, dass ich mit diesem Wert nicht viel anfangen können würde. Schon beim Joggen am Freitag und Samstag war die GPS-Anzeige nicht allzu zuverlässig gewesen. Der zweite Kilometer blieb zwar mit 1,31 km in der Anzeige der längste, danach es ging etwas plausibler weiter, aber für meine Temposteuerung verwendete ich dann doch ganz „old school“ mein Körpergefühl und die (nach meiner Einschätzung) glücklicherweise richtig stehenden Kilometertafeln. Und immer: 4:01 darf ich für einen Kilometer brauchen. Eigentlich 4:00, weil eine Anzeige von 4:01 würde ja bedeuten, dass ich einige Hundertstel darüber war. Wenn es berauf ging und ich langsamer wurde, sollte das folgende Bergabstück um dasselbe schneller sein – und umgekehrt. Ich hatte mir leider nicht gemerkt, welche Gesamtzeit bei einer Durchschnittspace von 4:01 genau rauskommen würde – wie viel Reserve ich also auf die 2:49:59 haben würde. Hier würde wohl noch Optimierungspotenzial in der Vorbereitung bestehen. :) Zu km 7 ging es kurz bergab (3:50,1), zu 8 kurz steil bergauf (4:01,0), danach wieder kurz steil bergab (3:59,9). Die Zeiten passten ziemlich gut und das Laufen fühlte sich auch nicht anstrengend an. Dieses Stück (in unmittelbarer Nähe von Start und Ziel gelegen), das das unruhigste des Laufs ist und dreimal in ähnlichen Schleifen gelaufen wird, lohnt es sich, vor dem Wettkampftag abzugehen um sich einen Eindruck zu verschaffen, was einen erwartet. Dann folgte bis kurz nach km 10 eine längere Steigung (mein langsamster Kilometer in 4:09,8), anschließend ging es wieder bergab, wo es so richtig schön rollte (3:53,1), danach war das Auf-und-ab für längere Zeit vorbei. Frankfurt ist sicher eine gute Strecke, Berlin aber meiner Meinung nach doch etwas schneller.
Wie geheißen trank ich von Anfang an Iso – es gab Rosbacher Sport. Auf natürlicher Apfelsaftbasis und mit Kohlensäure – sicher kein schlechtes Erfrischungsgetränk, aber für einen Marathon für meinen Magen etwas zu „lustig“. So blieben als Alternative also nur Wasser und Tee – das würde weniger Energiezufuhr bedeuten, aber so hatte ich es ja auch schon früher immer gehalten. Aber bei diesem Lauf war alles etwas anders.
Bei ca. km 13 ging es über den Main. Kurz ging es ein paar Schritte bergauf, aber die Brücke war nicht unangenehm. Dann verlief die Strecke zwei Kilometer am Flussufer entlang – ein schönes Stück, ein bisschen dem Donaukanal ähnlich. Ein Läufer, auf den ich auflief, sprach mich an, er kannte mich vom Bodensee-Marathon, auch dort hätte ich ihn überholt. Ich dachte mir nur, bei dem Risiko, das ich nahm, wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn dieses Mal er vor mir ins Ziel käme. (Uiuiui – er lief dann 1:26:07 und 1:59:39. In der „inoffiziellen Rhein-Main-Trophy“ lag ich also vorne. :)) Meine Freundin „Joan“ und ich liefen immer noch gemeinsam, auch einen weiteren SAP, der auch mit mir ins Ziel kam, traf ich hier. Dieser „Mann ohne Hals“ faszinierte mich: Wie kann man nur mit so verkrampften, hochgezogenen Schultern laufen??

Bei km 15 sollte ich ein Gel nehmen – und anders, als ich jemals erwartet hätte, spürte ich wirklich Energiebedarf. Sehr merkwürdig !?!?! Kam es von der Verkühlung? Aber gut, nehme ich das Gel eben. Das zweite dann nochmals 15 Kilometer später und alles passt perfekt. Wäre ja auch blöd, die volle Packung wieder bis ins Ziel zu tragen.
Ha, denkste! Es sollte anders kommen.

Bei 1:00:15 sollte ich bei km 15 durchkommen. Die Zwischenzeit passte – ich lag ein wenig darunter, aber nicht gefährlich. Ich versuchte immer wieder, die Differenz zwischen offizieller Rennuhr und meiner Messung festzustellen, aber immer wieder schaute ich im falschen Moment auf die falsche Anzeige (was das offizielle Rennvideo auch wunderbar zeigt :)). Ca. 10 Sekunden müssten es sein. Oder doch 15? Irgendsowashalt … Das sah also jedenfalls wirklich ziemlich gut aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, es nicht zu schaffen – aber auch gleichzeitig nicht, es zu schaffen.
Beim Halbmarathon ging’s in – hmmm, wie war jetzt nochmal die Differenz zwischen meiner und der offiziellen Uhr?? – also in ca. 1:24:30 (tatsächlich: 1:24:17 und die Differenz betrug 17 Sekunden) durch. Mein zweitschnellster Halbmarathon. :) Und anders als in Bregenz fürchtete ich mich diesmal nicht, überpaced zu haben. Das sah gut aus! Jetzt nur noch einmal das gleiche. Die zweite Streckenhälfte hatte ich ungefähr gleich leicht bzw. gleich schwer in Erinnerung, jetzt also nur schön gleichmäßig weiterlaufen. Kurz nach dem Halbmarathon überholte ich eine schwarze Läuferin mit Elitenummer – was war mit ihr passiert? Wieso musste sie aufgeben? Wieso hörte sie nicht ganz auf? Wie musste sie sich fühlen, unter all den lahmen Hobetten, die da an ihr vorbeistapfen? Wenigstens ging es mir gut, an einen wirklichen Einbruch wollte ich nicht denken. Es ging gut dahin, Joan immer ein kleines Stück vor oder hinter mir, und auch Jürgen, den Mann ohne Hals, sah ich immer wieder. Die Strecke führte jetzt durch fast dörfliches Gebiet, die Stimmung war gut, immer wieder gab es Musik entlang der Straße.

Der Asphalt war auf diesen Kilometern etwas schlechter, sonst aber großteils der Strecke wirklich gut. Nur Zentrum bei der Alten Oper war mehrmals eine gepflasterte Passage zu laufen, doch fand ich diese nicht unangenehm und gerade an diesen Stellen sorgte die großartige Stimmung für den nötigen „Schub“. Ein Wort zur Stimmung: Streckenabschnitte mit toller Partyatmosphäre, Musik und vielen Zuschauern wechselten sich mit ruhigeren Passagen ab. Insgesamt also recht gut, mit dem NY City Marathon kann Frankfurt allerdings nicht mithalten und auch in Berlin ist wohl mehr los. Mir fiel es jedoch nicht negativ auf: Meine Beine und die Kilometertafeln waren mir Unterhaltung genug.
Bald ging es wieder zurück ans Nordufer des Main. Diese Stelle bei km 24 war mir als die unangenehmste in Erinnerung: Eine „Schnecke“ die Schwanheimer Brücke hinauf. Ein gewaltiger Berg war das!! Doch diesmal ging es – hopphopphopp – zügig hinauf, einige Teilnehmer konnte ich mühelos hinter mir lassen. Am Brückenkopf stand eine Band und rockte „Über diese Brücke musst du geh’n, siebenhundert Meter übersteh’n …“ – ich fragte mich, ob die eigentlich die ganze Zeit das gleiche spielen würden (denn ich hatte sie schon von sehr weit gehört und der Sound verfolgte mich noch die ganze Brücke entlang – immer das gleiche Lied …). Nein, taten sie nicht, wie ich nach dem Lauf von Martin erfuhr.
Doch plötzlich sah die Welt anders aus. Aus dem mühelosen Hopphopphopp wurde auf einmal ein zähes Schleppschleppschlepp. Keine Energie mehr. Die Energie des Gels hatte also nur 10 km angehalten. Ein Gel hatte ich ja noch – aber noch ca. 17 km vor mir. Was also machen? Ein bisschen Arithmetik: Die Mitte zwischen Ziel und km 15, wo ich das erste Gel genommen hatte, wäre bei 28,5 km. Bis dorthin würde ich hoffentlich durchhalten – weit war es ja nicht mehr – und wenn ich mich dort stärke, schaffe ich es hoffentlich auch bis ins Ziel. Sind ja nur mehr drei Kilometer bis zu nächsten Jause! Aber denkste, wenn die Speicher leer sind, ist es nicht lustig. Und da war ja auch der Streckenabschnitt, den ich nach dem letzten Jahr mit Erfolg verdrängt hatte: Eine fiese Wendeschleife, noch dazu mit „Anstieg“ als Bonus. Das war schon wirklich mühsam, bergauf ging da gar nichts mehr und bald war klar: Ich muss jetzt, 1,5 km vor dem eigentlich geplanten Punkt, mein Gel verspeisen – was dann wird, wenn dessen Wirkung aufgebraucht ist, überlege ich mir dann. „Natürlich“, weil es doch eh schon zäh war, ließ ich es beim Versuch, die Packung zu öffnen, fallen. Kurz, sehr kurz, überlegte ich, was zu tun wäre: Wenn ich stehen bleibe und es aufhebe verliere ich vielleicht – maximal – fünf Sekunden. Wenn ich weiterlaufe, stehe (oder vielmehr: liege) ich spätestens zehn Minuten später. Zum Glück war das Feld schon deutlich aufgelockert und durch den Anstieg auch das Tempo nicht so hoch, also war auch kein Problem, mein Gel einzusammeln. Mit 4:06,9 schlug sich dieser Kilometer zu Buche. Frisch gestärkt ging es wieder wunderbar dahin – eigentlich unglaublich diese Wirkung. Die nächsten neun Kilometer waren wieder großteils unter 4:00, der Schritt noch locker und flüssig – ich stellte mir vor, ich müsste wie aus dem Lehrbuch entsprungen laufen. :) Vor dem, was mich aber erwarten würde, fürchtete ich mich bereits. Wie gut würde der Traubenzucker, den ich noch eingesteckt hatte, helfen? Was würde sich mit Cola noch machen lassen?
Ab nun trachtete ich danach, vor allem Cola zu erwischen und hoffte, dass mein Magen da auch mitspielen würde. Nach einigen Kilometern nahm ich auch die erste Hälfte meines Traubenzuckers. Meine Beine waren vorbildlich unterwegs, ich hatte ihnen gegenüber richtig schlechtes Gewissen, sie so mangelhaft mit Energie zu versorgen. Der Gedanke daran, dass mir das Forum wohl auf die Beine (bzw. den Chip) schauen würde, motivierte mich zum Zähne-Zusammenbeißen. :D
Langsam näherte sich die Strecke wieder dem Zentrum und schlagartig war auch wieder mehr los. Bei km 35 ging es los, auf einmal wurde wieder geschrieen, gepfiffen und getrommelt. Und was machte ich? Ich gab, frisch gestärkt mit Cola und meiner zweiten Traubenzuckerhälfte, auf einmal Gas. War ich irre? Es lagen doch noch fast 7 km vor mir, ich hatte nur mehr minimale Energiereserven und gab so Gas?? Recht schnell bremste ich mich wieder ein, aber es war schon fast zu viel gewesen. Sieben Kilometer … bei einem Marathon scheinbar nicht viel – andererseits eine ganze LCC Runde, also bei weitem ausreichend, um brutal einzugehen. Mir wurde auch schon etwas schwindlig. Es kam eine Stelle, wo vor mir auf einmal eine relativ dichte Gruppe lief, es in ein „S“ rechts-links ging und die Zuschauer teilweise auf der Strecke etwas im Weg standen. Für eine Marathonläuferin im Delirium eine echte Herausforderung also. :) Ich versuchte, den Randstein im Auge zu behalten, nicht darüber zu stolpern, in niemanden der anderen Läufer hineinzulaufen und auch keinen allzu große Umweg von der Ideallinie zu nehmen. Ein schwieriges Unterfangen … Tunnelblick vom Feinsten … Einem anderen knapp vor mir schien es auch nicht viel besser zu gehen – er stolperte. Oh Gott! Ich sah mich schon über ihn drüberfliegen, der Boden kam mir entgegen, aber glücklicherweise konnte er sich noch auffangen und ich entging der Gefahr durch einen Bocksprung irgendwie. Danach war ich jedenfalls wieder munterer. :) Hätte ich zu dem Zeitpunkt einen Zuschauer mit einer Gelpackung oder etwas Ähnlichem gesehen, ich hätte sie ihm gnadenlos entrissen. Aber leider war da nichts.
Bei km 36,5, schon in Zielnähe, kam mir Andrea Mayr entgegen. Daumen mal Pi gerechnet müsste ihr Lauf eine sehr gute Zeit ergeben. Ich hörte auch, wie Rainer Kornherr, der drittschnellste Österreicher, angekündigt wurde. Von der sensationellen Zeit des Siegers Wilson Kipsang in 2:03:42 hörte ich erst später. Das Ziel war schon bald in Reichweite, bald, bald würde ich auch dort sein, davor ging es aber wieder ein paar Kringel durch’s Zentrum, ähnlich wie nach dem Start. Darunter war natürlich auch der Anstieg – der fünfte und letzte der Strecke. Eigentlich von der Art, wie ich sie halbwegs mag: Eher steil aber kurz, und bei km 8 war er mir ja auch leicht gefallen. Aber diesmal war es wesentlich zäher …Ein paar andere Läufer feuerten mich an. Eh sehr nett, und mir war ja auch klar, dass ich es ins Ziel schaffen würde, es war ja wirklich nicht mehr weit, aber Druck machen war definitiv nicht mehr drin. Es war eher ein marionettenhaftes Stolpern. Am höchsten Punkt des letzten Anstiegs angekommen waren ja nur mehr weniger als drei Kilometer vor mir. Bei der letzten Labestation lachten mich einige verwaiste Flaschen der Eliteläuferverpflegung an. Sollte ich …??? Benötigt würden sie ja nicht mehr … Aber nein, das kann man ja nicht machen … Immerhin nahm ich mir dann eine halbe Banane – ein paar kJ davon würde ich ja vielleicht verwerten können, und das Kauen lenkte auch von den Mühen ab.
Aber nicht einmal bergab konnte ich mehr Tempo zulegen. Km 40 und 41 dauerten 4:06:07 und 4:06:25. Nach km 41 war mir aber klar: So mühsam es war, und obwohl es nix mehr mit den Viererschnitt war, das würde eine gute, eine richtig gute Zeit werden! Jetzt noch einmal alles mobilisieren, was da ist, wenn ich im Ziel liegen bleibe, macht es nichts! Tatsächlich konnte ich ein paar Läufer überholen, der Jubel trug mich und km 42 legte ich in 3:57,85 zurück.
Von den Schnörkeln im Zentrum – Taunusanlage, Mainzer Landstraße, Bockenheimer Landstraße, etc. – hatte ich schon völlig die Orientierung verloren, aber plötzlich sah ich die Läufer vor mir links abbiegen. Aha, links ?!?! Ich hätte ja das Ziel zwar rechts in Erinnerung gehabt, wollte aber nicht stur sein und schloss mich doch den anderen an. Und da kam auch schon die km-Marke 42. Juhu! Aber musste das sein? Wo die Strecke die Straße verließ und auf den Vorplatz der Messehalle abzweigte, ging es schon wieder hinauf – natürlich nur ein wenig, aber ich war wirklich schon am Limit. Und noch dazu Gegenwind! Aber wie war es im Programm gestanden? „Die letzten 60 Meter (leider zu wenig, um den tollen Einlauf lange genug zu genießen) durch die Festhalle“. Also in der Festhalle würde es wohl flach und windstill sein, daher müsste ich nur noch 135 Meter im Freien durchhalten. Und nach einem link-rechts-links ging es endlich hinein – auf den Roten Teppich. Lichtershow, Konfettiregen, ich wurde anmoderiert und sie spielten „I am from Austria“ für mich! Na ja, nicht unbedingt mein Geschmack und sie hatten es wohl noch von Günther und Andrea „am Plattenteller“, aber dennoch ein unbeschreibliches Gefühl. Einmal gab es noch das „Spiel mit der Rennuhr“. Sie zeigte 2:48:hochirgendwas. Mit meiner Differenz von ca. 15 Sekunden müsste sich das doch ausgehen, unter 2:49 zu bleiben! Augen zu und rennen!

Unglaublich. Ein Wahnsinn. Ich war im Ziel. Und am Ende meiner Kräfte. Ein unbeschreiblicher Lauf. Zwar hart am Schuss aber wirklich großartig. Den „Vierer“ in der Mitte, von dem ich so geträumt, den ich schon vor mir stehen gesehen hatte, nun hatte ich ihn, er war wahr geworden. Was zeigt meine Uhr? 2:48:54 (offiziell dann 2:48:53, 31. Frau). Ich hab’s geschafft! Das Ziel, der Traum, irgendwann einen Marathon unter 2:50 zu laufen, war in Erfüllung gegangen. Einerseits – endlich! Andererseits – doch so schnell und fast mühelos. Meinem Medaillenumhänger fiel ich um den Hals, dann sank ich zu Boden. Eine kurze Pause musste einfach sein. Neben mir sah ich auf einmal wieder den Mann ohne Hals – er hatte doch einen und um ebendiesen fiel ich ihm. :) Er war ebenfalls glücklich und dankte mir, dass ich ihn so motiviert hätte, sich anzuhängen. Aha?? Und warum hat er mich dann nicht mitgenommen?
Danach räumte ich das Feld, holte mir meine Rose und stärkte mich kurz, holte mir aber vor allem mein Gewand. Ein Stück Weg durch’s Messegelände war zurückzulegen, aber meinen Beinen ging es gut und Rolltreppen waren außerdem vorhanden. Auf dem Weg zur Kleideraufbewahrung kamen mir – ebenfalls zufrieden – Martin und Vereinskollegin Katja, die ein stückweit gemeinsam gelaufen waren, entgegen. Warm verpackt ging es nun zu der großzügigen Zielverpflegung zurück, wo ich es mir mit Gemüsesuppe, Weintrauben, Äpfel, Orange, Bananen, Cola, Iso, Radler, alkoholfreiem Bier und Kuchen gut gehen ließ – für einen Marathon dieser Größe wirklich eine bemerkenswerte Zielverpflegung. Die Massage ließen wir jedoch aus, zu lange die Warteschlange davor. Mit Ziel auch beim Messegelände war es nahe liegend, dass die Messe auch nach dem Lauf geöffnet hatte – wir machten noch eine letzte kurze Runde durch die Verkaufsstände. Marathonshirts gab es allerdings nicht mehr in meiner Größe, ich hätte jetzt durchaus zugeschlagen. Wer also unbedingt Souvenirs ergattern will, sollte vielleicht auf Nummer sicher gehen und schon am Vortag zuschlagen, aber sonst bietet sich für Spätentschlossene noch einiges.
Den restlichen Tag und auch den Montag schwebte ich noch – für die Rückreise nach Wien nahmen wir aber doch ganz konventionell den Air Berlin Flug, wieder gemeinsam mit einer Menge anderer Marathonis. Die am Gate wartenden Nicht-Läufer taten mir richtiggehend leid, inmitten des Marathongeschnatters. :)
Wieder in Wien angekommen konnte ich bei der Gepäckausgabe noch einmal Roman hinter mir lassen – ein rundherum erfolgreiches Wochenende. :)
hippocampus abdominalis

Offline dogrun

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #2 am: 09.12.2011, 15:44:26 »
Wieder mal so ein "Carola"-Bericht, irre lang aber beim Lesen dann leider wieder so schnell vorbei.
Gratuliere nochmals!
„Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine / Kürzt die öde Zeit / Und er schützt uns durch Vereine / Vor der Einsamkeit.“ (Joachim Ringelnatz)

Offline Tschitschi

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #3 am: 09.12.2011, 16:06:37 »
Bist ein Hammer!!wow, Gratuliere,packender Bericht
"man muss wissen bis wohin man zu weit gehen kann" jean Cocteau

Offline heitzko

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #4 am: 09.12.2011, 17:09:07 »
ach, ich werde ihn die vergessen den bericht in welchem du..... den roman weger besiegt hast :D ;)

scherz beiseite, ein großartiger lauf, besser geht es eigentlich nicht mehr! ich freue mich sehr für dich, dass das so gut geklappt hat! das geheimrezept heißt also einfach ein paar tage vorher bierkisten schleppen ;).


Offline JM

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #5 am: 09.12.2011, 21:50:56 »
Sehr spannender Bericht. Du bist echt großartig gelaufen. Nur dann wieder die Frage nach dem danach ? Ein "dreier" wäre übertrieben, dann musst wohl auf andere Disziplinen ausweichen. TAR (mit Martin), Wildsaulauf oder ähnliches ?
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Offline JFK70

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #6 am: 09.12.2011, 23:14:05 »
Gratulation! Nach dem Bericht stellt sich nur noch eine Frage: Wie ist das Limit für London? Wenn eybl für dich im Frühjahr 2 Gels mehr rausrückt und einen ordentlichen Pace Maker engagiert - vielleicht dogrun für die ersten 25 km oder  Roman Weger ;) ??? Wer weiß...
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Offline shiloh

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #7 am: 10.12.2011, 21:08:42 »
Hut ab! Exzellente Leistung, auch mit so einer Verspätung zum Lauf noch so viel Leidenschaft und Emotion in den Bericht zu bringen.
btw wer ist denn der Hauptsponsor? BWM - Bendl will mehr? ;)
It`s good to have an end to journey toward, but it`s the journey that matters, in the end. (Ernest Hemingway)

Offline shiloh

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #8 am: 10.12.2011, 21:09:13 »
Limit für London dürfte 2h34 sein...
It`s good to have an end to journey toward, but it`s the journey that matters, in the end. (Ernest Hemingway)

Offline helga

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #9 am: 12.12.2011, 08:29:16 »
If you can dream it you can do it (V.R.) Gratuliere dir herzlich!!!!
Der Weg, auf dem Sie Ihre Ziele erreichen, ist genauso individuell, wie Sie selbst. (Klaus Weiland)

Offline Pizzipeter

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #10 am: 12.12.2011, 10:45:36 »
Gratuliere zur neuen PB!
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Offline run4fun

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #11 am: 14.12.2011, 08:31:40 »
Bewundernswert. Tolle Leistung. Spannender Bericht --> ich glaube, dass Buch ist jetzt schon fast fertig ...
Gratuliere dir nochmal!
Ernährung für Ausdauersportler
http://endurancefood.blogspot.co.at/

Offline Richy

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2011-10-30 BWM Frankfurt Marathon - cbendl
« Antwort #12 am: 12.01.2012, 15:15:04 »
Da schau her - da gibt es nun einen Bericht vom Rekordlauf. Den hab ich im vorweihnachtlichen Getümmel übersehen ...
Beim Laufen warst schneller wie beim Bericht schreiben ;)
Ansonsten - großartig. Lauf und Bericht. Würde ich Dich nicht kennen, würde ich fast meinen - zache Haut ;) - aber in deinem jugendlichen Alter geht noch was - da muss man noch nicht zum Ultra wechseln ;)
Würdiger Abschluss einer starken Saison :)

 

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