Autor Thema: 2013-07-06 4th IAU Trail World Championships - cbendl  (Gelesen 1166 mal)

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Datum: 2013-07-06
Event: 4th IAU Trail World Championships
Distanz: 77.000 km

Ersteller: cbendl

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2013-07-06 4th IAU Trail World Championships - cbendl
« Antwort #1 am: 06.07.2013, 00:00:00 »
Es war nicht leicht, aber es war gut.

Schon beim Wiener 100-km-Lauf in 2012 kam im Ultrateam die Sprache auf die 2013 anstehende Ultra Trail WM. Irgendwo in Großbritannien, durch’s Moor, oder so, sollte es gehen. „Das wäre doch etwas für uns rennsteigerfahrene Ultradamen“ hieß es da seitens der Chefs (auch wenn der Rennsteiglauf ja eigentlich hauptsächlich über kinderwagentaugliche Waldwege geht). Obwohl ich jetzt nicht gerade die allerbeste Trailläuferin bin, klang die Idee doch reizvoll. Ich meldete also mal mein Interesse an.
Einige Monate später, Ende November, fragte der ÖLV-Ultralaufreferent mit einem vorläufigen Terminplan aller internationalen Ultralaufmeisterschaften an, wer denn nun wo starten wollte. Bei der Ultra Trail WM, geplant für 7. Juli auf Anglesey in Wales und den 100 km, geplant für Jeju in Südkorea am Oktober war ich natürlich sofort dabei! Und da eine WM Teilnahme ja eigentlich nur mit einem Team sinnvoll ist, machte ich mich auch daran, mögliche Kolleginnen und Kollegen zu „bearbeiten“. Bald danach stand auch wirklich ein kleines, aber vielversprechendes Damenteam: Karin Russ und Sabine Hofer würden mitmachen. Ein paar mehr, und auch ein Herrenteam wäre natürlich besser gewesen, aber auch so war zumindest die Basis vorhanden. Damals dachte ich mir noch, dass ich im April „privat“ einen ordentlichen Marathon in Mailand laufen und dann den Rest des Jahres einen Schwerpunkt auf Ultra legen würde. Naja, es kam bekanntlich leider ganz anders. Es fing damit an, dass noch im Winter die Ausrichter der 100 km WM ihr Angebot aufgrund finanzieller Engpässe zurückziehen mussten. Man bemühe sich um einen anderen Ausrichter, hieß es, nur das wäre nicht so einfach.
Als nächstes begann die Ultra Trail WM zu „wackeln“. Eigentlich hätte man ja überall für Anfang des Jahres Informationen über den genauen Austragungsort, Streckenlänge, Streckenbeschreibung, Zeitplan, Unterkünfte usw. erwartet, aber stattdessen gab es nur die unerfreuliche Information, dass es Schwierigkeiten mit Ort bzw. Termin, bzw. eigentlich der Kombination der beiden gäbe. „Man bemühe sich um eine Lösung“, hieß es. Im Forum des US-Ultralauf-Nationalteams (man wird erfinderisch, bei der Suche nach Informationen :) ) fand ich den Hinweis, dass es mit der Brutzeit von auf Anglesey lebenden, einzigartigen Vögeln zu tun hätte. Na gut, aber hätte man das nicht früher wissen können? Als Optionen waren eine Verlegung auf den September, eine Verlegung nach Irland, oder sonstige, nicht näher bekannte Lösungen im Gespräch. Also keine Informationen …
Aus meinem ersten Hauptziel des Jahres, dem Mailand Marathon, wurde aufgrund meinem (Ermüdungsbruch im Mittelfuß Ende März) nichts. Anfangs rechnete ich ja noch mit einer kurzen Verletzung und dachte über Alternativmarathons, z.B. Linz, nach. Oder, die andere Möglichkeit wäre, ohne einen Marathon in den Beinen mit frischen Beinen einen besonders guten Rennsteiglauf zu laufen. Denn – „Ich bin ja sicher eh nur kurz verletzt.“ Mehrheitlich (manchmal, aber nicht allzu oft, von Motivationstiefs unterbrochen) trainierte ich einigermaßen fleißig weiter – am Rad (bzw. angesichts des ewigen Winters eher Ergometer), Aquajogging, Schwimmen, Krafttraining. Die Form sollte ja erhalten bleiben. Linz fand ohne mich statt. Na gut, dann eben Rennsteiglauf Ende Mai. Oder zumindest, wenn ich nicht ultrafit bin, laufe ich in Wien den termingleichen Frauenlauf. Wenn schon keine tolle Zehnerbestzeit, dann muss der ja zumindest „recht gut“ gehen. Hm, aber irgendwann bekam ich die Prognose, gerade zu diesem Zeitpunkt erst wieder mit dem Training beginnen zu können. Wirklich? Kann es das geben? Mehr als Abwarten blieb mir ohnehin nicht übrig. Wie es im meinem Fuß „wirklich“ aussah wusste ich ja, aufgrund der Ruhigstellung mit Carboneinlage, nicht.
Aufgrund dieser Zwangspause, verbunden mit der Unsicherheit über alles, was die WM betraf, wurde meine Neigung, da mitzumachen, immer geringer und geringer. Aber die Gewissheit hätte ich zumindest gerne gehabt. Seitens IAU gab es regelmäßig Ankündigungen, dass es „bald“ gesicherte Informationen geben würde. Mitte April, also keine drei Monate vor dem geplanten Termin, war ich dann soweit und bereit mir meinen „schwarzen Punkt“ zu holen: Ich schrieb dem IAU Kommunikationschef eine E-Mail und wollte wissen, wie nun der Stand wäre. Gibt es eine WM? Und wenn ja, wann und wo? Oder zumindest: Wann würden sie eine Go-/No-Go-Entscheidung fällen? Insgeheim hoffte ich ja schon auf eine Absage … :( Erstaunlich schnell bekam ich von ihm die Antwort, dass er meinen Wunsch sehr gut verstehe und ich völlig recht hätte nachzufragen. Sehr bald würden sie uns wirkliche Informationen liefern können … Und noch in derselben Nacht kam dann vom IAU Präsidenten höchstpersönlich eine Mail mit Termin, Ort, ungefähre Streckenlänge, Infos zu Unterkünften und erster Presseaussendung.
Nun war es also offiziell. Hm, was machen? Ein „Ich hab keine Lust mehr“ und „Ich werd' nicht die Form haben, wie ich sie mir vorstelle“ ist kein sehr gutes Argument, eine Zusage zurückzuziehen, wie ich meine, insbesondere wenn vom Zustandekommen eines ganzen Teams auch die Travel Grants (teilweise Reisekostenrückerstattung) abhingen. Karin und Sabine waren voller Begeisterung dabei, freuten sich auf die WM und bereiteten sich fleißig vor. Also hieß es in den sauren Apfel zu beißen und sich da irgendwie durchwurschteln. Die lahme Ente, der Klotz am Bein der anderen zu sein, darauf hatte ich wirklich wenig Lust – aber es gab eben keine andere, die laufen würde.
Am 8. Mai, also eigentlich sehr schnell, hieß es, meine Fraktur im Mittelfuß wäre verheilt. Jetzt kann und soll ich die Einlagen weglassen und mit dem vorsichtigen Laufen beginnen. Vorsicht? Wozu? Ich bin doch wieder gesund? Der erste Laufversuch zeigte mir das Gegenteil. Anfangs (was soviel heißt wie: nur wenige Minuten) ging es gut, aber das Laufen strengte mich sehr an, und nach einiger Zeit kamen Schmerzen im Fuß.
Ich sollte es trotzdem probieren hieß es, aber nicht mehr als fünf Minuten am Stück laufen, dann Gehpause. Der zweite Versuch ein paar Tage verlief nicht viel besser. So holte ich mir eine zweite Meinung ein, diese war ähnlich. Leichte Belastung wäre gut, aber fünf Minuten am Stück laufen doch vermutlich zu viel. Ich sollte es bei einer Minute belassen und immer darauf achten, unter der Schmerzgrenze zu bleiben. Immerhin nicht ganz so brutal. :) Mit Einminutenintervallen konnte ich laufen, aber danach tat mir der Fuß trotzdem weh. Ich hatte nicht den Eindruck, als würde es mir gut tun.
Und die Aussicht, in Wales zu laufen, wurde immer mehr zur Horrorvision. Mehr als anzureisen, zu starten und dann wieder aufzuhören konnte ich mir nicht vorstellen.
Rennsteiglauf fand ohne mich statt. Den Frauenlauf mühte ich mich mit meinen 1-1-Intervallen entlang, aber danach raunzte ich abermals meine Therapeuten an, dass das Laufen doch nicht gut wäre, und sie hatten Einsehen mit mir. Bis auf weiteres blieb mir Laufen erspart, nur Radfahren und Therapie standen an. Uff! Wunderbar!
Ende Mai wurde es noch einmal spannend. Karin Russ musste aus beruflichen Gründen absagen – und ich wusste wirklich nicht, ob ich mich freuen oder enttäuscht sein sollte. Nicht, dass ich (angesichts meiner Verfassung) mit einer Teammedaille gerechnet hätte, aber ohne Team wäre die Sache noch eine Stufe sinnloser … Findet man, nicht einmal eineinhalb Monate vor dem Event Ersatz? Wo wir doch schon zuvor versucht hatten, ein paar mehr ins Boot zu holen? Was sind also die Alternativen? Ich wusste es wirklich nicht, fragte aber doch ein paar Athletinnen, von denen ich mir zumindest theoretisch eine Teilnahme vorstellen könnte. Ich war zwar nicht erfolgreich, aber Sabine schaffte es innerhalb kürzester Zeit, Ulli Striednig anzuwerben – schneller als ich noch eine Warnung über meine Verfassung aussprechen konnte …
Nun war also der Stand von zuvor wiederhergestellt. Zwei fitte, motivierte Athletinnen – und ich. :( Eine schwierige Situation. Auch Winfried, der sich bereiterklärt hatte, als Betreuer mitzukommen, und dem ich ja nicht (schon wieder) zumuten wollte, „für nix“ durch die Lande zu reisen, nahm mir die Entscheidung nicht ab. Na gut, was soll’s. Der Flug war gebucht, große Zusatzausgaben würden nicht mehr dazukommen, vom finanziellen Standpunkt her würde es also keinen großen Unterschied machen. Kurz mal Urlaub machen schadet auch nicht, also alle Pläne unverändert lassen. Es blieb noch die „Hoffnung“, dass etwas mit den Flügen nicht klappen würde. Diese hatte ich nämlich bei einem etwas zweifelhaften Portal gebucht (aufgrund der – nicht freiwilligen – späten Buchung waren alle brauch- und leistbaren Flüge von seriösen Anbietern schon weg). Also vielleicht … würden wir blöd am Flughafen stehen und keine gültigen Tickets haben. Dann gäbe es im Idealfall eine Entschädigung, zwei eingesparte Urlaubstage und eine valide Entschuldigung gegenüber dem Team. Aber das war natürlich nur eine Option, also galt es halt zumindest irgendwie weitertrainieren. „Notfalls“ auch eine gehende Teilnahme an einem Sechsstundenlauf – wenn Wetter für Radfahren gar zu grauslich war. 40,1 km und der vorletzte Platz (und ein Mordsmuskelkater!!) wurden es beim Sri Chinmoy Lauf Anfang Juni. :)
Endlich, es war schon der 5. Juni, machte der Fuß einen solchen Eindruck, dass der Therapeut sagte, dass ich jetzt wirklich laufen können sollte. Mit zehn Minuten gehen zum Aufwärmen, dann eine Minute Laufen und eine Minute Gehen im Wechsel – insgesamt nicht länger als dreißig Minuten! – und abschließend zehn Minuten Gehen. Das klappte dann – endlich! – recht gut. Leichte Schmerzen waren dabei, aber so, dass ich damit rechnete, dass sie über Nacht vergehen würden, was auch stimmte. Am nächsten Tag dasselbe Programm. Es funktionierte besser. Juhu, das macht die Langzeitverletzte froh! Bloß – wie sollte ich einen Monat später eine *Ultra* (!) *Weltmeisterschaft* (!) bestreiten können? Wieder zipfte mich diese Verpflichtung ziemlich an. Jetzt wäre nämlich eigentlich der richtige Zeitpunkt um vorsichtig ins Laufen einzusteigen und für den Herbst aufzubauen. Naja, aber ich hatte es ja versprochen … Ich nütze also die nächste Gelegenheit zwei Tage später, in der „Hellsklamm“ auszuprobieren, wie sich trailiges Laufen anfühlen, und wie sich die Schuhe, die ich vor Monaten günstig erstanden hatte und die seither, mangels Testgelegenheit, ungetragen zu Hause auf ihren Einsatz warteten, machen würde. Der Test zeigt: Die Brooks Pure Grit wären von Grip und Bequemlichkeit her OK. Laufen im Gatsch für den malträtierten Fuß deutlich besser als Asphalt. Spitze Steine und Bergablaufen nicht so super. Und viele Höhenmeter matschiger Boden für meine Oberschenkel ein ordentlicher Hammer. So einen Muskelkater hätte ich nicht erwartet!!
Am nächsten Tag lief ich dann schon 6 km am Stück! Tolle Steigerung, aber leider immer noch nicht allzu ultralich. Die nächste Woche stand dann wieder im Zeichen des „wieder ins Laufen reinkommen“. Diverse kurze Läufe, die unterschiedlich gut, aber insgesamt schon brauchbar klappten, aber aus Zeitmangel nichts Langes. Der Mut, am nächsten Wochenende beim Wiener 100er den 50-km-Bewerb zu laufen, fehlte mir allerdings. Die „streng stressfreie“ ;) Staffel, die Katrin organisierte, kam mir aber recht. Ca. 17,5 km über mehrere Stunden verteilt zu laufen konnte ich mir schon recht gut vorstellen. Schlimm war es nur anfangs, 06:00 Start nach einer harten Woche war einfach nicht das Wahre für ein gutes Laufgefühl. Mit der Zeit kam ich aber gut rein, nach meinen in der Früh ganz gut absolvierten 20 km übernahm ich am Nachmittag, als sich bei der zweiten Schicht Verschleißerscheinungen zeigten, noch zwei weitere Runden. Mit 25 km war ich schon zufrieden, und unser Ultralaufreferent, der sich auf der 100-km-Distanz vergnügte, war es auch, als er mich humpelfrei laufen sah. Weil es „eh schon wurscht“ war (für eine gezielte Vorbereitung war es viel zu spät), ich ein bisschen hügelig laufen, noch eine andere Schuhoption testen und einen Lauf, der mich schon länger interessiert hatte, kennenlernen wollte, ging es tags darauf nach Heiligenkreuz bzw. Siegenfeld zum Wappenlauf. Der Lauf war sehr schön, die Inov8 F-Lite 195 gut, aber für lädierte Füße vielleicht doch etwas leicht, der zweite Platz in der aktuellen Verfassung überraschend, das Laufen im Flachen gut, bergab immer noch gebremst und bergauf müüüüüühsam. :) und die 10,4 km meine längste durchgehend gelaufene Strecke. Das war drei Wochen vor der WM. Jetzt war es an der Zeit, ein bisschen die Umfänge zu steigern. :)
Also, nächstes Wochenende dann richtiger Trainingsbeginn, und auch gleich Abschlusstraining. Das muss ja gehen. Tschitschi mit seiner Vorbereitung für den Paris Marathon war mein Vorbild.
Freitag RudLT, Samstag Trail Maniak Lauftreff (mit insgesamt 16,24 km), Sonntag nochmals RudLT. Und: Der Körper erinnerte sich wieder an’s Laufen. Zumindest fühlte sich der Sonntags-RudLT müheloser an als der Freitag. Mit diesem (kleinen) Dreierpack fühlte ich mich langsam gerüstet, die auf mich wartenden Herausforderungen anzunehmen.
Noch stand mir die Veitsch bevor. Wieder ein Lauf, wo ich zwei topfitten und –motivierten Kolleginnen (kommt mir das von irgendwoher bekannt vor? ;) ) meine Teilnahme versprochen hatte. Es ging immerhin auch um Meisterehren, und der Team-Titel war das Ziel. Gleichzeitig rechnete ich damit, dass mit einer solchen – zugegeben, etwas brutalen – „Trainingseinheit“ sich bei der Form noch gerade rechtzeitig vor Wales etwas tun würde, und ein Test, was gehen würde und was nicht, war es auch. Also auf zur Veitsch, und die Sache irgendwie mit Anstand und verletzungsfrei absolvieren!
Auf der Veitsch hatte ich einen denkbar schlechten Tag. Da passte gar nichts, es stellte sich kein Laufrhythmus ein und die Sache machte mir keinen Spaß. Immerhin war ich mit Martin gemeinsam unterwegs und nach Abstimmungsschwierigkeiten in der ersten Hälfte konnten wir auf der zweiten Hälfte gemeinsam über die nicht endende Strecke und eine aufgrund von Waldarbeiten nötige, aber nicht gerade attraktive Streckenänderung (20 Minuten Forststraße pur statt schöner Waldweg) fluchen … Die Goldmedaille, die wir dann tatsächlich erlangten (plus unerwartetes Teamsilber unserer Männer, das eigentlich die wahre Sensation war) machte mir natürlich doch Freude. Für eine tolle Einzelleistung war ich ja auch nicht angetreten. Meine miese Leistung redete ich mir (wohl halb Wahrheit, halb Illusion) schön, indem ich meinte, dass ich auch unter besseren Umständen nicht weit vorne gelandet wäre (Platz 10 oder 7 ist ja „auch schon wurscht“) und die schlechte Tagsverfassung bewahrte mich davor, mich komplett abzuschießen und auszupowern.
Letztendlich war der Lauf auch für den Kopf gut. Im Ziel fragte ich mich, ob ich es mir denn vorstellen könnte, (grob geschätzt) auch noch zwei Stunden länger zu laufen. Ich konnte es, das war gut. Außerdem hoffte ich, in Erinnerung an Seregno, an ein paar „WM-Touristen“. Dort hatte uns das kleine mexikanische Team erzählt, dass sie keinen besonderen sportlichen Anspruch hätten, aber die Ultra-Weltmeisterschaften als willkommene Gelegenheit für günstige Reisen wahrnehmen würden. Anscheinend gab es nicht mehr als eine Handvoll Mexikaner, die den Modus von Ultra-Weltmeisterschaften kannten … Auf sie, und ähnlich „ambitionierte“ Athleten hoffte ich, um nicht allein die Streckenposten von ihrem Feierabend abzuhalten.
Nach dieser verhältnismäßig geglückten Generalprobe wollte ich mir noch einmal die Füße ein bisschen „einrichten“ und tapen lassen. Alles zupicken, was nur geht. :) Leider, das war für mich ein ziemlicher Schreck, wurde Thea ziemlich unmittelbar nach der Veitsch ordentlich krank und hatte andere Sorgen als am Tag vor meiner Abreise noch meine Knöchelchen einzurichten. Meine Anfrage, ob jemand mir so kurzfristig helfen könnte brachte zumindest einen Teilerfolg: Tschitschi erinnerte mich, dass er nach dem Tapeworkshop ein Buch verschickt hatte, ich könnte doch dieses konsultieren. Dort fand ich tatsächlich etwas, das meinen Zwecken zu entsprechen schien. Physiotherapeutische Behandlung war also leider nicht möglich, aber zumindest die passenden Tapes. Und zum Glück fühlten sich meine Füße ohnehin relativ gut an.
Nun ging es also wirklich nach Llandudno in Wales. Die Anreise klappte wie am Schnürchen – die Tickets waren nicht gefaked oder Ähnliches. ;) Nur eine Fieberblase, die sich auf einmal während des Flugs bildete irritierte mich ziemlich – das verheißt normalerweise nichts Gutes – und müde war ich. Ein kurzer Lauf Donnerstag Abend brachte immerhin keine „echten“ Probleme zutage. Es war einfach nur so, wie man sich nach einem langen Reisetag eben fühlt …
Kurze Abstimmung mit Sabine und Nobert, Monika und Evelin, dem Rest der „Salzburger Fraktion“ die bereits einen Tag früher angereist waren, gab es auch. Sie waren bereits die gesamte Strecke abgewandert. Die Botschaft: Die Strecke ist heftig! Und die (etwas dubios erscheinenden) angeblichen 2500 Höhenmeter auf der Streckenskizze, sollten auch stimmen. Und schließlich: „Wir haben den Streckenchef getroffen, der hat uns erzählt, er wollte eigentlich nur vier Runden machen, aber die IAU hat auf fünf bestanden.“ Hm, das klang ja furchteinflößend. Sicher hatte ich Respekt vor der Strecke gehabt, aber „sooo arg“, dass sogar der Streckenchef sie lieber kürzen möchte, hätte ich sie nicht erwartet. Naja, hilft nichts, jetzt kann man nichts ändern.
In der Früh war also mal Tapen dran. Schon am Flug hatte ich Winfried instruiert und ihm meine Wünsche in den Tape-Büchern gezeigt. Akribisch pickte er Fußsohlen zu, und mein obligatorisches „Lieblingstape“ für Psoas und Quadriceps gab es auch. So fühlte ich mich gut gerüstet (und nachträglich gab es auch dickes Lob von meiner Ärztin für die schönen Tapes :) .
Freitag Vormittag ging es zur Eröffnung, die recht nett war. Zunächst zogen die Teams mit ihren Flaggen, jeweils hinter einem Kind, in die Veranstaltungshalle ein. Ich durfte die Flagge tragen – was dann aber gar nicht so toll war, denn alle durften sich setzen, nur die Flaggenträger und Kinder wurden angewiesen dekorativ herumzustehen. :) Als sich zeigte, dass die Sache noch etwas länger dauern wurde, wurde Winfried abkommandiert, mich abzulösen. :)
Es gab Begrüßungen und Ansprachen und danach eine Fragerunde der Kinder an einige Athleten: In wie vielen Ländern schon gelaufen, was war die längste Distanz, was gibt es zum Frühstück, …
Nach der Eröffnung war es schon bald an der Zeit zur Streckenbesichtigung zu fahren. „Streckenbesichtigung“ war eigentlich leicht übertrieben, denn der Großteil der Strecke war mit dem Auto nicht (oder nur mit ziemlich guter Ortskenntnis) erreichbar und um die komplette 15-km-Runde abzuwandern war es einen Tag vor dem Wettkampf zu spät. Also ging es nur darum, ein paar hundert Meter am Anfang und Ende der Runde zu begehen, Bodenbeschaffenheit und Steilheit zu erforschen und sich auf der im Streckenplan verwirrend eingezeichneten Verpflegungsstelle bei Anfang und Ende der Runde zu orientieren. Die Labestelle war bald behirnt, ich sollte mich auch nach 61 Kilometern nicht verirren. Die erste Steigung raufgekeucht (wie soll ich das fünfmal schaffen?) und die Bodenverhältnisse als gut eingeordnet. Es waren auch zahlreiche andere Athleten unterwegs – und als ich diese die Strecke raufzischen sah, wurden bei mir Erinnerungen an meinen ersten Großglocknerlauf wach: Die schauen alle sooo schnell aus!!! Und wo sind meine Mexikaner?? Das würde wohl ein Rennen gaaaaanz weit hinten werden. Gut, soll sein, nur durchkommen wollte ich gerne. Das würde eine Herausforderung für den Kopf sein. Ganz hinten, ganz allein laufen, aber nicht aufgeben. Schwierig …
Vor Ort, bei der Strecke, gab es auch eine Pasta Party – die walisische Form von „Chef Menu“ wurde ausgegeben, wahlweise kalt oder in der Mikrowelle aufgewärmt. Immerhin schmeckten mir sowohl die Basilikum-Tomaten-Nudeln als auch der Curryreis gut (eine wichtige Lehre von der Uni hatte ich ja im Kopf behalten „Wennst in Großbritannien gut essen willst, iss indisch!“ – das übertrug ich eben auch auf die Pastaparty.
Noch war nicht so klar, wie eigentlich die Verpflegung an der Strecke sein würde. Zwei Stellen („A“ und „B“), an denen die Betreuer mit Eigenverpflegung stehen würden, soviel war klar. Und eine „Schwammstation“ („C“), an der man zweimal vorbeikommen würde. Aber gab es an der Schwammstation auch zu trinken? Und gab es bei A und B nur die Eigenverpflegung, oder auch Verpflegung durch den Veranstalter? Würden die zehn Flaschen, die ich mithatte, ausreichen? Um sicher zu gehen, nahm ich auch noch einige Flaschen von der Pastaparty mit. Insgesamt war ich ja etwas sorg- und planlos an die Verpflegungsthematik herangegangen Ich rechnete zwar nicht mit reich bestückten Laben durch den Veranstalter (also kein „Llan-Veitsch“ ;) ), aber die Alternative hatte ich mir auch noch nicht komplett durchgedacht. Mein Plan war, kleine Flaschen mit Isogetränk und Gels an den Labestellen abzugeben, die Details waren allerdings noch nicht klar. Winfried rechnete mir etwas über die mögliche Flüssigkeitsaufnahme pro Stunde vor, ich ging die Sache eher von der anderen Seite an: Wie viel will ich mit mir herumtragen? → Kleine 0,33-l-Flaschen, und davon eigentlich nur eine, wenn’s nicht anders geht, dann halt zwei. Aber ein bisschen Zeit hatte ich ja noch, um mir das genauer zu überlegen.
Nachmittags gingen Winfried und Norbert zum Technical Meeting, wo wir hofften, dass alle unsere offenen Fragen geklärt wurden, während ich versuchte zu schlafen. Bald kam schon die erste positive Information per SMS: „Laben sind OK“. Das war schon einmal gut.
Genaueres erfuhr ich, als unsere Betreuer vom Technical Meeting zurückkehrten: Bei C würde es Wasser geben (gut!), bei A und B neben der Eigenverpflegung auch Wasser, Iso, ein bisschen Cola und ein bisschen Obst, Rosinen u. dgl. Perfekt, mehr brauche ich ja eh nicht. Sonderwünsche hatte ich (mangels Erfahrung) keine, ich hätte auch gar nicht gewusst, welche. So war der Plan also, zehn kleine Fläschchen zu befüllen, mit den diversen gemischen Startersackerl-Iso-Proben. In jede Flaschen das gleiche rein. Außerdem pro Stunde ein Gel (mit ca. achteinhalb Stunden rechnete ich), also sicherheitshalber neun Gels (ein paar mit, ein paar ohne Koffein), davon sieben auf die Flaschen kleben und zwei einstecken. Sicherheitshalber auch noch ein bisschen Traubenzucker und Coffekapton in die Hosentasche. Alles, was ich mehr trinken (oder essen) müsste, sollte von der allgemeinen Labe kommen. Keine Ahnung, ob das funktionieren würde, aber ich konnte es mir vorstellen. Außerdem hatte ich einfach keine Lust, für einen Lauf, auf den ich ohnehin so schlecht vorbereitet war, Riesenaufwand zu betreiben. Nachdem ich Winfried nochmals meine zehn Flaschen und neun Gels vorgeführt und ihn überzeugt hatte, dass das ausreichend wäre, bekam ich auch von ihm die Genehmigung für meinen Plan. ;)
Das ganze wurde dann, mitsamt meinen Plüsch-Supportern in zwei Säcke gesteckt, einen für A und einen für B. Besondere Anweisungen brauchten die Verpflegungsbetreuer bei meinem „hochkomplexen“ ;) Plan nicht.
Schließlich noch der Gewandcheck. Als Vertreterinnen einer Randdisziplin (Trail) innerhalb einer Randdisziplin (Ultra) hatten wir vom ÖLV (gefühlt) das bekommen, was „halt gerade da war“. Die eine Hose war überraschenderweise fast zu eng (ursprünglich hatte alles riesengroß gewirkt), die zweite war mit vollgestopfter Tasche und über meinen wohlgefüllten Pasta-Reis-Bauch gerade richtig. Da es ziemlich warm war und ich ohne Trinkgurt, Trinkrucksack o.Ä. laufen würde, war das Top die beste Wahl. Socken farblich passend natürlich in rot, und Schuhe waren auch schon geklärt.
Samstag früh war Treffpunkt beim Frühstück ca. um 06:00. Nachdem die Müesliesser schon ihr Frühstück griffbereit vorgefunden hatten, die Gastwirtin den Betreuern liebevoll (und zeitraubend) das walisische Frühstück mit Speck-Baked Beans-Spieglei-Hash Browns bereitet hatte dachte ich schon, ich müsste ohne Frühstück aufbrechen. Aber nein, rechtzeitig kam auch noch mein simples white toast. Langsam wurde ich ja doch nervös. So ging’s also zum Start, ich trotz bereits „guter“ Temperatur ziemlich frierend. Ich orientierte mich also, wo ich meinen Rucksack für „danach“ abgeben konnte (falls ich vorzeitig aussteigen musste, wollte ich ihn nicht bei einer der Labestationen sondern lieber bei Start / Ziel haben), wo die WCs wären, usw. Mit alldem war es auch schon bald Zeit ein bisschen aufzuwärmen. Meine Verpflegungssäcke würde schon hoffentlich jemand zu A und B schicken, da hatte ich eigentlich keine Sorgen. Kurzes Aufwärmen signalisierte, dass es keine gröberen Probleme gab. Alles funktionierte und fühlte sich so an, wie es sollte. Trotzdem sahen alle rundherum viel erfahrener, besser und vor allem fitter aus.
Eine Viertelstunde vor dem Start hieß es, innerhalb eines Steinkreises Aufstellung zu nehmen. Dort brachten wir einige Opfer, um die Waldgeister freundlich zu stimmen, und tanzten rituelle Tänze. Nein, das war nur ein Test, ob die Leserin und der Leser noch wach wären. ;) In dem Steinkreis wurde einfach Aufstellung genommen, jede Nation bei ihrem mit der Flagge geschmückten Stein, und es schien nochmals die Anwesenheit kontrolliert zu werden. Man sah unterschiedlichst ausgerüstete TeilnehmerInnen: Teilweise Trinkgurte, teilweise (große) Trinkrucksäcke, auch noch mit Extraflaschen an den Trägern, oder teilweise auch einfach nix – vermutlich ein paar Gels in den Hosentaschen. Auch bei den Schuhen recht unterschiedliche Varianten. Straße- oder Trail, selbst Gamaschen waren vertreten. Fashion wurde auch groß geschrieben: Zopfbänder in Nationalfarben, Tapes im Union Jack-Design – alles gab es …
Mit den Flaggen, die wir drei Österreicherinnen diesmal abwechselnd trugen, ging es nun zum eigentlichen Start, der (angeblich?) berühmten Brücke von Llanrwst aus dem 17. Jahrhundert. Der Zug zum Start hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler: Die Nationen zogen nach dem Alphabet geordnet hin, dann hieß es Stopp auf der (schmalen) Brücke, und das war auch schon (in umgekehrter Richtung) die Startaufstellung. Da schauten die Argentinier, Australier, Belgier und auch wir einigermaßen blöd. Nach dem Leistungsniveau sich aufzustellen war praktisch nicht möglich, weil die Brücke für Positionsänderungen viel zu eng war. Da auch die Straße, über die die Strecke anfangs führte, ebenfalle einigermaßen eng war, war das für einig Schnelle, die am hinteren Ende gelandet waren, nicht gerade ideal und sorgte kurz vor dem Start für etwas Unruhe. Soweit möglich sortierten sich manche noch um, wir drei blieben alle im hinteren Bereich, wollten es also defensiv angehen.
Plötzlich fiel auch schon der Startschuss, und es ging los. Gleich von Anfang an ein richtig hohes Tempo, aber ich war gar nicht besonders überrascht. Da sollten ja (hoffentlich) auch *richtig* gute Leute am Start sein. Am ersten Streckenstück, 1,25 km bergauf auf Asphalt, einem Zubringerstück zur „eigentlichen“ Runde war ich sehr schnell am hinteren Ende des Feldes. Das begeisterte mich natürlich nicht gar so sehr, aber dort gehörte ich eben hin. In einer engen Kurve am Ende des Straßenstücks, unmittelbar bevor es auf die Waldrunde ging, linste ich aus dem Augenwinkel hinter mich – und sah niemanden. Also entweder die Hintersten waren innerhalb von 1,25 km sooo weit zurückgefallen, dass man sie nicht mehr sah (unwahrscheinlich), oder ich war, gemeinsam mit einer Spanierin und einer Kanadierin, die unmittelbar vor bzw. hinter mir liefen, wirklich ganz hinten. Hm. Da trat ich in Dialog mit mir selbst: „Die alle hier sind viel besser, fitter, erfahrener, und überhaupt. Du bist da sicher die Schwächste. Wenn du das durchhalten willst, dann sei dir nicht zu gut, ganz hinten zu laufen, das ist deine einzige Chance, es überhaupt zu schaffen.“ Dieses Argument überzeugte mich, und so begann ich auch gleich nach Beginn der Runde, auf dem Anstieg, den ich am Vortag besichtigt hatte, zu gehen. Die Kanadierin und ich sprachen uns gegenseitig Mut zu, dass das schon gut und vernünftig wäre. ;) So ging’s also dahin. Die Strecke war schön und abwechslungsreich. Gleich am Anfang, von km 1,25 bis 2 und von 3,3 bis 3,9 waren die zwei längsten und steilsten Anstiege. Natürlich hätte ich sie vorerst noch laufen können, hätte aber nach meiner Einschätzung unverhältnismäßig viel Energie liegen gelassen, die mir dann im Lauf der Zeit gefehlt hätte. Also hatte das eitle Ego zu schweigen, und ich ging von Anfang an auf den anstrengenden Passagen. Nach ca. 5,7 km kam ich zum ersten Mal zur Schwammstelle C. Viele Helfer verteilten dort Wasser in kleinen Flaschen, reichten diese so, dass man sie auch gut fassen konnte – alles bestens also. Hier teilten sich die Strecken des offenen 10-km-Laufs und der Weltmeisterschaftsstrecke. bschriftet war diese mit "10k" bzw. "World Runners". Die klang für mich ja nach EZA-Läden und World Music. Jedes mal, bis zur letzten Runde, musste ich darüber über diese Assoziation innerlich lachen. :) Schlichtes Gemüt, leicht zu erheitern, ich weiß ...
Im Flachen konnte ich gut laufen und meinen Rhythmus finden. Ich war auch nicht abgelenkt, denn die Kanadierin und bald darauf die Spanierin hatte ich doch hinter mir gelassen und vor mir hatte sich das Feld schon längst aus dem Staub gemacht. Langweilig war es aber nicht, ich war damit beschäftigt, mich auf die Strecke zu konzentrieren. Wald-, Schotter- und ein bisschen Wiesenstücke wechselten sich ab. Der Boden war trocken und angenehm zu laufen, nur die spitzen Steine auf den Fortstraßen schmerzten ein bisschen, da ich aber kein hohes Tempo hatte, war es nicht so schlimm. Es war recht warm, für walisische Verhältnisse vermutlich sogar heiß, aber da die Strecke viel im Schatten verlief, war das kein Problem. Hier war auch das Gegenverkehrsstück, eine offensichtlich per Auto gut erreichbare Forststraße, denn es standen gefühlt 6358 französische Fans und Betreuer (aber nicht nur dort, auch sonst an vielen Stellen im Wald) an der Strecke und feuerten alle Athleten lauthals an. Es gab für sie später ohnehin genug zu feiern, also geizten sie auch nicht mit Aufmunterung für die anderen. Die Startnummern (vorne und hinten) waren mit den Namen bedruckt, das machte es den stimmgewaltigen Supportern einfacher. Nach sechs Kilometern kam ich zu dem sehr schönen Streckenstück, das an einem See entlang führte. Augen für den See hatte ich allerdings nicht, da diese Passage mit vielen in die Luft ragenden Wurzeln durchzogen war. Irgendwie hatte ich das an diesem Tag nicht so ganz drauf. Anders, als ich es gewohnt war, konnte ich diesen Teil nicht souverän nehmen, sondern plagte mich etwas. Schon die Abwärtsstufe, als die Strecke die Forststraße verließ und zum See abbog, krabbelte ich eher etwas ungelenk hinunter, als dass ich sie elegant hinunterlaufen oder –springen konnte. „Na servas, wenn das in der ersten Runde schon so mühsam ist, dann kann das ja was werden …“ dachte ich mir. Aber egal, einfach langsam weitermachen, und abwarten, was noch kommt.
Langsam sollte auch die Labestation B kommen, wo Monika stehen sollte (Winfried würde nach seiner Teilnahme am offenen 10-km-Lauf erst für später dazukommen), aber die Angaben auf der Streckenskizze und Kilometrierung passten nicht ganz mit der Realität zusammen (statt bei km 8,5 war die Labe bei 9,2). Nach einer lustigen „Bobbahn“ durch den Wald sah ich sie dann aber doch, einen knappen Kilometer verspätet. Ich meldete nur, dass alles so einigermaßen in Ordnung wäre und schnappte mir meine Flasche (alles war gut aufgebaut und leicht zu finden, und auch die Plüschfreunde am richtigen Platz) und weiter ging’s. Der Rest der Runde sollte eigentlich laut Höhenprofil mehrheitlich bergab gehen, aber wie es bei Streckenprofilen oft ist – in Wahrheit ging es viiiiieeeeeeeel mehr bergauf. ;) Es ging weiter, ich schaute mir weiter die Strecke an, wunderte mich über ein mitten in den Wald gebautes Haus (viel eher Baracke), dessen Bewohner uns aber immerhin freundlich anfeuerte und lief eben. Nach einiger Zeit sah ich doch tatsächlich eine Läuferin vor mir. Hm, kann ich wirklich überholen? Das wäre ja cool! :) Ich erkannte die Athletin vor mir gleich: Es war die Norwegerin, die bei der Kinderfragerunde nach ihrem Frühstück gefragt worden war: Eier frühstückte sie. Lag es daran, dass sie jetzt schon zurückfiel?
Aufholjagd startete ich dennoch keine, ein bisschen früh war es dafür noch, aber dann kam ich trotzdem recht bald an ihr vorbei. Meine nächste Begegnung war mit einem Streckenposten, der bei ca. km 12 (anscheinend eigeninitiativ) den Teilnehmern Wasser anbot und sich wunderte, dass ich keines wollte. Er selbst sah schon etwas gekocht aus. Kein Wunder, sein Standort war mitten in der Sonne, Sicherheitsweste musste er auch tragen. Er schien wirklich mehr zu leiden als die Teilnehmer, sein „It is a very warm day!“ klang recht gequält. Bald konnte ich wieder zu einer Gruppe Teilnehmerinnen aufschließen, juhu! Aber leider erwiesen sie sich als die Nachzügler vom 10-km-Lauf, der um 09:15 gestartet war. Schade, hatte ich doch keine Position gut gemacht. Ich erinnerte mich aber wieder daran, dass meine Mission hier ohnehin nur Durchkommen und nicht Spitzenplatz war, also lief ich bescheiden mein Tempo allein weiter. Und bald hörte ich schon „A“, den zentralen Punkt, Anfang und Ende der Runde. Nadeem Khan (der zu Recht „Director of Communications“ der IAU ist ;) )machte den Einpeitscher und begrüßte alle durchlaufenden Athleten überschwänglich. Knapp unter 1:40 hatte ich für die Runde inkl. Zubringerstück gebraucht, das versuchte ich mir zu merken. Wenn ich rechnete 1:35 pro Runde + zwei Mal 5 Minuten für An- und Abmarsch kam ich auf 8:05 Gesamtzeit. Etwas schneller also, als die ursprüngliche Rechnung (5 x 1:40 + 10), aber nicht so weit entfernt, dass ich mir Sorgen machen müsste, zumal ich ja die erste Runde wirklich (wie ich meinte) vorsichtig gelaufen war. Ich meldete Norbert, der diese Labe betreute, Winfried, der seinen Lauf beendet hatte und sich auf den Weg zu „B“ machte und unserem Chef de Mission Michael „alles soweit OK“. Michael sprach die aufbauenden Worte „Sehr gut, du bist nicht die Letzte, weiter so!“ Na ja, das war ja zwar gut, nicht die Letzte zu sein, aber so wirklich aufmunternd war es auch nicht … Ohne das auszudiskutieren, machte mich aber weiter auf den Weg.
Wieder der steile Anstieg, wieder Gehpause, aber das war nach den etwas schnelleren Bergabkilometern gegen Ende der Runde und als Gelegenheit zu trinken ohnehin willkommen. Es ging unspektakulär weiter. Ein kleines bisschen müde fühlten sich die Beine schon an, andererseits war das Laufen rhythmischer und runder geworden. Irgendwie war ich besser „reingekommen“. Besonders die technischen Stücke, allen voran der Weg am See, gingen auf einmal besser. Gut so! Da waren auf der ersten Runde anscheinend die Nerven noch nicht so richtig verdrahtet gewesen. :). Mittlerweile war ich an C vorbei, ich konnte wieder eine Teilnehmerin überholen, und es ging zu B. Nach ca. 1:20 hatte ich das erste Gel genommen, bei der B-Labe nahm ich dann wieder Flasche und Gel, Iso getrunken, Gel eingesteckt. Inzwischen war auch Winfried dort angelangt, unser Betreuerteam war also komplett. Angesichts unseres dreiköpfigen Miniteams waren sie auch nicht gar so ausgelastet und halfen in der Zwischenzeit teilweise bei den anderen Teams mit. Manche waren zwar mit einer Vielzahl von Athleten angereist, aber die Verpflegungsstände waren leer. Wieder konnte ich zwei Teilnehmerinnen überholen, und hatte dabei nicht das Gefühl mich zu übernehmen. Es ging einfach ganz gut dahin. Schön langsam, Schritt für Schritt.
Zusätzlich zu meinem Isogetränk und Gels fühlte ich das Bedürfnis nach ein bisschen fester Nahrung. Ich fand zu Beginn der dritten Runde bei „A“ Hafer-Sirup-Riegeln, die sowohl sehr gut schmeckten, als auch genau zu dem passten, was ich haben wollte. Bei B waren sie, warum auch immer, in einer verschlossenen Picknickbox. Herumspielen, um diese zu öffnen, wollte ich nicht – zu viel Zeitverlust, also nahm ich die Haferriegeln eben nur bei A. Bei dem Rhythmus blieb ich.
Auch bei Beginn der dritten Runde konnte ich „Alles OK“ melden. Kurz nachdem ich auf die dritte Runde gegangen war, überholte mich der Führende. Ich war noch in Hörweite des Rundenbeginns, konnte also schon länger höre, dass er begeistert angekündigt wurde – und ich begann zu rechnen. 1. Überrundung Anfang der 3. Runde – bestens, wenn alles normal verläuft, werde ich nur einmal überrundet! :) Ricky Lightfoot nahm den steilen Anstieg, den ich wie ein Maultier raufstapfte mit beeindruckender Eleganz (no na, vom lahmen Laufen holt man auch nicht 15 km Vorsprung raus ;) ), er feuerte mich freundlich an und ich ihn auch. Obwohl ich überrundet wurde, war ich mit meinem Lauf durchaus zufrieden. Knapp über 40% schon geschafft, und es fühlte sich alles OK an. Im Gegensatz zu mir hatten die sechs, die ich bisher überholt hatte, nicht mehr sehr frisch ausgesehen.
Bei manchen schien anscheinend auch schon die geistige Leistung etwas abzunehmen. Wenige Kilometer nach der Überrundung lief ich auf zwei Athletinnen auf, die mich (recht ehrfurchtsvoll) fragten „Are you the leading woman??“ Ja, klar, und außerdem die Gesamtzweite, und ich überrunde euch gerade. Haha, nein, natürlich nicht the leading woman, sondern genauso wie ihr in der dritten Runde und somit weit hinten. Aber da kam mir schon die Vermutung, dass ich mir das Rennen bisher wohl ganz gut eingeteilt hätte – und war aber auch überrascht. Bei diversen „normalen“ Rennen, vor allem Marathons, war ich es ja gewöhnt schon vor der Hälfte TeilnehmerInnen zu überholen, die die Sache etwas übermotiviert angegangen waren. Bei einer Weltmeisterschaft hätte ich es aber nicht erwartet, dass doch so viele ihr Rennen so schlecht einteilen.
Mehr Teilnehmerinnen zu überholen, und auch noch richtig mühelos an ihnen vorbeizuziehen, genoss ich sehr. Es war mir gerade egal, dass ich immer noch irgendwo „weit hinten“ herumkrebste, das Laufen machte mir gerade viel Spaß. Es ging bald wieder zum See, als ich schnelle Schritte hinter mir hörte: Da machte sich gerade der Zweite, ein Franzose, daran, mich zu überrunden. Ein Betreuer, der gerade zufällig an dieser Stelle war, rief ihm zu, dass sich der Führende ca. zwei Minuten vor ihm befand. Naja, das glaube ich aber nicht! Das war immerhin vor mehr als vier Kilometern, dass er mich überrundet hatte! Aber da ich fremde Motivationsversuche nicht stören wollte, hielt ich den Mund. :) Kurz später ging es vom See weg, ein kleines Steilstück hinauf. Hier machte ich eine Gehpause, klar. Auch Lucien unmittelbar vor mir ging. Erstaunlich war aber, dass er dabei immer langsamer und langsamer wurde, und ich plötzlich wieder an ihm vorbeimarschierte. Als wäre ich eine Runde vor ihm, und nicht er derjenige, der auf dem 2.Platz lag. Zu sehen, wie jemand so schnell von einer Aufholjagd zu einem richtigen Einbruch kam, war ernüchternd, aber auch faszinierend zu beobachten. Er tat mir leid, aber ich hatte ja auch mein Rennen zu machen, also lief ich doch einfach weiter (und er „erfing“ sich noch, überrundete mich später abermals und wurde immerhin Dritter). Gegen die beginnende Müdigkeit nahm ich Coffekapton – das wirkt, wie gewohnt, sehr gut. Es war angenehm, das die Verpflegungsfrage so einfach zu lösen war. Mit Trinkrucksack zu laufen, wie es viele andere machten, wäre mir lästig gewesen. Ich hatte ja schon ein wenig mit meiner Hose zu kämpfen: die Hose, die am Vortag noch so gemütlich über meinen Kugelbauch gepasst hatte, begann zu rutschen. Ich fing sie halt immer wieder auf, ganz verloren ging sie zum Glück nicht. :) Bald war wieder ein Besuch bei B dran. Winfried sagte mir dort, dass ich meine Sache sehr gut machen würde. Obwohl das sicherlich ernst gemeint war, klang es für mich so beschwörend, als hätte er Sorge, ich würde im nächsten Moment verzweifelt davonlaufen (aber davonlaufen war ja gar nicht so einfach, ich spürte die Kilometer ja doch schon ein wenig. ;) ). Weiter ging’s, und ich fühlte mich, als kam ich immer mehr ins Laufen. Auf der ersten Hälfte dieser Runde hatte ich vier überholt, auf der zweiten Hälfte wurden es sechs. Es machte einfach viel Spaß! Ein bisschen Sorge hatte ich. Würde das gutgehen? Aber die dritte Runde wollte ich noch gerne so schnell fertiglaufen, und noch ein paar vor mir erwischen. Auf der vierten Runde war es dann aber wirklich Zeit, etwas rauszunehmen.
Es ging also, gefühlt etwas gebremst, ohne besondere Vorkommnisse weiter. Am See konnte ich Branka Hajek, eine der wenigen Bekannten im Feld, überholen. Schon bald danach, am Steilstück, auf dem ich Julien hinter mir gelassen hatte, lief ich unerwartet auf Sabine auf. Es ging ihr nicht gut. Ich bot ihr an, was ich dabeihatte – Traubenzucker und Koffein – aber sie hatte Krämpfe, da half das leider nicht. Kurz blieb ich bei ihr, vergewisserte mich, dass es kein echter Notfall sondern nur Probleme im Bereich des Normalen waren, und lief weiter. Auch ich spürte die mittlerweile 52 Kilometer …
Bei der Labe wollte ich dann schnell Bescheid sagen, was los war. Kurz davor wieder ein lustiges Erlebnis: Zwei Athleten aus dem Spitzenfeld überrundeten mich. Über die Futterkrippe (??) und die dahinterliegende Hecke, um die der Weg eigentlich herumgeführt hat, sprangen sie einfach drüber. Unglaublich! Es war zwar eigentlich ein Abkürzer, aber wenn ich versucht hätte, diesen zu nehmen, hätte ich sicher länger gebraucht als über den „regulären“ Weg. Ich war immer wieder beeindruckt, wenn ich die Leistung der mich Überrundenden sah. Das waren echte Könner.
Bei der Labe hatten die Betreuer bestimmt einen Schock, als statt Sabine ich als Zweite unseres Teams ankam. Ich versuchte, möglichst schnell zu entwarnen: Ich hätte Sabine vor zwei Kilometer überholt, sie hätte zu kämpfen, würde aber trotzdem sicher bald kommen. Ich schon etwas müde, aber alles OK. Und dann ging es schon weiter. Viel Zeit hatte ich mir bei den Laben nie gelassen. Zwar machte ich natürlich deutlich langsamer als bei einem Marathon unterwegs, aber um mir lang Zeit zu lassen, dazu war ich wohl trotzdem zu sehr Straßenläuferin. „Keine Zeit unnötig verlieren“ steckt offensichtlich tief in mir drin.
Nach einiger Zeit kam aber doch eine leicht Irritation: Ich begann, etwas verschwommen zu sehen. Als wäre ich im Nebel, hätte Wasser in den Augen oder wäre nicht ganz munter. Nicht so angenehm. Leere Speicher schienen es nicht zu sein. Ich fühlte mich von meinen Gels und den Haferriegeln gut satt. Flüssigkeitsmangel? Hm, auch eher nicht, ich dachte, genug zu trinken. Vielleicht waren es auch einfach nur trockene Augen und Kontaktlinsen, vom langen konzentrierten Schauen? Keine Ahnung. Ähnliches kannte ich vom Rennsteiglauf 2011. Da kam es erst im Ziel, dafür umso schlimmer und ich irrte halb blind über die Schmiedefelder Zielwiese. Aber zurück nach Wales: Ich versuchte mit Traubenzucker und Koffein gegenzusteuern. Das half ein wenig, aber nicht anhaltend. Also blieb mir nur, besonders konzentriert und vorsichtig zu laufen und aufzupassen, mich nicht zu derstessn. Gefühlt nahm ich also Tempo raus – was ich für die vierte Runde, nach meiner wilden Hatz, sowieso vorgehabt hatte. Besonders ein nasses, finsteres Steilstück hinunter (ich fragte mich, ob das künstlich bewässert wurde, weil sonst die trockenen Bedingungen für zu „einfache“ Bodenverhältnisse gesorgt hätten ;) ) bei km 58,6 tastete ich mich vorsichtig abwärts.
Kurz vor Ende der vierten Runde sah ich Ulli vor mir. Auch sie hätte ich deutlich weiter vorne erwartet. Ich lief recht bald an ihr vorbei und rief ihr zu, dass wir die letzte Runde jetzt auch noch packen würden – ob es motivierend gewirkt hat oder eher das Gegenteil bewirkt hat, weiß ich nicht. Was bedeutete das für mich? Einerseits fand ich es natürlich schon schön, nun beste Österreicherin zu sein. Andererseits war mir auch klar, dass es mit dem Problemen meiner Kolleginnen mit einer erhofften Teamplazierung im vorderen Bereich schlecht aussehen würde. Eine ambivalente Sache also … Ich zerbrach mir dann aber nicht länger den Kopf darüber, sondern lief weiter.
Noch ein letztes Mal an A vorbei, noch ein letztes Mal Norbert und Evelin signalisieren „Alles OK!“ und noch einmal den steilen Anstieg hinauf. Jetzt konnte ich die letzten Energien mobilisieren. Juhu! Es lagen zwar noch 16 km vor mir, aber es fühlte sich an wie auf der Zielgerade. Jetzt ging es los! Könnte ich noch ein paar Plätze gutmachen? Anders als am Freitag, als ich, so wie der Streckenchef, dachte, dass 60 km sicher genug gewesen wären, freute ich mich über jeden Kilometer mehr. Sicher, ich war schon deutlich müde, aber hatte das Gefühl, dass es vielen anderen schlechter ging. Es ging voran, war ich auf der dritten und vierten Runde zwar einige Male überrundet worden, konnte aber doch wieder einige überholen. Das Streckenprofil kam mir auch entgegen. Jedes Mal, wenn ich vom bergab Forcieren müde wurde und die Fußsohlen zu brennen begannen, kam ein Anstieg, wo ich mich bei langsamem Laufen oder einer Gehpause ausrasten konnte. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, bergauf schon nicht mehr zu können, kam ein Flach- oder Bergabstück, um mich davon auszuruhen. Die Strecke hätte für mich nicht viel besser werden können!
Der Grinser auf meinem Gesicht wurde vermutlich immer breiter. Nach 60 km immer noch halbwegs anständig laufen zu können (flach knapp über 4:30/km) fühlte sich großartig an. Trotzdem blieb ich konzentriert, ich sah ja nach wie vor nicht sehr gut, und ein Sturz wäre schnell geschehen. Einmal ging es noch bei B vorbei, jetzt war es nicht mehr weit! Meine zwischendurch immer wieder aufgestellten Zielzeitprognosen würde ich unterbieten. Von der ersten Schätzung (8:30) hatte ich mich auf 8:05, später 7:54 hochgearbeitet. Jetzt war mein Ziel, unter 7:45 zu bleiben, vielleicht sogar 7:40. Zeiten auf dieser vermutlich ein einziges Mal gelaufenen Strecke waren zwar irrelevant und so aussagekräftig wie Telefonnummern, aber mich motivierte es, ein konkretes Zahlenziel vor Augen zu haben. Mir war es auch egal, dass ich weder im Einzel, noch wir drei im Team um die vorderen Ränge mitlaufen würden. Ich wollte einfach nur das optimale Ergebnis rausholen und so schnell wie möglich sein! Wenn ich schon einmal bei einer Weltmeisterschaft laufe (und wohl auch das Ziel erreichen würde), dann sollte das Bestmögliche rauskommen, das war mein Anspruch! Außerdem war ich ein wenig stolz darauf, dass mich im Rennen niemand überholt hatte und dass, im Gegenteil, ich alle überholen konnte, die ich ins Blickfeld bekommen hatte (und zwar schon bevor mein Blick so vernebelt wurde :D ). Das wollte ich bis ins Ziel beibehalten. Eine dritte Koffeintablette warf ich mir ein (was nachher bei Winfried leichtes Entsetzen hervorrief „Ja, schon klar, dass du das nimmst, aber doch nicht drei Stück!?!?“), damit hatte ich das Limit, das ich mir selbst gesetzt hatte erreicht. Leichtes Schwebegefühl und einen zarten Anflug von „Is alles so bunt hier!?!?“ spürte ich bereits. :D Irgendwie fühlte ich mich müde, irgendwie erlebte ich aber auch ein gewisses High. Einerseits so müde, dass ich mich am liebsten hingelegt hätte, andererseits fühlte es sich gut an, ich merkte, das da „noch was ging“, und wollte so viele Positionen wie möglich gutmachen. Das einzige, was mich wirklich bremste, war, nicht so gut zu sehen, also bremste ich sehr viel. Nun, in Wahrheit bremste ich ohnehin nicht gar so viel. Zwar bergab, aber bergauf und im Flachen (dort, wo es technisch einfach war) konnte ich nach wie vor „Gas geben“. Oder so ähnlich halt …
Und dann war schon das Ende der fünften Runde da, noch ein letztes Mal an A vorbei, Norbert und Evelin feuerten mich an. Dann ging es über den Parkplatz und ein paar Kurven wieder zurück zur Straße, über die wir auch einige Stunden zuvor in den Wald gelaufen waren. Kurz war ich besonders desorientiert. Nicht wieder die gleiche Kurve, wie fünf Mal zuvor zu nehmen und erstmals nach einigen zigtausenden Schritten wieder Asphalt unter den Füßen zu spüren, war sehr seltsam. Außerdem ging es ein wenig steiler hinunter, also eigentlich so, dass man es noch ordentlich laufen lassen könnte. Es brauchte kurz, bis ich mich darauf eingestellt hatte. Aber nach ein paar Sekunden war alles wieder in Ordnung: Ich sah den Weg vor und unter mir wieder und die müden Beine ließen sich auch wieder strecken. Wieder sah ich einen Läufer vor mir, den ich, gemäß meiner Zieldefinition, überholen wollte. Dies gelang mir auch, leider hatte ich laut Ergebnisliste am letzten Kilometer dennoch keinen Rang mehr gutgemacht. Vielleicht war es ja auch nur ein Betreuer, der nach getaner Arbeit ins Ziel lief? So genau sah ich ja nicht mehr, keine Ahnung, ob er seine Startnummer trug oder nicht. :D Aber ich konnte noch erkennen, dass lt. GPS meine Pace auf diesem Abschnitt trotz des Herumgeeieres 4:01 war (das letzte Stück dann genau 4:00,78). Wow! Da war ich von mir selbst ja richtig beeindruckt. ;)
Und dann war auch das Ziel vor mir zu sehen! Viel Trubel, viele Leute, viel Lärm! Juhu!! Ein Auto reversierte etwas ungeschickt vor der Ziellinie, ich hoffte, dass es mich nicht abschießen würde (so koordiniert war ich ja auch nicht mehr unterwegs). Da Auto war rechtzeitig aus der Bahn, ich erkannte an der Seite Katja, Michael und Winfried stehen, die mir zujubelten. Das bedeutete mir viel, denn ich hatte ihnen im Vorfeld sicher viele Bauchschmerzen bereitet. Ich wollte auch für unser gesamtes Ultrateam eine gute Leistung bringen und alles geben. Das war mir recht anständig gelungen. Katja gab mir für den Zieleinlauf eine österreichische Flagge. Normalerweise nicht so mein Ding, aber da ich ja das Vaterland vertrat und außerdem gerade sehr glücklich war, fand ich es schon in Ordnung, also griff ich zu. Sie eindrucksvoll wehen zu lassen, schaffte ich jedoch nicht. Dauernd verfing sie sich in meinem Arm – denn meinen Endspurt wollte ich für eine Jubelpose nicht opfern, das bringe ich nicht fertig. Rennen ist Rennen und Posen ist Posen (deswegen gibt es ja auch so viele blöde Lauffotos von mir :D ). Also rollte ich sie um die Hand, das funktionierte besser. War halt auf den Bildern dann doch nicht so eindrucksvoll …
Bei 7:38:29 stoppte die Uhr! Ich hatte mein Ziel von unter 7:40 erreicht! Und überhaupt: Ich hatte das noch wichtigere Ziel, zu finishen, und das mit einem guten Rennverlauf – ohne Eingehen, ohne Quälen, erreicht! Ich war wirklich sehr glücklich! In der Endabrechnung bedeutete das Rang 23 (von 48).
Im Ziel ging es mir gar nicht so schlecht. Ich brauchte erstmal nur etwas zu trinken (vielleicht waren die Sehprobleme doch Flüssigkeitsmangel?) und etwas Bewegung (hatte ich ja davor nicht gehabt ;) ). So wanderte ich über das Zielgelände, schüttelte meine Beine aus, holte meine Sachen, telefonierte mit meinen Eltern, die nicht glauben konnten, dass alles gut gegangen war („Wo bist du?“ „Im Ziel“ „Wie, im Ziel?“ „Na im Ziel, ich telefonier ja nicht von der Strecke.“ „Wie, wirklich im Ziel?“ „Ja“ „Also ganz im Ziel?“ „Ja!!! Im Zielziel, 77 km!“), wanderte zur A-Labestation, um meine übriggebliebenen Gels einzusammeln, ging wieder zum Start zurück. Nach ca. drei herumspazierten Kilometern war ich dann ansprechbar. :) Inzwischen waren auch Ulli und Sabine – nach Kampf, aber doch unbeschadet – ins Ziel gekommen. Es gab überall Gratulationen und Freude. Keine von uns war irgendwo vorne gelandet, aber es herrschte trotzdem rundherum Zufriedenheit. Gibt es das vielzitierte „Dabeisein ist alles“ also doch? Unser Chef Reinhold war dann auch schon aus Irdning am Telefon dran, und gratulierte mir ebenfalls. Er rechnete mir auch schon meine Splits vor, wie gut ich zwischen km 40 und 50 gelaufen war (woher hatte er so schnell all die Daten?) – mich überforderte das geistig doch noch ziemlich, aber ich freute mich sehr über seine hochzufriedene Rückmeldung. :)
Dass das Projekt „Wales 2013“ ein so gutes Ende nahm, war eine gemeinsame Leistung von vielen. Sabine und Karin hatte mir mit ihrer Überzeugung und Motivation gar keine Chance gegeben, meine Teilnahmezusage zurückzuziehen. Ulli, die dann kurzfristig eingesprungen war, und noch einmal ein deutliches Zeichen gesetzt hatte, dass „wir“ die Sache durchziehen. Reinhold und Michael, die mich mit meiner Verletzung in Ruhe ließen und nicht ständig nach Updates und Fortschritten fragten (mich machte nur das große Vertrauen leicht nervös …). Norbert, Monika und Evelin, bei denen ich, obwohl ich sie kaum bzw. nicht kannte, das Gefühl hatte „gut aufgehoben“ zu sein – sie würden sich gut um mich kümmern, und das taten sich auch. Überhaupt Monika schaffte es, mir innerhalb eines Tages das Gefühl zu geben, dass ich das schaffen könnte. Da war auf einmal mehr Selbstvertrauen dabei. Im Vorfeld schon Thea die wochenends meinen Fuß zurechtknetete und –klebte und da wahre Wunder bewirkte. Winfried, der es sich wieder „angetan“ hatte, mich bei einem großen Event zu betreuen – trotz vorheriger schlechter Erfahrungen und trotz auch diesmal geringer Erfolgsaussichten. Ich war erleichtert, dass er nach all den Bauch-, Kopf- und Sonstwie-Schmerzen wohl auch Grund zur Freude hatte. Und Martin und alle (Lauf-)Freunde, die sich in der Zeit meiner Verletzung mit Kommentaren zurückhielten und mich in Ruhe ließen, und dann, als ich wieder langsam „auf die Beine“ kam, sich mit mir mitfreuten – auch das hat mir sehr geholfen, den schwierigen, wackligen Weg nach Wales und zurück zu finden. Zu wissen, dass es viele gibt, die mit mir mitempfinden und sich im Erfolgsfall mit mir mitfreuen, hat mir geholfen, es zu schaffen.
Es war nicht leicht, aber es war gut. :)

Und für die Zahlenfreunde noch die Daten:

1K   00:06:57      
Stage Position   104      
9K   00:56:42   00:49:45   
Stage Position   103   -1   
16K   01:35:26   00:38:44   01:28:29
Stage Position   103   0   
24K   02:28:17   00:52:51   
Stage Position   102   -1   
31K   03:06:20   00:38:03   01:30:54
Stage Position   100   -2   
39K   03:57:36   00:51:16   
Stage Position   96   -4   
46K   04:35:11   00:37:35   01:28:51
Stage Position   90   -6   
54K   05:25:43   00:50:32   
Stage Position   81   -9   
61K   06:03:26   00:37:43   01:28:15
Stage Position   78   -3   
69K   06:54:58   00:51:32   
Stage Position   73   -5   
76K   07:34:07   00:39:09   01:30:41
Stage Position   71   -2   
Gun Time   07:38:33   00:04:26   
Overall Position   71   0   
Chip Time   07:38:29   00:04:22   
Chip Position   71   0   

Mit Rundenzeiten von 1:28:29 - 1:30:54 - 1:28:51 - 1:28:15 - 1:30:41 ar ich also doch nicht sooo viel langsamer geworden. ;)
hippocampus abdominalis

Offline Pizzipeter

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« Antwort #2 am: 29.07.2013, 10:04:13 »
Hui - das war , passend zum Lauf, ein Ultrabericht!
Toll, wie du das (Laufen und Schreiben) immer wieder schaffst!
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Offline Tschitschi

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« Antwort #3 am: 29.07.2013, 13:00:35 »
Sehr sehr beeindruckend!! Frag mich nur ob du beim Laufen oder  beim Rehab schneller bist!
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Offline uschi61

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« Antwort #4 am: 29.07.2013, 17:20:28 »
danke für diesen ausführlichen und interessanten bericht - ein genuss zum lesen! und nochmals gratulation zum tollen lauf nach der weniger tollen vorbereitung!!
Lebe deine Träume!

Offline Anna

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« Antwort #5 am: 30.07.2013, 19:48:18 »
Super - hab mich ja schon sehr gefreut, dass du durchgelaufen bist. Aber dass es dann am Ende so gut gelaufen ist! Extrem spannender Bericht.

Offline wi(e)nfried

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« Antwort #6 am: 02.08.2013, 12:54:19 »
Habe ich eigentlich schon gesagt, dass du das sehr gut gemacht hast? :-)
“During the hard training phase, never be afraid to take a day off.
If your legs are feeling unduly stiff and sore, rest; if you are at all sluggish, rest;
in fact, if in doubt, rest.”
- Bruce Fordyce

Offline Richy

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« Antwort #7 am: 02.08.2013, 18:04:28 »
Beeindruckend!
Sowohl Lauf als auch Bericht.

Und für mich unvorstellbar wie schnell du immer wieder zurück kommen kannst. Gratulation.

Offline heitzko

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« Antwort #8 am: 02.08.2013, 18:17:06 »
carola... einfach super! ich freue mich sehr für dich. einfach toll! das war ein super ersatz für den rennsteig, oder :)?!

Offline Ulrich

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« Antwort #9 am: 02.08.2013, 20:50:22 »
Danke Carola! Du bist mein Vorbild für Regeneration und unglaubliche Berichte!
Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline boenald

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« Antwort #10 am: 05.08.2013, 10:51:52 »
Nach dem, was wir vor kurzem erst über Ultra-, Trail- & Bergläufe geplaudert haben, bin ich jetzt endlich dazugekommen, den Bericht nachzulesen.- War a) hoch an der Zeit und b) eine rundherum beeindruckende Schilderung. Hut ab, echt toll!! Gratuliere!
Paragraph eins: jedem sein´s.

 

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