Autor Thema: 2013-10-13 Graz Marathon - cbendl  (Gelesen 1117 mal)

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« am: 13.10.2013, 00:00:00 »
Datum: 2013-10-13
Event: Graz Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: cbendl

Offline cbendl

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #1 am: 13.10.2013, 00:00:00 »
Befriedigend, setzen!

Marathon! Endlich wieder, nach zwei Jahren! Nach langer Zeit wollte ich es wieder einmal schaffen zu einem als Saisonhöhepunkt geplanten Lauf fit und vorbereitet an den Start zu gehen und eine gute Leistung zu liefern. In den letzten beiden Jahren (und auch davor schon oft) war es mir ja nicht vergönnt. Frühling 2012, Seregno – (viel zu spät entdecktes) Knochenmarksödem und nur (alibihalber) 6 km gelaufen. Herbst 2012, Frankfurt – nach halbwegs brauchbarer Vorbereitung diffuse Schmerzen, Verspannungen und Verhärtungen und ebenfalls nur für’s Dabeisein gestartet, 5,5 km absolviert. Frühling 2013, Mailand – Fraktur im Mittelfuß zwei Wochen vor dem Event, kein Laufen denkbar.
Im Herbst sollte es endlich anders werden! Ziel war nach der Verschiebung und drohenden (und dann auch tatsächlichen) Absage der 100 km WM ein einfaches und naheliegendes: Der Graz Marathon, gleichzeitig Marathon Staatsmeisterschaft. Eine Reise zu einem Auslandsmarathon würde sich nicht lohnen, da Martin nach seinem 24-h-Lauf im September nicht lauffähig sein würde, und Zuschauen mag er ja nicht gar so sehr. Außerdem hatte ich an den Graz Marathon (damals noch auf anderer Strecke und unter anderer Leitung) eigentlich gute Erinnerungen: 2004 meinen ersten Marathon gelaufen, 2005 und 2006 meine Bestzeiten deutlich verbessert, 2007 guter Wiedereinstieg nach Verletzungen. Gut, 2009, 2010 und 2012 war es weniger schön, 2010 eigentlich fast traumatisch, aber das sollte sich wieder ändern.
Mitte Juli startete ich frisch-fröhlich mit der Vorbereitung und hatte hohe Erwartungen! Eine Medaille in der Staatsmeisterschaft, eine Zeit in der Gegend meiner PB (dass Frankfurt 2011 schwer zu übertreffen sein würde war mir klar) sollte es werden. Die drei Monate hielt ich für ausreichend, war ich doch auch 2011 Anfang Oktober nach Krankheit im Frühling schon eine PB gelaufen. Nun, ganz so unproblematisch wurde es doch nicht. Der Anfang verlief gut, doch Mitte August kam der erste Hänger und ich musste pausieren. Vor Kärnten Läuft dachte ich mir, ich könnte unmöglich einen Halbmarathon schaffen, egal in welchem Tempo. Dort wurde ich aber positiv überrascht und hatte Grund zur Freude. Auch das Training lief wieder positiv. Allerdings: Immer auf niedrigem Niveau: Regelmäßig nur vier Laufeinheiten, Umfänge von ca. 70 Kilometern; dazu (in etwa) einmal pro Woche auf dem Ergo, einmal Schwimmen und einmal Krafttraining. Nicht ganz das, was ich mir vorstellte, aber das Maximum und auch das Beste was machbar war – mehr hätte ich nicht verkraftet. Vor allem die langen Läufe fehlten (mir), abgesehen von einem U4U4 Mitte Juli war da nicht viel. Immerhin regelmäßige hügelige Läufe an die 20 Kilometer, die auch meist recht gut verliefen. Und das Datum rückte näher … Mir war klar, dass das der Preis der langen Verletzungspause war: In so kurzer Zeit, wo noch viel Aufbau nötig war, waren einfach Kompromisse nötig, es ließ sich (leider) nicht alles im Training unterbringen.
Einzelne durchaus anspruchsvolle Trainingseinheiten, eine (knappe) HM PB Anfang September beim Wiener Halbmarathon (1:23:21) sowie ein für meine Verhältnisse ausgezeichneter Business Run stimmten mich zwar immer wieder zuversichtlich, doch wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich mir eingestehen, dass das alles Kurzstrecken-Lichtblitze waren. Für den Marathon bedeutete das eher gar nichts. Zwei Lange Läufe gab’s dann doch: Im Rahmen des Sechsstundenlaufs von Brugg meinen privaten Dreistünder und eine Woche darauf nochmals knapp 36 km. Das verlief alles ganz gut, aber eine richtige Marathonvorbereitung stelle ich mir anders vor.
Noch zwei Wochen …
Und kurz vor Beginn der „Final 14“ begann ich auch komisch herumzukränkeln. Starke Kopfschmerzen, Frieren, Muskel- und Gelenksschmerzen, Müdigkeit, Fieberblasen, Übelkeit, Atembeschwerden, Einschlafschwierigkeiten – alles, was der Körper so an „Zuständen“ zu bieten hat. Immerhin: Alles Laufspezifische war in Ordnung! Zwar da und dort mal ein wenig Stechen, Ziehen oder Zwicken, aber nichts, das nicht mit Massagerolle, Massage, Physiotherapie oder dgl. behoben werden konnte. Das war immerhin schon Grund zur Freude für mich! Es heißt ja „If you undertrain, you might noch finish – if you overtrain, you might not even start“. Zumindest die zweitere Gefahr schien einigermaßen gebannt zu sein.
Die letzten beiden kurzen Rennen, die ich (halbwegs) voll laufen sollte, der Bisamberg Nightrun und der Vienna Nightrun waren von diesen Unpässlichkeiten geprägt. Zwar gingen sich, da das Starterfeld nicht allzu stark war, ein Sieg und ein guter dritter Platz aus, aber mein Gefühl war alles andere als gut und so lief ich relativ lustlos vor mich hin. Stress in der Arbeit schlug auch gnadenlos zu, der Kaffee schien sich schon durch die Magenwände zu fressen. :-( Nicht mehr lange bis zum Graz Marathon … Zu alledem „passend“ legte ich „natürlich“ auch ein paar Frust- und Stress-Kilos an. Um zu retten, was noch zu retten ist, setzte ich am letzten Wochenende auf intensive Schlafkur. Tatsächlich, es half ein wenig. In den letzten Tagen vor dem Lauf begann mein linkes Bein an unterschiedlichsten Stellen zu stechen und (weg)zuzucken. Dennoch – die letzten noch anspruchsvollen Trainingseinheiten klappten wenigstens – zwar fühlten sie sich nicht so locker an, wie man sich kurz vor dem Saisonhöhepunkt fühlen soll sondern eher etwas nach Schwerarbeit, aber immerhin, es war schaffbar. Zwei Tage Koffeinentzug brache mich auch wieder aus dem Delirium zurück auf die Erde. Die Notfallmaßnahmen zeigten also wenigstens ein bisschen Wirkung.
Meine hohen Erwartungen aus dem Sommer waren natürlich schon längst zusammengeschmolzen. Wie es mein „Schicksal“ will war es wieder so dass in den Jahren, wo ich eine Marathon Staatsmeisterschaft laufe, die Nennliste stark ist. Ich konnte also nicht einmal auf eine „billige“ Medaille hoffen und mich somit trösten. Irgendwann war aber auch das egal. Es erinnerte mich an frühe Studienzeiten: Vor einer schweren Prüfung, für die man niemals wirklich ausreichend vorbereitet sein kann, erreichte ich regelmäßig irgendwann den Punkt, wo es mir egal wurde, was das Ergebnis sein würde. Egal ob geschafft oder nicht geschafft, vorerst wollte ich nur diesen Antritt hinter mich bringen, das Thema kurz vergessen dürfen – und dann, irgendwann später weiterschauen. So war es auch mit Graz: Egal ob gute Zeit oder DNF: Ich wollte es nur hinter mich bringen. Irgendwie!!
So ging es am Samstag nach Graz. Um nicht vorzeitig aufzugeben versuchte ich ja doch, die schlechte Vorbereitung durch gute Organisation zu kompensieren. Sprich: Martin verpasste mir die bewährten Tapes für Oberschenkel / Hüftbeuger sowie für das Zwerchfell. Außerdem wollte ich – diesmal wirklich! – ausreichend Gels dabei haben. Gerade wenn mir Training über lange Distanzen fehlt … Zwei große und zwei kleine in die Hose, außerdem würde Martin, der sich eine ausgeklügelte Anfeuerungsroute zurechtgelegt und auf den Forerunner programmiert hatte, ebenfalls einige mitbekommen, für den Notfall, falls ich mein Zeug ausstreuen wollte, damit er mir bei den Labestationen Nachschub verschaffen könnte. Für die letzte Erholung noch ein Nachmittagsschlaf und abends früh ins Bett. Zur guten Organisation gehörte auch, am Sonntag rechtzeitig vor Ort zu sein, damit beim Aufwärmen, Kleiderabgabe und mehrmaligem Kloschlagestehen nur ja keine Hektik aufkommen würde. Bei Start 10:00 allerdings keine besondere Schwierigkeit. Wir hatten also getan, was wir konnten.
Das Wetter war gut – aufgelockert bewölkt, angenehme Temperaturen, nur leider windig. Mein Plan war, mit ca. 4:05 anzulaufen und dann mal zu sehen, ob es sich nach schneller oder nach langsamer werden anfühlen würde. Der Start verlief allerdings abwärts, Tempo justieren war also schwer. Einige Kilometerstafeln standen auch sehr falsch (leider war mein schnellster Kilometer nicht 3:13 ;-) ) und sehr hoch montiert, so dass ich sie, wenn ich auf die Strecke schaute, teilweise übersah. So lief ich mal nach Gefühl und der GPS Angabe. Das Gefühl war gut und meinte, das wäre schon ein passendes Marathontempo. Die Kontrolle der GPS Pace meinte aber, dass ich doch verdächtig schnell war. GPS so falsch? Oder ich wirklich zu schnell? Ich versuchte etwas zu bremsen. Im Damenfeld (man kennt sich ja ;-)) ordnete ich mich an 5. Stelle ein. Vorneweg zwei (ausländische) Eliteathletinnen, die nicht an der Meisterschaft teilnahmen. Dahinter Karin Freitag und Conny Köpper, obwohl eher mit Unterdistanzstärken aber dank ihrer „insgesamt“ Klasse dennoch Favoritinnen. An einem guten Tag für mich zwar in Reichweite, aber heute??? Also nur nicht den klassischen Fehler eines Meisterschaftsrennens machen und zu starken Läuferinnen hinterherhetzen. Platz 3 passt gut, wenn vorne etwas passiert, kann ich vielleicht davon profitieren, aber eben nur, wenn ich mich nicht selbst vernichte. So ging’s dahin, gar nicht so schlecht, aber doch etwas früh, nach ca. 10 km begann ich „etwas zu spüren“. Oje. Lieber etwas einbremsen. Die Strecke war wellig, ab km 1 ging es – mit Ausnahme eines kleine Knicks bei 3 – bis 7,5 ordentlich bergauf. Dort, wo es in die „Grazer Pampa“ ging, blies der Wind auch ordentlich entgegen und schon auf der ersten Runde war das Feld doch schon einigermaßen zerpflückt, dass es keinen wirklichen Windschatten gab. Immerhin war der „Wendepunkt Nord“ irgendwann erreicht, dann ging es wieder mit Rückenwind bergab. Dort zählte ich durch: Fünf Läuferinnen vor mir, hinter mir aber auch keine große Lücke. Passt also alles soweit, aber ausruhen sollte ich mich nicht! (Schade ;-) )Hier begann auch das Stück, wo Martin öfter an der Strecke stehen und anfeuern würde. Ein Lichtblick bei diesem zähen Lauf! Hin und wieder gab es etwas Leben, bspw. bei einzelnen „Stimmungsmeilen“ oder den Staffel-Übergabepunkten. Bei diesen feuerten mich meine „Murauer-Kolleginnen“, mit denen ich letztes Jahr in der Staffel gelaufen war an. Ich freute mich über jedes freundliche Gesicht! Auch Hans Newetschny, den ich zweimal an der Strecke sah, war ein Lichtblick für mich. Mich nervte an diesem Tag ja ziemlich viel. So auch Labestationen, die den Kurven-Außenseiten, anstatt innen angebracht waren. So ein Unfug! Warum tun sie uns diesen Umweg an? Ich dachte ja schon ans Aufgeben, aber nachdem sich Martin seinen Plan zurechtgelegt hatte, wo er mich anfeuern könnte, konnte ich ja nicht einfach abzweigen, sondern musste ihm Bescheid geben, also hieß es weiterlaufen.
Mein erstes Gel nahm ich plangemäß zwischen km 15 und 16. Noch spürte ich keinen Hunger, aber rechtzeitig vorsorgen würde nicht schaden, und diesmal hatte ich ja ausreichend mit. Es ging weiter, es war fad und ich fragte mich, was ich da mache. Irgendwann, als viele, eigentlich fast alle, Läufer um mich herum schneller zu werden schienen, und es auch schon länger her war, dass ich Martin gesehen hatte, kam die Sorge in mir auf, ich hätte die Abzweigung Halbmarathon / Marathon verpasst und würde mich nun inmitten der ihrem Ziel entgegensprintenden Halbmarathonis befinden. Na das hätte ja gerade recht zu diesem verpatzen Marathon gepasst! Oder war es vielleicht auch Wunschdenken, und ich suchte nach einer Ausrede, aufhören zu dürfen? Doch Martin stand bei km 19,3, wie ausgemacht, ich war also noch auf der richtigen Strecke! Und es kam auch schon tatsächlich die Abzweigung und ich spielte nicht verwirrt, sondern lief brav links auf die Marathonstrecke weiter. Bei der Halbmarathonmarke sah ich Martin wieder (da baute ich schon mal vor und sagte ihm dass es recht zäh wäre ….), so wie auch wieder die Murauer Staffel. Für mich überraschend ging ich in 1:25:56 über die Matte, ich hätte mich für langsamer gehalten (GPS und offizielle, aber ebenfalls fehlerhafte, Kilometermarken wichen schon um mehr als 100 Meter voneinander ab, so dass mir ein wenig der Anhaltspunkt fehlte), aber ich hatte auch Sorge, dass ich das wohl nicht ins Ziel bringen würde. Egal, weiterlaufen war die Devise. Das wurde allerdings, nach der Halbmarathonabzweigung war die Strecke auf einmal wie leergefegt, weniger lustig. Schließlich ging es von 17 bis 25 wieder bergauf, und das lange Gegenwindstück bis zum zweiten Mal „Wendepunkt Nord“ war ebenfalls wieder vor mir. Hier machten sich meine Kilos zu viel wirklich deutlich bemerkbar. Nicht nur, dass ich spürbar mehr schleppte, als sich gut anfühlte, auch die Oberschenkel begannen aufzureiben. Der physische Schmerz hielt sich in Grenzen – aber der psychische, was für eine Demütigung, so etwas war mir noch nie passiert!!! Mich freute es ja wirklich überhaupt mich mehr, aber was sollte ich tun? Die Folgewoche war schon für Regeneration geplant. Ich hatte auch vor zweimal ins Kino zu gehen. Würde ich den Marathon nicht finishen, würde ich weitertrainieren "wollenmüssen", worauf ich eigentlich ebenfalls keine Lust hatte, und außerdem würde die Programm-Umplanung aufwändig sein. Also lieber doch weiterlaufen, bis ans bittere Ende. Und schließlich: Ich hatte es immerhin mit zwei gesunden Beinen an den Start geschafft! Diesen zuletzt seltenen Genuss leichtfertig zu verschleudern, nur weil halt „ein bissi mühsam“ wird, wäre gar zu prinzessinnenhaft und würde sich bestimmt irgendwann rächen. Irgendwann fiel mir auch das Kilometerspiel ein: Eine 25-km-Durchgangszeit bräuchte ich ja auf alle Fälle! Es war schon Sonntag, eine Möglichkeit, das zu einem anderen Zeitpunkt zu laufen, hatte ich nicht! Die 25 Kilometer waren kurz nach dem mir schon so verhassten Wendepunkt Nord erreicht. Leider nicht nach < 100 Minuten, wie es doch gar so schön gewesen wäre, aber immerhin nach 102. Doch obwohl es dann wieder mit Rückenwind abwärts ging, ging es mit meiner Verfassung die nächste Stufe abwärts. Allerdings: bei „noch 17“ kann man ja schon mit dem Countdown beginnen, es ging wieder in Richtung Zivilisation, und irgendwann würde ich auch wieder Martin herumspringen sehen. Ein Gel nahm ich auhc wieder, auch das sorgte für etwas Abwechslung. Diese Stück lief ich gemeinsam mit einem im Twinni Look (oranges Singlet, grüne Kompressionsstulpen). Er schien mein Leiden zu bemerken und drehte sich immer wieder nach mir um, ob ich „eh noch da wäre“. Als er einmal Christophs Kartoffelsuppe erwähnte wurde mir klar, dass er mich vom Trail Maniak Lauftreff kennen würde. :-) Sehr nett, so hatte ich also wieder für ein Stückchen einen Leidensgenossen. Jetzt würde ich auch Martin in immer kürzeren Abständen treffen, und mittlerweile dachte ich mir schon, dass sich aufgeben auch nicht mehr auszahlen würde. Bei km 28 rief er mir zu, dass wir uns bei 30 wieder sehen würden. Und da war die Distanz ja nur mehr wie bei meiner „Stammrunde“ Büro Praterstern – Lusthaus – Praterstern – Büro. Irgendwie würde das schon klappen. Ausruhen gab es aber immer noch keines, ich hörte immer wieder, wie die nächste Läuferin, nicht weit hinter mir, angefeuert wurde. Immerhin kam sie aber auch nicht näher. Bei Martins „Anfeuerungsmarathon“ musste ich an Mailand denken, wo er gelaufen und ich zuschauenderweise (mit gebrochenem Fuß leider langsamer) unterwegs war. Ich erinnerte mich daran, dass Martin auch sehr gekämpft hatte und es ihm gar nicht gut gegangen war – aber auch er hatte sich bis ins Ziel gearbeitet, dem wollte ich nicht nachstehen. So lief ich im Geiste auch ein wenig Mailand nach (und ich war schon die zweite, die er mit seinem Marathon zum durchbeißen motivieren konnte). Gerade waren wir an der Scala, dann würde der Teil kommen, wo ich Martin bei seiner Gehpause aufgeschreckt hatte … Die Gedanken an alles Mögliche andere, nur nicht an meinen mühsamen Lauf hier, lenkten mich immerhin ab, und schon war ich bei der 30-Kilometermarke angekommen, wo Martin wieder stand. Dort knurrte ich ihn allerdings für die Anfeuerung, dass jetzt „mein Stück“ kommen würde, böse an: Es fühlte sich nach allem an, nur nicht nach einem schnellen Schlussabschnitt, auf dem ich angreifen könnte! Durchkämpfen war schon das höchste der Gefühle, höhere Erwartungen und Anforderungen waren da nur demoralisierend. Bei km 30,5 lief ich auf den Besenwagen auf, der den letzten Teilnehmerinnen folgte. Ich fixierte ihn und die beiden und setzte zum Überholen an. Doch da kam auf einmal großes Geschrei von der Labestation (genau von der, über die ich mich 17 km zuvor so geärgert hatte): Hier trennten sich die 1. und die 2. Runde, und ich musste nicht wieder links herum, sondern nach rechts! Was war mir denn da eingefallen, eine dritte Runde hätte ich wirklich nicht gebraucht! Nun ging es drei Kilometer den Murkai entlang, und hier gab es endlich Stimmung! Das war auch auf der früheren Strecke ein Highlight. Ich wusste zwar, dass ich im ziemlichen Schleppschritt unterwegs war, aber andererseits war das Ziel nicht mehr allzu weit. „Nur mehr einstellig“, großes Glück für jeden Marathoni! Vom Murkai ging es Richtung Süden noch einmal in die Pampa. Die Strecke war hässlich, die Gegend fad, aber mittlerweile war’s mir egal, es zählte nur mehr jeder einzelne Schritt. Beim Wendepunkt Süd sah ich, dass Karin und Conny vorne schon eine sehr große Lücke aufgemacht hatten und nicht nach Eingehen aussahen. Macht nichts, egal, weiterlaufen, ein dritter Platz ist schon eine ausreichende Belohnung. Beim Passieren der Wende sah ich auch, dass meine Verfolgerin immer noch nicht weit von mir entfernt war. Andererseits … die ca. 30 Sekunden Rückstand, die sie zu haben schien, wären auch nicht so leicht aufzuholen, wenn ich nicht komplett eingehe. Martin, der mir zuvor irgendwann zugerufen hatte, dass von hinten nichts drohen würde (wobei ich aber wusste, dass ich nicht allzu viel Luft nach hinten hätte), korrigierte sich jetzt auf „Nicht gehen lassen!“ Das hatte ich ohnehin nicht vor, auch wenn für eine fulminante Schlussattacke keine Kraft mehr da war. Einfach nur das Tempo halten – irgendwie!! – und das würde dann schon hoffentlich ausreichen. Ab km 38,5 waren wir dann wieder in Zentrumsnähe. Jetzt gab es langsam wieder Stimmung, die Anfeuerungen taten mir merklich gut, und auch, dass ich, obwohl ich wirklich hart kämpfte, dennoch immer wieder Läufer überholte (insgesamt auf der 2. Hälfte immerhin 28 Positionen). Das Schlussstück der Strecke hatte ich mir wieder einigermaßen gut eingeprägt, um mich nicht von vermeintlicher Zielnähe irreführen und zermürben zu lassen. Ein kurzes Stück am Ostufer der Mur entlang, dann eine Spitzkehre nach rechts, linksherum, linksherum, eine zweite Spitzkehre, noch einmal linksherum und dann die letzten hundert Meter ins Ziel!
Hier ging es auch durch die Herrengasse, da tut sich was, da bin ich auch schon früher immer am liebsten gelaufen. Bei km 40,9 informierte mich Martin, dass die „Gefahr“ nun wirklich gebannt war und ich das letzte Stück und den Zieleinlauf genießen sollte. Jetzt aber, wo das Laufen – zumindest den Umständen entsprechend – endlich wieder Spaß machte und mir die Strecke sympathisch war, wollte ich noch einmal das Letzte geben und raffte mich auf, so gut es ging, Tempo zu machen! Das letzte Stück ging wieder bergauf (dort, wo es knappe drei Stunden zuvor noch so locker bergab gegangen war), aber auch hier wollte ich nochmals Gas geben. Ich wusste ja, den Burgring hinauf kann man auch „fliegen“. Einen Läufer, der knapp vor mir lief, erwischte ich nicht mehr, aber ich war immerhin zufrieden, eine 2:54er-Zeit geschafft zu haben. Pessimistische Hochrechnungen unterwegs hatten schon eher 2:55 ergeben. Zwar nur mein viertbester Marathon, aber immerhin: Endlich wieder einmal einigermaßen anständig gelaufen! Ich wurde als fünfte Frau angesagt, so wie ich selbst auch mitgezählt hatte. Nach der Ziellinie war die Kraft aber wirklich am Ende, das Stehen fiel mir zunächst schwer. Zu meinem Glück war Alfred, der eigentlich 14 Minuten vor mir angekommen war auch noch im Zielraum, an ihm konnte ich mich festhalten, und dann ging es schon. Ich traf gleich weitere Freunde im Ziel, und gemeinsam wankten wir Richtung Ausgang. Das sah ich gerade eine Offizielle, die von Conny die Personalien aufnahm, vermutlich für die Dopingprobe. Ich gratuliere Conny zunächst und erwartete, selbst auch gleich einkassiert zu werden. Allerdings – keine Reaktion. Wurde ich übersehen? Was war da los? Da kam auch schon Martin daher, beglückwünschte mich, erkundigte sich nach meinem Befinden und kam dann auch schon mit der schlechten Nachricht: „Du, du dürftest in der Meisterschaft nur 4. sein … “ Waaas?? Wie das jetzt auf einmal? Ich war doch 5., und in der Meisterschaft 3.!?!? „Nein, da ist eine, die hab ich erst ganz am Schluss gesehen, die ist noch vor dir ins Ziel gekommen.“ Hm, dass ich und auch alle anderen die übersehen haben?? „Und ist sie wirklich Marathon gelaufen, mit einer Meisterschaftsnummer, und nicht Halbmarathon oder Staffel??“ „Ja, ich glaub schon …“ Tatsächlich, da stand ja eine, und auch von ihr wurden Daten auf einem Formular notiert. Ich fragte sie, ob sie Marathon gelaufen wäre – was sie bejahte. OK, kurze Gratulation, dann war mir klar, dass ich dort wirklich nicht weiter gebraucht wurde und holte meine Sachen aus dem Garderobezelt. Die Quälerei, die ganze Anstrengung, für Platz 4, für nichts? Naja, nicht ganz, das war mir schon klar. Ich wollte ja eigentlich Marathon laufen, egal, was rundherum passieren würde. Das hatte ich geschafft. Ich hatte die zweite Hälfte immerhin auch in 1:28:30 absolviert – auch das hätte schlimmer kommen können. Ich habe mich nicht gehen lassen, ich bin nicht gegangen, ich habe einen Schnitt von 4:08 durchgezogen und ich bin gesund, ohne Schmerzen ins Ziel gekommen.
Meinen Wunsch, nach einer Medaille, der in den optimistischen Szenarien immer noch existiert hatte, hatte ich nicht geschafft, aber dieser wäre auch, nachdem sich die Konkurrenz keine Blöße gegeben hatte, sondern, im Gegenteil, allesamt mit tollen PBs gefinisht hatten, auch sehr ambitioniert gewesen.
In dem Hin und Her zwischen Enttäuschung und Freude überwog dann letztendlich doch die Erleichterung. Ich war (von meinen Verletzungen) gesund, ich konnte (nach meiner Kränklichkeit) der letzten Woche noch rechtzeitig die Kurve kriegen, ich hatte keine (allzu) „blöden Fehler“ gemacht, ich war nach einer gefühlten Ewigkeit wieder einen Marathon bis ins Ziel gelaufen. Mein Hauptziel, diesen Tag einfach nur irgendwie zu überleben, hatte ich geschafft – die Prüfung war absolviert. Nicht toll, aber brauchbar. „Befriedigend, setzen“ – und beim nächsten Mal besser machen!

Die Zahlen zum Schluss:
2:54:23 (2:54:26 brutto)
1. HM 1:25:53; 2. HM 1:28:30

Rang 82; 5. Frau; Rang 4 Österreichische Staatsmeisterschaft
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Offline CobbDouglas

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #2 am: 14.10.2013, 21:02:10 »
Ich hab es eh schon (merhfach :) )erwähnt, aber das war nicht befriedigend, sondern immer noch sehr gut. Angesichts der Saison sowieso. Die "übersehene" dritte war auch wirklich ein bisschen schwierig zu bemerken wenn man normal die Konkurrenz kennt. Ein 71er Jahrgang der beim Marathondebüt auf Rang 3 bei den Staatsmeisterschaften rennt ist wohl auch eher nicht der Normalfall. Vor allem wenn auch der einzige (?) HM heuer im Ausland gelaufen wurde und sie aus dem fernen Westen ist kann man die schon übersehen. Ändert aber alles nix an Deiner super Zeit und Leistung und für die Motivation war es wohl eh gut so wie es war. Ich finde es übrigens beruhigend wenn es auch bei euch guten schon vor km 25 weh tut, denn mein Test 25er war auch alles andere als entspannt, jetzt weiß ich wenigstens dass das so gehört und die 17km die da noch gefehlt haben eh nur noch sowas wie auslaufen sind. :)
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Offline Tschitschi

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #3 am: 14.10.2013, 22:12:57 »
War toll zu lesen dein Bericht, habe da -glaub ich- sehr mitfühlen können. Und da spricht schon eine viel reifere Carola! Gratulation!
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Offline Diana11

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #4 am: 14.10.2013, 22:19:57 »
Danke, Carola, ganz toller Bericht! Für mich ist ja der Marathon noch eine unbekannte Größe, umso interessanter sind deine Erfahrungen für mich. Das Rennen hast du bestmöglich gemeistert, diesmal waren halt leider die Umstände so wie sie nun mal waren. Ich kann das eine "weinende" Auge sehr gut nachvollziehen, aber du kannst stolz auf dich sein: du hast dich durchgebissen und gekämpft auch wenn's noch so zach war.
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Offline heitzko

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #5 am: 15.10.2013, 07:29:14 »
toll hast du durchgebissen carola! ich glaube, dass du derzeit km-umfangmäßig gar nicht so schlecht unterwegs bist und wenn es noch ein bissi mehr wird (nicht vieeeeel mehr) wird das eine gute basis für sich besser-anfühlende-marathons bilden :).

Offline Pizzipeter

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #6 am: 15.10.2013, 08:30:55 »
Gut, jetzt versteh ich die beiden "Augen"!
Trotzdem, grautliere zu einer (rückblickend auf die letzten Monate) grandiosen Leistung!
...und danke für das Miterleben ;-)
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Offline shiloh

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #7 am: 19.10.2013, 20:30:27 »
Vieles kommt mir da sehr bekannt vor - die fehlende Form, die mangelnde Motivation, die im Gegensatz zum doch "Irgendwie-Laufen-Wollen/Müssen" steht, die Wehwehchen - das halt alles irgendwie zäh geht.
Dennoch - einen Marathon unter 3h zu beenden ist für Hobbyathleten, wie wir sie doch alle irgendwie sind, eine sehr gute Leistung, auf die wir zurecht stolz sein können!
LG
It`s good to have an end to journey toward, but it`s the journey that matters, in the end. (Ernest Hemingway)

Offline Richy

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #8 am: 29.10.2013, 23:24:06 »
Hab beim lesen richtig mitgelitten.
Trotzdem - eine Wahnsinnsleistung.
Die Gedanken - die dir beim Marathon so durch den Kopf geistern deuten in der Tat auf eine reife Carola hin. Noch bist im besten Alter - es ist noch was drinnen. Toi toi toi

Offline StefanM

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2013-10-13 Graz Marathon - cbendl
« Antwort #9 am: 02.11.2013, 09:52:47 »
Danke für die Einblicke in die Gedankenwelt einer Eliteläuferin!

 

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