Autor Thema: 2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda  (Gelesen 1438 mal)

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« am: 30.05.2015, 00:00:00 »
Datum: 2015-05-30
Event: Stockholm Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: soleda

Offline soleda

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« Antwort #1 am: 30.05.2015, 00:00:00 »
Stockholm im Regen...

Zu meinem 40er bekam ich letztes Jahr die Anmeldung zum Stockholm-Marathon geschenkt.  Eigentlich hatte ich mir, nach einem „missglückten“ VCM 2002 geschworen, so einen „Blödsinn“ nie wieder zu machen.
Gelaufen bin ich seither immer, meist so um die 30km/Woche. Seit 2007 mache ich hin und wieder einen Duathlon mit.
Eine strukturiertes Training kannte ich nicht.

Vor 2 Jahren hat mich das  Buch „Born to run“  wieder aktiviert und motiviert längere Strecken zu laufen.  
Ich begann mich auch wieder mit dem Thema Marathon zu beschäftigen und hab mich letztes Jahr auch hier im Forum registriert und interessiert und wissbegierig viele Marathonberichte und Blogs gelesen.
Meine Frau hat dies offensichtlich mitbekommen und in ein Geschenk verpackt, auch mit der „Erlaubnis“ 6 Monate 7-8h in der Woche laufen zu können, was ja mit Kindern und Beruf nicht immer so leicht ist.

Nun genug zur Vorgeschichte.
Trainiert habe ich den Trainingsplan A von Jack Daniels,  100 maximale Wochenkilometer.  VDOT 52.
Durch ein Piriformis-Syndrom musste ich in der 2.Phase 3 Wochen pausieren, dadurch habe ich mit der Wiedereinstiegszeit 6 Wochen  „verloren“.
Ich hab dann als Notprogramm von der Phase 2 und 3 nur je die letzten 3 Wochen trainiert.  Die Vorbereitung war also alles andere als perfekt, das Training hat mir trotzdem sehr viel Spaß gemacht.

Vor dem Marathon war ich sehr nervös. 10 Tage vor dem Start begann ich stündlich Wettervorhersagen zu studieren.  
Dazu  beängstige mich eine extreme Müdigkeit in der letzten Trainingswoche.
Mein Schwager, ein erfahrener Marathoni, der mich in Stockholm läuferisch begleitete,  beruhigte  mich  mit dem Wissen, dass dies ein gutes Zeichen sei. Naja.
Ich reiste schon 3 Tage vor dem Start mit Familie und Verwandtschaft an, um auch die Stadt und die Umgebung zu genießen.
Das Wetter war eigentlich perfekt. Sonne und Wolken bei 16 Grad, immer wieder stärkerer Wind.
Sehr speziell: Es war bis 23h und ab 4:30 hell. So war ich abends lange hellwach und trotzdem schon um 5h munter. Das mündete in einen leichten Schlafmangel.
Die Startnummernabholung war trotz der hohen Starterzahl unkompliziert und ohne Warterei. Das Startsackerl war nur mit der Startnummer, einer Anleitung und dem Chip befüllt. Kein Müll, sehr positiv!
Die Nudelparty mit Livemusik und sehr leckerer Pasta mit Knäckebrot und Aufstrichen. Dazu San Pellegrino.
Im Expo-Zelt gab es alles von Asics und sehr viel Werbung von Marathonveranstaltern in ganz Europa.

Der Marathontag begann mit Sonne. Bei einer Startzeit um 12h war ein ausgedehntes Familienfrühstück geplant. Doch es kam anders. Mein Sohn Paul (22 Monate) erlitt um 8:00 bei einem Sturz eine Rissquetschwunde an der Stirn. Viel Blut, Geschrei, Action mit Naht im Astrid Lindgren Kinderkrankenhaus.
Mein Adrenalin war für diesen Tag verbraucht.

Um 10:40 fahr ich mit meinem Schwager mit der „Tunnelbahn“ zum Olympiastadion. Neben dem Stadium befindet sich der Startbereich, im Stadion das Ziel. Am Weg hin kommt es zu einigen Staus,  aber im Startbereich ist dann alles ruhig und relaxt, es gibt viele Pipi-Boxen und man braucht daher nicht lange dafür anstehen.
Ich ziehe ½ Stunde vor dem Start meine wärmende Teile aus und gebe alles im Startsack ab. Die Abgabezonen sind perfekt mit den entsprechenden Startnummernangaben erkennbar und alles geht rasch.

Es ist schon lange dicht bewölkt und die Wettervorhersagen sagen Regen ab 13:00 voraus. Die Startzonen sind durch viele getrennte Schleusen gut und ohne Gedränge erreichbar. Ich starte im Block C (Startnummer 1000-3000). Im Startbereich angekommen, wird mir gleich ein Wasser angeboten. Ein kleiner Weg führt unterirdisch auf die andere Straßenseite und kann gut zum Aufwärmen benutzt werden.
15 min vor dem Start begebe ich mich dann Richtung Startlinie. Überrascht bin ich von mobilen Open-Air Pissoirs, die auch reichlich benützt werden. Wirklich praktisch, aber leider nur für Männer geeignet.
Trotz der guten Stimmung bin ich beunruhigend relaxt und eigentlich müde. 5 Min vor dem Start die Nationalhymne. Viele Jacken und Säcke fliegen auf die Seite. Plötzlich eine Minuten vor dem Start, die Musik wird abgedreht, Stille. Eine gespenstige Ruhe breitet sich aus, man hört nur den Wind und die eigene innere Stimme.
Dann ein Schuss, laute Musik und los geht’s. Geil!

So, nun zu meiner Taktik.
Entsprechend VDOT 52, plante ich einen Schnitt von 4:22min/km.
Ich wusste, dass es in Stockholm sehr hügelig war. Meine Aufzeichnung ergab 370hm.
Mein Ziel war es daher unter 3:10h  und bei optimalen Verlauf unter 3:05h zu bleiben.
Nach Greif plante ich die ersten 15km in 4:27min/km,  km16-25 in 4:18min/km und danach optimalerweise 4:22min/km.

Es ging am ersten km sehr langsam los, es war auch  im vorderen Startbereich anfangs eine Spur zu eng für die Masse. Nach 2-3km war es aber dann schon möglich, das eigene Tempo zu laufen. Jeder km wurde angezeigt.
Nach 1km zeigte meine Uhr einen Schnitt von 4:27min, aber schon 1,2km!! Uije, wo kommen denn die 200m her. Und ich bin sehr langsam.
Es geht leicht bergab und ich tu mir eigentlich relativ schwer das Tempo zu halten. Normalerweise beginn ich so wie die Meisten viel zu schnell.
Und...Regen setzt ein. Starker Regen.
Ich versuche möglichst locker weiterzulaufen, der Schnitt pendelt sich auf der Uhr um 4:23min/km  ein. Im Nachhinein waren es die ersten 15km exakt die geplanten 4:27min/km.
Es geht durch die Innenstadt. Bei km 5,5 (Slussen) steht meine Familie.  Kurz Freude und Proviant mit auf den Weg. Als KH-Nahrung nehme ich bei km 10, 20 und 30 einen Hipp-Früchtespass (Banane-Apfel). Die haben zwar deutlich weniger Kalorien als ein Gel, können aber ohne Wasser eingenommen werden, schmecken köstlich und ich hab bei den kürzeren Wettkämpfen (meist am Fahrrad) eine gute Erfahrung damit.

Bei km 8 erstmals die über 1km lange Västerbron-Brücke mit 40hm, die 2x gelaufen werden muss. Aber kein Problem. Ich komme schön langsam in einen guten , entspannten Rhythmus, an der Strecke sind trotz des Regens viele Zuschauer und Musikgruppen, sehr motivierend.
Dann der Streckenteil von der Brücke in die Innenstadt zurück. Ja , es regnet noch immer und durch den starken Gegenwind sind diese 2km sehr unangenehm. Mir ist das erste Mal kalt. Es hat knapp 10Grad.
Bis km15, wo ich meine Beschleunigung plane geht es immer bergauf.  Die Lockerheit ist längst schon wieder vorbei.
Ich gebe dann leicht Gas und beginne zu überholen und fühle mich mit dem schnelleren Tempo sehr gut. Viel Pfützen, die Schuhe sind durchnässt. Immer wieder gut gelaunte Musikgruppen, Samba-Tänzerinnen, anfeuernde Zuschauer. Toll. Es geht bei km17 am Zielbereich vorbei in die zweite, längere Runde und wieder bergab. Es läuft. Meine Uhr zeigt einen Schnitt von 4:23min/km, aber schon 400m zu viel.
Es geht in den Djurgärdern. Ein größer parkähnlicher Bereich mit Wiesen und vielen kleinen Hügeln.
Die Läufer sind wie an einer Schnur aufgefädelt, es gibt wieder Gegenwind und Regen.
Ich quere die HM-Marke bei 1:32:xx. Mit den ca. 20 Sekunden „Bruttobonus“ perfekt.
Ich bin motiviert und halte trotz des schwierigen Geländes mein Tempo und überhole weiter. Es ist aber schon sehr anstrengend. Soll ich das Tempo bis km25 gehen. Ich fange an zu zweifeln, ob ich das aushalte.
Ich werde langsamer. Km 24. Egal, ruhig weiterlaufen. Wieder eine Steigung. Sehr anstrengend. Ich sehne mich wieder nach der flachen Innenstadt.  Es regnet immer stärker. Mir ist kalt.
Zurück  im Flachen schwinden meine Kräfte. Km26 und ich bin platt. Das Wetter sehr belastend. Meine Beine sind kalt.
Im Ergebnis sehe ich Nachhinein den Hauptfehler:  Ich bin km16-24  in 4:13min/km gelaufen, also viel zu schnell.

Ich denke ans Aufgeben. Noch fast 20km und ich kann nicht mehr. Nein, das kann es nicht gewesen sein, 6 Monate intensives Training kann ich doch nicht wegwerfen.
Mein neues Ziel Km30, dort steht meine Familie. Mit Krampf und sehr langsam (4:38min/km) schaffe ich es dorthin. Anfeuerung. Motivation. Aber noch 12km!
Nicht denken, weiterlaufen.
Mit dem Rückenwind zur Brücke hin wärme mich wieder auf. Die Brücke ist dieses Mal schon anstrengend.  Ich werde noch langsamer (4:50min/km). Aber ich bin bei km35.
Wieder der unangenehme Teil zurück in die Innenstadt. Gegenwind, Regen , Nässe.
Doch dann, plötzlich bei km36, spüre ich wieder Kräfte.
Ich kann es schaffen! Ich bekomme plötzlich ein unbeschreibliches tolles und motivierendes Gefühl. Mit der wiederkehrenden Kraft überhole ich wieder.
Km 39-40, es ist nicht mehr weit.
Ich genieße wieder. Freude!
Letzter km, ich sehe das Olympiastadion. Die letzte Abbiegung. Unerwartet steht hier meine Familie und feuert mich an. Ich könnte fast weinen, vor lauter Freude und Emotion.
Hinein ins Stadion. Es ist trotz des Regens gut gefüllt und laut. Auf der Laufbahn gebe ich nochmals Gas. Das Ziel ist erreicht. Eine Medaille wird mir umgehängt und eine Alu-Decke gereicht. Ich bin glücklich.
Mein Bruder gratuliert mir am Weg zurück in die Startzone. Ich kann kaum sprechen, mir ist kalt, schrecklich kalt. Ich bekomm mein Verpflegungssackerl, ein Finishershirt und hol mir sofort mein Gewand.
Hinein in das Umkleidezelt mit Duschen. Es ist voll, aber warm, kein Platz, der Boden nass und gatschig. Ich quetsch mich irgendwo dazwischen, schaff es aber nicht mich auszuziehen. Die Finger bewegen sich nicht und schmerzen. Ich fang an zu Zittern. Mein Unterkiefer  klappert wie bei einem epileptischen Anfall.
Aber auch die anderen Läufer können sich kaum bewegen und klappern. Eine skurrile Situation. Nach gut einer halben Stunde hab ich es dann sehr mühsam geschafft und mich umgezogen. Das tolle Angebot im Zielbereich (Bier, HotDog, Pizza,..) nehme ich kaum wahr und fliehe in Richtung U-Bahn. Ich habe nur eine Gedanken: Ein warmes Bad.
In der U-Bahn sitze ich bei einem Franzosen der immer  noch das nasse Laufgewand an hat und klappert.
Zurück in der Mietwohnung (Airbnb) ist die Freude dann sehr groß, mein Schwager und ich werden bekocht. Mein Sohn ist wieder fidel, meine Tochter stolz auf mich. Wir geniessen den Abend mit Essen, Bier und Wein. Eine zufriedene Müdigkeit breitet sich aus.
Und...sub 3:10h ist sich knapp ausgegangen.

P.s.:
Das Training und das Lauferlebnis hat mich sehr motiviert und ich bin sicher, dass ich wieder einen Marathon laufen werde, dann aber einmal flach und bei trockenen 15Grad...

Offline uschi61

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« Antwort #2 am: 19.06.2015, 22:03:00 »
danke für den sehr emotionalen bericht und gratulation zu einem tollen lauf mit perfektem finish! bei deinem nächsten marathon ist es hoffentlich wärmer...
Lebe deine Träume!

Offline Anna

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« Antwort #3 am: 20.06.2015, 12:53:15 »
Ja, ein Marathon ist wegen der hohen Emotionalität so reizvoll - ansonsten wären es bloß 42,195 km. Gratuliere zur tollen Leistung!

Offline heitzko

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« Antwort #4 am: 23.06.2015, 08:04:49 »
wow du hast so ziemlich alles erlebt was man beim marathonlaufen erleben kann - allle höhen und tiefen. ich sehe gewisse ähnlichkeiten zu madrid - viele höhenmeter und viel regen (wobei es dort gott sei dank nicht so kalt war). die klappernden zähne kenne ich auch gut ;). für die strecke/bedingungen und die action im vorfeld bist du eine super zeit gelaufen! gratuliere! danke für den schönen bericht!

Offline Pizzipeter

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2015-05-30 Stockholm Marathon - soleda
« Antwort #5 am: 23.06.2015, 10:29:24 »
...Gänsehaut im doppelten Sinne hab ich bekommen...genial von hint bis vorn...gratuliere noch einmal zum Marathon!!!
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