Autor Thema: 2017-04-17 Boston Marathon - Steffi  (Gelesen 1203 mal)

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« am: 17.04.2017, 00:00:00 »
Datum: 2017-04-17
Event: Boston Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: Steffi

Berichte

2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #1 am: 17.04.2017, 00:00:00 »
Boston Marathon 2017

Boston 2017
…ein tolles und in vielerlei Hinsicht unvergessliches Gesamtpaket. Die Eindrücke sind noch so frisch und so nachhaltig, dass ich eigentlich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Da zu diesem absoluten Highlight, einfach auch die Stadt und ihre Menschen und nicht nur der Lauf gehört haben, ich hier aber in einem Laufforum schreibe, lass ich den Fokus eher auch nur auf dem läuferisch Erlebten, um niemanden zu langweilen - nur kurz erwähnt, wenn jemand vor hat, dort auf eigene Faust unterzukommen, also nicht mit RUEFA etc. reisen will oder muss, dann kann ich gerne Tipps für eine günstige, gute, saubere, aber sehr einfache Unterkunft geben und auch zum Essen, da ich mich in den USA stets selbst verpflege, um Lebensmittel aus deren konventioneller Lebensmittelproduktion möglichst zu vermeiden.

Ich mach es mir nun ein bisschen einfacher, denn Tom Rottenberg hat ja für den Standard einen sehr „intensiven“ Artikel zu seinem Boston Marathon veröffentlicht, der streckentechnisch sehr viel von dem wiedergibt, was auch ich während des Laufes erlebt habe. Die eigenen Emotionen sind natürlich sehr individuell und diesbezüglich habe ich den Marathon und letztendlich meine eigene Leistung aber auch ganz anders empfunden als Tom dies tat bzw. beschrieben hat… hier geht es zu Toms Artikel - am besten vorher lesen, dann sind meine doch eher persönlichen Ausführungen vielleicht ein wenig besser einzuordnen… http://derstandard.at/2000056171728/Legende-Leiden-und-Lachen-Der-Boston-Marathon

Noch nie war der erste Blick auf einen Zielbereich so emotional für mich wie der in Boston - ok, zwar war dieser ja auch erst mein fünfter Marathon, aber dennoch, er hat einfach eine ganz spezielle Atmosphäre, er wirkt, vielleicht weil er so geschichtsträchtig ist, die Geschehnisse von 2013 einem auch sehr nahe gehen und betroffen machen oder vielleicht doch auch, weil ich mich so wahnsinnig über die Teilnahme gefreut habe.
Die gesamte Veranstaltung ist einfach fantastisch organisiert und sehr sympathisch - z.B. habe ich nicht einen einzigen unfreundlichen, genervten oder gar wortkargen der fast 10.000 Volunteers, Busfahrer, Polizisten etc. erlebt.
Und damit gleich mal zur Expo, die sich nur wenige hundert Meter vom Ziel entfernt befindet. Wenn möglich, sollte man die Startnummer, das Finisher-Shirt und Startsackerl schon am Freitag holen, denn am Wochenende ist dort extrem viel los. Allerdings lohnt sich ein Samstag/Sonntag-Besuch dennoch, da an diesen zwei Tagen diverse sehr informative und interessante Veranstaltungen angeboten werden, wie z.B. „Reflections From Past Champions“, „Course Preview And Q&A From Race Management Team“ und das ganz große Highlight für mich „50 Years Later With Kathrine Switzer“. Ich glaube, der Marathon am Montag hat sie weniger Kraft gekostet, als die Tage bevor sie an die Startlinie gehen durfte, da sich alles und jeder um sie riss. Sie ist eine extrem sympathische und vor allem sehr authentische Frau und sie hielt keinen Vortrag, sondern es war eine Unterhaltung mit dem Publikum, mit viel Humor, einer guten Portion Selbstironie, aber auch mit einer sehr großen Wertschätzung für das was sie in den letzten 50 Jahren gelebt und erlebt hat. Sie hat ihre Story auch nicht aus ihrem Buch gelesen, so wie auf anderen Veranstaltungen, sondern stand einfach nur locker vor dem Publikum und hat drauf los erzählt. Eine unglaublich beeindruckende und vor allem mit ihren 70 Jahren immens energiegeladene Frau und es war eine ganz besondere Freude, sie live erleben zu können und ihr zuzuhören.
Ansonsten bekommt man auf der Expo das geboten, was auf anderen Marathonmessen auch geboten wird: die, meiner Meinung nach, sehr überteuerten, aber schönen Merchandising-Artikel und alles was in irgendeiner Weise mit Laufsport zu tun hat - größentechnisch ist sie mit Frankfurt vergleichbar.
Am Samstag fand noch der 5K Lauf statt, den ich aber ausgelassen habe. Stattdessen habe ich mir dann die darauf folgenden Kurzwettbewerbe wie "Invitation Mile" und die Wettbewerbe der Schulen angesehen, die Rund um den Block um den Zielbereich ausgetragen wurden.  Bemerkenswert, dass auch hier schon eine Stimmung und ein Zuschaueraufgebot, wie zum Marathon herrschte. Bei den Schulwettbewerben starten pro Altersklassenlauf aus ausgewählten Schulen, jeweils zwei Läufer. Sie werden vorgestellt, wie bei großen Leichtathletikwettbewerben und es ist für die Kids sicher eine große Ehre, hier ihre Schulen im Dress der B.A.A. zu vertreten.

…und nun (fast) an den Anfang des Marathontages:
Meine Bedenken, dass die U-Bahn am Marathonmorgen überfüllt sein könnte, war völlig unberechtigt - das lag aber vielleicht auch daran, dass ich aus dem weniger von Tourismus frequentierten Osten der Stadt kam. Die Kleiderabgabe in der Nähe der Busabfahrt (Boston Common) verlief ohne jegliche Wartezeiten - man bekommt vorher ein Zeitfenster, abhängig von Startwelle und Corral, genannt, in dem man sich bei den Bussen einfinden soll. Anscheinend hält sich die große Masse auch daran, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass da jetzt rund 30.000 aufgeregte, hektische Starter, die zumindest als erstes in Hopkinton sein möchten, transportiert werden müssen. Nach der Kleiderabgabe ging es dann genauso ruhig und zügig durch die Security zu den ein paar Gehminuten entfernten Bussen. Es wurde ein Flaggensystem verwendet und man konnte so schon von Weitem erkennen, welcher Bus noch freie Plätze hatte und welcher nicht. Die Fahrt nach Hopkinton dauerte dann ca. eine Stunde, allerdings standen wir eine ganze Zeit noch im Stau.
Das Athletes’ Village ist in mehrere Bereiche aufgeteilt und eher verwinkelt, somit hatte man nicht das Gefühl eines Massenauflaufs. Dort gab es diverse Zelte, in denen man noch Getränke, Bananen, Riegel, Muffins, Sonnencreme etc. bekam - auch hier wieder alles ohne Wartezeiten und sehr entspannt. Lediglich die Anzahl der Klos empfand ich als zu gering, aber das ist wohl auch eher sehr individuell ;-); jedoch sehr positiv noch ein Detail am Rande - ich habe noch bei keinem Lauf so saubere mobile Klos erlebt wie hier, wo auch jedes Klo einen Desinfektionsmittelspender enthält.
Permanent wurde durchgesagt, welche Startnummern sich nun Richtung Startbereich auf den Weg machen sollten. Das Timing war auch optimal, denn nach Aufruf hatte man noch einmal genügend Zeit, auf ca. der halben Strecke zum Start, einen weiteren großen „Klobereich“ aufzusuchen, um danach dann, wieder sehr freundlich, in seine Corrals eingewiesen zu werden. Auf dem Weg dorthin war die Stimmung schon sehr ausgelassen und man wurde von den Anwohnern, an dessen Grundstücken man vorbei ging, schon lautstark angefeuert und bejubelt. Genauso war es auch bereits bei der Abfahrt der Busse in Boston - es haben dort schon die Passanten den Bussen zu- und nachgejubelt.

Dann fiel endlich der Startschuss für die 3. Welle. Ich hatte mir überlegt, mit einem Schnitt von 5:30 zu starten. „Geübt“ mit Anna und wirklich wohl dabei gefühlt (jedenfalls auf 21 km im Praterflachland ;-)) sah ich den 5:30er, jedenfalls auf den ersten Bergabkilometern, als das für mich laufbare Tempo. Ich bin zum Glück vorher eindringlich von einem Boston Finisher vor den Tücken der Strecke gewarnt worden und somit stand sowieso für mich fest, dass ich mich nicht an einer Zeit festbeißen würde. Außerdem konnte und wollte ich mit gar keinen größeren Erwartungen an diesen Marathon herangehen, da ich noch nie so wenig für einen Marathon trainiert hatte, wie für diesen. Gründe gab es leider für dieses reduzierte Training sehr viele und daher benenne ich sie hier auch gar nicht, denn im Endeffekt ist es auch eh egal - es gab jedoch auch Phasen in der Vorbereitung, in denen ich ernsthaft über eine Absage nachgedacht habe, mir dann minimale Ziele und Kriterien gesetzt habe, nach deren Erfüllung bzw. Nichterfüllung ich eine endgültige Entscheidung getroffen hätte und letztendlich habe. Knapp zwei Wochen vor dem Abflug fiel dann meine Entscheidung, wirklich zu starten und ich habe sie nicht einen Moment bereut, auch wenn dies mein langsamster, schwierigster und schmerzhaftester Marathon geworden ist, aber er ist auch mein bisher schönster und beeindruckendster geworden.

Nach dem Start, gab es überhaupt kein Gedränge, obwohl ich in meiner Welle sehr weit hinten, im 7. von acht Corrals, startete. Ich konnte recht bald und ungehindert meinen 5:30er Schnitt laufen. Bis km11 blieb ich bei 5:30, dann bis HM bei 6:00. Grundsätzlich ist die Strecke ja bis ca. km 15 abfallend, aber es gibt dennoch auch bis dahin immer wieder kleinere Steigungen und die habe ich dann auch bald massiv gespürt. Ich fühlte mich von Kilometer zu Kilometer immer schwerer, die relativ hohen Temperaturen (die Angaben schwanken zwischen 26°C und 29°C) waren auch nicht so ohne, aber ich merkte einfach, dass mir schon die Kraft in den Oberschenkeln ausging. Naja, da hatte ich ja auch nix Gehaltvolles in den Wochen vorher hineingefüllt, da fehlten mir nun sicherlich ganz massiv die Tempo- oder Bergläufe.
Gebraucht, wie einen Nagel im Schuh, habe ich dann natürlich auch noch den Spruch einer überaus „empathischen“ deutschsprachigen Läuferin, die mich bei ca. km25 locker von hinten heranlaufend fragte, wie es mir ginge und auf meine Antwort: „Naja, ging definitiv schon besser…“ nur ganz locker meinte „Na, dann warte mal ab, ab da vorne wird es dann so richtig gemein!“ Ja, recht hatte sie natürlich und ich wusste das auch schon vorher, aber das war nicht wirklich der Spruch, den ich in diesem Moment so fröhlich und lautstark hören wollte… ab hier passen dann nun die Ausführungen von Tom sehr gut. Ich kann mir die einzelnen Stellen und Begebenheiten so detailliert leider immer kaum einprägen, weil mein Hirn anscheinend während des Laufens ziemlich blutleer ist. Daher ist ein Teil Toms Artikels sozusagen auch mein „Marathon-Diary“. Die Stimmung an der Strecke habe ich genauso empfunden, die ist sagenhaft, die Hilfsbereitschaft der Zuschauer sensationell, wobei ich mir leider gewaltig den Magen mit einem fürsorglich gereichten Becher mit Eiswasser beleidigt habe. Gar nicht nachgedacht, dass ich mir den Inhalt eher über den Kopf hätte schütten sollen, habe ich einfach zugegriffen, hinuntergekippt und im nächsten Moment hatte ich das Gefühl, eine Faust in den Magen bekommen zu haben. Das Gefühl war definitiv entbehrlich, lenkte aber etwas länger von den schon brennenden Oberschenkeln ab, denn jetzt wurde es bereits massiv hügelig. Jetzt kam dann irgendwann auch bei mir der Punkt, an dem ich kurz zweifelte, ob ich es wirklich bis Boston schaffen könnte. Aber ich wollte definitiv, egal in welcher Zeit, auch wenn ich gerade nicht wusste wie, und somit lief bzw. schlurfte ich dann die letzten Anstiege und auch „Abstiege“ Richtung Boston, gehen ging nicht, das war merkwürdigerweise schmerzhafter als das „Laufen“.
Wirklich heftig war dann die Zielgerade, rund 400m, die mir dann noch einmal wie eine Ewigkeit erschienen. Ich hatte das Gefühl, das Ziel kommt einfach nicht näher - naja, wie konnte es denn auch bei diesem Tempo. Irgendwann dann aber doch - das Überqueren der Ziellinie war einfach nur unbeschreiblich erleichternd, ES war endlich vorbei und ICH war unendlich glücklich :-)!!! Ich hatte nicht einen Moment das Gefühl der Enttäuschung über die Zeit, die nun mächtige 48 Minuten langsamer war als die, mit der ich mich ziemlich genau ein Jahr zuvor qualifiziert hatte.
Mein Fazit: Das Gesamtpaket Boston ist, nicht nur läuferisch, ein ganz besonderes, wunderschönes und unvergessliches Erlebnis, das ich jedem nur empfehlen kann.

Offline JM

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #2 am: 22.04.2017, 10:37:03 »
Danke für den Bericht, das macht richtig Laune auf den morgigen VCM und Motivation mich nochmal für die Bostonquali anzustrengen :-)  
When your life flashes before your eyes, make sure you’ve got plenty to watch

Offline uschi61

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #3 am: 22.04.2017, 12:22:32 »
danke für den schönen Bericht und noch einmal Gratulation zum Lauf! Morgen beim VCM wird wohl einiges an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von Boston fehlen....
Lebe deine Träume!

Steffi

2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #4 am: 22.04.2017, 12:24:49 »
Gerne, Jean-Marie, und ich wünsche dir für morgen einen super Lauf und eine erfolgreiche Boston-Quali :-)!!!

Steffi

2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #5 am: 22.04.2017, 12:35:26 »
Vielen Dank, Uschi! Ja, in Boston habe ich bei so einigen Begebenheiten verglichen - das geschieht unweigerlich. Die Freundlichkeit, Fairness und Hilfsbereitschaft war wirklich immens, nicht nur während des Laufes.  Es liegt sicher auch an der sehr ausgeprägten Kommunikationsfreude der Amis. Auch wenn sie oft als oberflächlich gelten und es auch sehr viele Gründe gibt, weshalb ich doch viel lieber und sehr wertschätzend in Ö. lebe, aber ich habe bei meinen bisher doch sehr vielen kürzeren und auch längeren USA Aufenthalten mehr positive als negative Erfahrungen gemacht.

Offline karinr

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #6 am: 22.04.2017, 12:47:06 »
Danke für deinen tollen Bericht. Der Bericht macht echt Lust Mal in Boston zu Laufen.
Laufen bedeutet für mich: Freiheit zu spüren, Gelassenheit zu erleben

Offline Anna

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #7 am: 22.04.2017, 14:59:02 »
Danke Steffi, freu mich, dass du dich letzten Endes fuer die Teilnahme entschieden hast. Das ist ein sehr persoenlicher Bericht. Trotzdem kannst du bzw. Tom Rottenberg auch das Besondere nicht ausreichend beschreiben - das ist jetzt keine Kritik, sondern soll nur zeigen, dass man Boston selbst laufen muss. Einzigartige Stimmung, ich bin teilweise mit Gaensehaut und  traenenfeuchten Augen gelaufen.  Sei stolz auf das Erreichte,  die Boston-Zeit ist weniger wichtig als fuer Boston qualifiziert gewesen zu sein (und das hast du auch Tom voraus). Super gemacht!

Offline Barbara

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #8 am: 22.04.2017, 23:48:59 »
Danke Steffi für den Bericht. Ja, der macht wirklich Lust darauf, selbst auch mal dabei zu sein.

Offline Pizzipeter

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #9 am: 24.04.2017, 06:50:01 »
Danke, Steffi und nochmals gratuliere!!!
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Offline Richy

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2017-04-17 Boston Marathon - Steffi
« Antwort #10 am: 24.04.2017, 18:12:30 »
Danke für den tollen Bericht. Kann man richtig mitleben und mitleiden. Die Temperatur beim Marathon auf der fordernden Strecke ist sicher der Faktor warum es zur Abweichung zur Quali-Zeit gekommen ist.
Und wegen dem Einkaufen bei der Messe davor, der USD-Kurs macht das derzeit sicher weniger attraktiv. Vor ein paar Jahren fand ich die Preise noch als Schnäppchen.

 

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