Autor Thema: 2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo  (Gelesen 1242 mal)

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« am: 24.05.2008, 00:00:00 »
Datum: 2008-05-24
Event: Ironman 70.3
Distanz: 99.999 km

Ersteller: barolo

Offline barolo

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #1 am: 24.05.2008, 00:00:00 »
Meine erste MD

Sa, 24.05.08  05.30 Uhr Tagwache – eigentlich übertrieben, weil geschlafen habe ich eh kaum, schon die zweite Nacht. Eine innere Unruhe lässt mich ständig im Bett hin und her drehen. Werde ich es schaffen? Werde ich mich an die Ra(d)tschläge meiner Freunde halten, oder werde ich wie so oft, einfach blind drauflos stürmen, mich den Emotionen hingeben und irgendwo mal eingehen und verkümmern, wie ich es im Training beim Radfahren so oft geschafft habe.

Aber irgendwo ganz tief ihn mir drinnen, ist das Bewusstsein, das in den letzen Monaten der Vorbereitung etwas in mir herangereift ist, was ich bis jetzt nicht gekannt habe, so ein Gefühl  wie „a bißl wos geht immer no“  –  ich werde es schaffen J

Nie zuvor in meiner spätberufenen Karriere als Ausdauer“sportler“ habe ich soviel trainiert wie für diesen Bewerb. Bin um 05.30 aufgestanden, um 06.30 im Hallenbad eingecheckt, um 08.00 in die Firma – um 20.00 raus und in den Prater laufen gegangen, um 22.00 in die Sauna und um 23.00 Uhr mit der Lebensgefährtin das erste Wort gewechselt. Und das oder so ähnlich bis zu 6 mal die Woche. Das Verständnis meiner näheren Umwelt für diesen Tagesryhtmus hielt sich „verdammt“ in Grenzen J Schließlich musste der Garten gepflegt, die Einkäufe erledigt und das Geld nicht in meterhohen Stapeln an Triathlonmagazinen vergeudet werden. Auch das der Keller voll war mit mehr oder weniger angenehm riechender Sportbekleidung, und die Räder den ohnedies zu kleinen Raum noch zusätzlich belasteten ließ den Blutdruck meiner Liebsten ausschlagen wie eine Polar unter der Hochspannungsleitung.
 
Wie war das Gefühl beim Training NICHT ertappt zu werden, 2 min vorher noch „Liebling,
ich bin gleich da“ ins Telefon geflötet, im Wissen, das die Einheit gerade erst begonnen hat, oder umgekehrt sich die Kleider vom Leib gerissen hat, rasch geduscht, Hauptsache „SIE“ merkt nicht das ich schon wieder trainiert hab.
Auch das die letzte Ausfahrt so A..... war weil es dauert Gegenwind gab, wollte kein wirkliches nachvollziehbares Mitgefühl aufkommen lassen – da muss ich durch – nun bin ich dran

So, das Rad ist eingecheckt, die letzte Nudel verdrückt, das letzte Mal im Bett rotiert, jetzt geht es los.

Am Weg zum Start – wie immer das erste Problem mit der Verdauung, wird sie zuschlagen, oder sollt ich lieber noch mal, nachdem ich schon einen Bildband rausbringen könnte mit den „Schönsten Plätzen zum „g.......n“ im Wienerwald“, laufe ich noch eine kleine Runde um das letzte Geschäft zu beschleunigen. Nach kurzer Erleichterung wie immer sehr spät zum Start. Meine Welle wird schon aufgerufen, stehe ich noch da in Klamotten und den geborgten Neo in der Hand. Flugs hinein geschlüpft, den „Streetwear“ Sack bei den netten Bhler abgegeben, fällt die Entscheidung schwer über Brille alt oder Brille neu, beide haben mich in den letzen Einheiten im Stich gelassen, und liefen voll wie der Schwimmteich beim Nachbarn.
Ok die neue Brille – zum Start – keiner will ins Wasser – ist es so kalt? – ich muss jetzt einfach rein – schon alleine wegen der Brille – drängle mich durch die wartenden „Wellenreiter“ in den grünen Kappen, und gehe ins Wasser. Die Temperatur ist ok – wieso will eigentlich keiner rein?. Start – Ganz außen – weit weg vom Strand start ich los hinter der schnellen Vorhut– Verkehr ist ok – versuche zu kraulen – na ja Rhythmus ist was anderes –erste Boje – das große Feld drängt von links heran – ich bleib zurück – hat ja eh keinen Sinn. Die lange erste Gerade – die Seealgen schlingen sich zwischen die Finger, wickeln sich um die Nase, bei jeden mal auftauchen legen sie sich auf die Augen, ich muss lachen, verschluck mich, und hau mich weiter ab. Das Feld zieht sich langsam aber bestimmt in die Länge. Ganz egal ich wechsle zwischen Kraul und Brust, kraule ich, ziehe ich betont lange Züge, versuche den Körper zu strecken und effektiv zu schwimmen, ziehe ich meinen unmittelbaren Gegnern davon, blicke ich doch wieder mal nach vorne sehe ich niemand mehr –wie von magischer Hand gezogen kraule ich ohne Orientierung am Beckenboden immer grob nach rechts ab. So kreuze ich wie ein altes Segelboot gegen den Wind auf, und meine innere Kilometeruhr zeigt schon 1,9 km noch bevor ich in der Mitte der Strecke aus dem ersten See steig.

Der Landgang – mit angelaufener, aber Gott sein Dank innen trockener Brille und verdammt schweren Oberschenkel erklimme ich das erste Ufer – unter heftiger Anfeuerung alle umstehenden Passanten erreiche ich die Brücke zum zweiten See. Rein ins Wasser und den anderen hinterher – das aufkreuzen erspar ich mir mittlerweile und versuche einfach mit Brust das Tempo zu halten – rund um mich posen meine „Gegner“ mit mehr oder weniger effektiven Kraulstil – die ersten Teilnehmer der 10min vorher gestarteten Welle werden überholt, und so erreiche ich mit ein paar ambitionierten Kraulzügen zum Schluss nach 40 min die erste Wechselzone.

Der Kleidersack ist gefunden – der Inhalt schnell entleert – und schon geht’s Richtung Rad – aufgesessen und den anderen hinterher. Nach ein paar Minuten auf die Schnellstraße Richtung Krems. Lässig sieht es aus, auf der Autobahn, die aufgefädelte Kette an Triathleten am Rad – der 150kg Marshall auf dem Motorrad jagt den zuletzt gestarteten Staffelfahrern auf Ihren Zeitfahrmaschinen hinterher. Habe nie gedacht, das diese Scheibenräder so einen Lärm machen. Jetzt geht’s los, leichter Gegenwind, der Puls ist hoch, erstes hineinfühlen in den Körper, welche Geschwindigkeit ist gerade recht,  pendle mich so bei 31 – 33 km/h ein. Im Training bin ich gerade 3 mal an die 90 km gefahren – irgendwie wurde es immer besser am Rad, aber wird das reichen? Anstieg nach Krustetten – am Rahmen habe ich mir die Teilzeiten der Besichtigungstour vor 2 Wochen aufgeklebt. 4 min vorne – wau nicht schlecht – nix riskieren am Berg – kurz vorm „Gipfel“ überholt mich die Startnr. 983. Das sagt mir doch was – Eggi? – ruf ich unsicher nach vorne – zuerst passiert mal nix – ein zweiter Versuch – der Vordermann dreht sich zurück – wer bist den Du ? vernehme ich von vorne – he ich bin’s der Barolo von www.run42195.at - he – na noch viel Spaß.
KM 40 Rossatz in der Wachau – irgendwie zach – versuche zwar schon länger an meinen Riegel zu kauen, aber irgendwie fall ich grad in ein kleines Loch – ich weiß es gehört sich nicht, aber ich lass den Überholer nicht entfliehen – ich brauch jetzt einfach Beistand – ein paar KM zuvor bin ich von einem 3er Packl überholt waren. So lutsche ich in meiner Lethargie mal 2 min in 5 m Abstand und nicht in den unbedingt geforderten 10 m und überhöre dabei den von hinten herankommenden Schiri. Ich dreh mich kurz links zu ihm rüber und sehe wie er seine Trillerpfeife zum Mund führt – ok ich hab schon verstanden –als er seine Pfeife unbenützt wieder sinken lässt, kann ich selber auch wieder reintreten. Der geforderte Abstand ist erreicht und wird auch nicht mehr verletzt.
Aggsbach – 8km Anstieg liegen vor mir – ich zieh mir im Fahren das Gilet aus – jetzt wird es wohl wirklich anstrengend – schieß mir noch ein Gel rein, und versuche halt irgendwie da rauf zu kommen. Die persönliche Zeittabelle zeigt durchaus positive Ansätze und so gondle ich gelassen auf der anderen Seite mit 65 km/h wieder durch die kleinen Ortschaften hinunter. Ich find es lässig – hier stehen immer wieder größere Gruppen, die einen wie wild anfeuern, auch uns, wo die ersten schon knapp 1,5 Stunden durch sind. Am letzten Anstieg in Obritzberg klatsch ich mit den Kids am Straßenrand ab – ja mir taugt es heute wirklich. Nach ein bißl über 3 h Stunden, total zufrieden mit der bisherigen Leistung komme ich wieder nach St. Pölten retour.
6h Stunden mein erklärtes Ziel scheint wirklich möglich – jetzt nur noch laufen – meine vermeintlich stärkste Disziplin – völlig übermotiviert stürme ich das erste Mal durch die Eventarena – ich habe mir noch zusätzlich zur Polar 720 die 800er umgespannt, um ja nicht das Tempo zu hoch anzusetzen – bin jetzt knapp 3 h 50 unterwegs – heiß wird es – die Sinne lassen nach – die Anzeige zeigt 4:20 Schnitt – ist das hoch? Krampfhaft versuche ich mich an meinen bisherige PB über HM zu erinnern – das war doch 5er Schnitt, oder – ungeachtet dessen stürme ich weiter – ständig den 4er vorangestellt – ob das gut ist?
Natürlich ist es Sch.....e, das ist mir viel zu schnell. Bei KM5 zeigt das Tempo langsam Wirkung – die Energie geht raus – ich zwinge mich jedoch nicht zu essen – nächster Fehler – ich musst jetzt einfach dieses grauslich pickige Chemiezeugs in mich reindrücken – ob ich will oder nicht. Lauf schon seit 6 km mit einer 0,2 Flasche mit einem aufgelösten Gel in der Hand, und statt das ich es trinke, schleppe ich es über die Distanz.
Wendepunkt Regierungsviertel – komme mir vor wie in den Straßen von Manhattan –ein Block links  - ein Block rechts umlaufen – Labe  - durchgelaufen !!!!!!!!!!!!?!!!!. So ein Blödsinn – mittlerweile wird es wirklich mühsam – die Uhr zeigt immer öfter die 6 voran.
Warum tue ich mir das an? So eine blöde Idee vor einigen Monaten – ich könnte jetzt bei Grillwürstel und Bier sitzen und mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen – stattdessen quäle ich mich schon bald 5 Std. hier ab – im Ziel bei KM 10,5 höre ich auf – eh wurscht. Ich muss niemand was beweisen – letztes Jahr bei meinen ersten Marathon bei KM 31 genau das selbe Gefühl.
KM 11 - Eventarena  - mit schlappen Schritt schleppe ich mich durch – ich wollte doch aufhören. Jetzt wird mal ordentlich gelabt – na ja, so ein Sch..., jetzt schaue ich halt noch ein bißl weiter. Andreas, Andreas schallt es aus dem Publikum – wie wenn sie es spüren würden, meine Ohnmacht, meine Qual, schreien mir wildfremde Leute aufmunternden Parolen zu. Ok, ok ich mach schon weiter. Bei KM12 treffe ich am Wegesrand gute Bekannte aus der Firma, mit denen ich einmal die Woche laufe gehe –sie feuern mich wild gestikulierend an, schießen Fotos, ich mach meinen Kasperl und trabe halt weiter.
KM14 – noch 7 km – ab jetzt rechne ich immer – verbleibende KM x 6 min + schon vergangene Zeit = sub 6h. Ja schaut gut aus, nutze die Laben zur ausreichenden Sättigung und rechne jeden KM wieder nach. KM16 – 5 x 6 ist 30 + 5h25 = 5h55. Yeeeeaaaaahhhhh das schaff ich jetzt einfach. Mittlerweile habe ich die letzten KM so gebummelt, das ich bereits wieder völlig relaxt bin, meine Umwelt wieder voll wahrnehme und das gerade zu mir genommene Gel seine Wirkung zeigt – fast frisch als wäre nichts gewesen schaffe ich wieder lockere Zeiten unter 6min – KM 19 – 2 x 6 = 12 + 5h42  = 5h54. Beim Einlaufen in das ins Stadion sehe ich meine Bekannten schon von weiten – das letzte Mal die Laufbahn umrundet – auf der Zielgeraden noch mal stehen geblieben – meine treuen Fans gewunken und wieder fast vollständig erholt bei 5h54 durch das Ziel gestapft.
Das war’s – im Gegensatz zu meinen ersten Marathon  - „aufrecht“ und glücklich eingelaufen.
Ich bin wirklich stolz auf mich – es hat mir wirklich getaugt – das Training so zeitintensiv wie es neben meinen 55 h Job auch gewesen sein mag – aber diese Abwechslung mit schwimmen, Rad fahren und laufen, taugt mir halt doch viel mehr, als das reine Lauftraining für den Marathon.

Zwei Tage danach – schon 4 Std. im Auto – normalerweise bei mir ganz schlecht nach Bewerben – nix – oder fast nix. Keine Beschwerden – Stiegen steigen kein Problem – nur ein leichtes Ziehen in der Wade. Wenn ich da denk letztes Jahr zwei Tage nach dem VCM J
Ich kann jetzt nur noch schließen mit den Worten,

Triathlon  - du hast mich gefunden – ich bleibe Dir treu J

Offline Richy

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #2 am: 01.06.2008, 13:56:29 »
Äußerst lässiger Bericht, welcher alle Höhen aber vor allem auch Tiefen des Trainings aber auch des Wettbewerbs widerspiegelt. Auch den inneren Kampf, sich die Trainingszeit von der Familie / Umgebung auszuborgen :D  - Genial beschrieben.
Hochachtung zu Bericht und Bewerb von einem „Nur-Läufer“

Offline crow

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #3 am: 01.06.2008, 15:45:34 »
Wirklich sehr geil geschriebener Bericht, gratuliere Dir und ich freue mich jetzt schon auf weitere Berichte von dir, eine Freude das zu lesen! LG Andy
LG Andy
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Offline Eggi

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #4 am: 01.06.2008, 20:47:16 »
du sprichst - schreibst - mir aus der Seele, gratuliere noch mal....
was steht als nächstes auf dem programm ?

lg
Michael
"gewonnen oder verloren,
wird zwischen den Ohren"
;-))))

Offline heitzko

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #5 am: 02.06.2008, 09:40:46 »
danke für diesen wirklich amüsanten und packenden bericht! wenn man das liest bekomme ich fast lust, das auch mal auszuprobieren :D! jetzt ist aber wieder zeit für ein bisserl mehr familienleben ;)

Offline redrunner

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #6 am: 03.06.2008, 08:15:01 »
super bericht - irgendwie wird mir ganz unheimlich beim Lesen: "habe ich das selbst geschrieben ???" - zu 80 % das gleiche erlebt/gefühlt!!

lg
Ronny

Offline erwin_o

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2008-05-24 Ironman 70.3 - barolo
« Antwort #7 am: 03.06.2008, 16:17:33 »
Gratuliere zur ersten Mitteldistanz & zum tollen Bericht.

@Tagesablauf, Training, Familie... ist manchmal nicht ganz einfach zu organisieren, aber ich kann Dich beruhigen - vom training ist der Unterschied zw. MD und LD nicht mehr so arg. schwimmen, laufen und radfahren musst so und so :D

lg,Erwin
Carpe Diem

 

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