Autor Thema: 2006-05-07 vienna city marathon - boenald  (Gelesen 1119 mal)

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2006-05-07 vienna city marathon - boenald
« am: 07.05.2006, 00:00:00 »
Datum: 2006-05-07
Event: vienna city marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: boenald

Offline boenald

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2006-05-07 vienna city marathon - boenald
« Antwort #1 am: 07.05.2006, 00:00:00 »
premiere nach mass

Der Weg mit Öffis zum Start ist schon irgendwie zum Grinsen. Die „Normalgekleideten“ geraten von Station zu Station mehr in die Minderheit, hellblaue Sackerln zu Hauf, die dazugehörigen Menschen in einer seltsamen Mischung aus Kirtagsstimmung und Prüfungsangst. Bei der Stiege zum DZ lerne ich endlich echte Gesichter zu den Nicks kennen – freut mich sehr!! Und: sorry, dass es am Abend dann doch nicht geklappt hat... naja – nach dem Bier ist vor dem Bier ;-))
Erstmals witzig wird’s dann im Startblock. Zunächst Tendenz schwacher Slapstick. Ein Läufer kommt gerade noch rechtzeitig drauf, dass er seine Laufhose verkehrt herum anhat und wechselt sprichwörtlich in letzter Sekunde unter dem Gejohle seiner Begleiter die Tragerichtung... Dann schiebt sich ein Läufer in Rapid-Dress an mir vorbei. Hinten steht keine Nummer drauf, sondern nur. „Wir wollen den Teller gewaschen zurück!“. Seufz...
Apropos T-Shirts. Das nächste auffällige bemerke ich im Gedrängel nach dem Praterstern. Ich werde von einem missionarischen Athleten überholt, dessen Rücken die Aufschrift „Jesus lebt in mir“ trägt. Noch während ich mir kopfschüttelnd einen Becher Wasser im Getümmel organisiere (meine Güte, so was kann dauern...), entwischt er mir aus dem Gesichtsfeld. Und weil gerade von Getümmel die Rede ist. Wenn es etwas gegeben hat, was mir gestern bei aller Begeisterung doch nicht sooo getaugt hat, dann das. Die Massen nämlich, an denen man sich eigentlich bis zum Halbmarathon-Ziel vorbei schlängeln hat müssen. Das strengt an, kostet Zeit beansprucht Konzentration etc.. Okok, ich hab durch meine Anwesenheit selber zu den Massen beigetragen, und außerdem, vielleicht war das nur gut für mich, ansonsten hätt ich mich vielleicht schon frühzeitig zu einem rascheren Tempo hinreißen lassen und wär womöglich irgendwo im Prater verendet. Wer weiß...? So trott ich halt im 6er-Schnitt plus-minus ein paar Zerquetschte dahin und lass mich nicht hetzen. Das Laufen macht so unbeschreiblich Spaß heute, von Aufregung oder Nervosität ist ab den ersten paar hundert Metern nichts mehr zu spüren, es ist ein Genuss in jeder Hinsicht! Der meditative Rhythmus des eigenen Schritts, die mehr oder weniger ausgeprägte Partystimmung an den Straßenrändern, die Mitlaufenden, selbst die „jog and pray“-Freaks, die uns immer wieder zu belästigen versuchen – all das gehört zu den Dingen, die ich neugierig in mich aufsauge. Körperlich geht’s bestens, der km-Schnitt verbessert sich allmählich, ab der HM-Grenze ist auch wieder mehr Platz zum Laufen. Auf der Friedensbrücke fällt mir plötzlich ein, dass die Hälfte schon längst hinter mir liegt. Schad eigentlich... Positiv hingegen: noch immer keine beunruhigenden Symptome – die Füße spielen bereitwillig mit, Puls macht keine Anstalten, nach oben hin auszureißen. Obwohl, eine Sorge beschäftigt mich schon, meine Blase könnte schön langsam eine Entleerung vertragen. Nur: Jedes einzelne Mobilklo, das ich ansteuere, ist besetzt. Plan A: warten auf den Prater und dort in die Büsche. Plan B: pfeif auf die gute Kinderstube und ran an die Böschung. – Nun ja, ich hatte die Wahl und ich habe mich entschieden...
Km 25-29 waren für mich Beobachtungs- und Sightseeingkilometer. Beeindruckend flotte Läufer kommen mir auf der Schüttelstraße entgegen, darunter Eva Gradwohl und kurz nach ihr ein Mädchen, das vielleicht grad mal das Teenageralter erreicht hat. Neben und hinter mir werden Schnaufgeräusche lauter, Schritte schauen schwer aus, Gesichter werden rot. Meine Pulsuhr zeigt zum ersten Mal mehr als 150 an. Mein Gott, das hätt mich vielleicht in den ersten paar km ein wenig besorgt, jetzt isses mir so was von wurscht. Zum zweiten Mal an den fetzigen Sambarhythmen der Römerquelle-Bühne vorbei (die haben das super gemacht, finde ich). Etwas später dürfen wir wieder in den Schatten. Naja, mit einem kleinen Umweg über das Happelstadion, aus den Lautsprechern tönen jetzt Mozartsymphonien. Mit einer davon (ich bin mittlerweile schon wieder am Rückweg vom Lusthaus) hab ich mich vor etwas mehr als einem Jahr eingehend beschäftigt. da kenn ich jeden einzelnen Ton. Summend, ansatzweise mitdirigierend und mit einem unter Garantie sehr dümmlichen Grinsen laufe ich die Hauptallee hinunter. Mein Grinsen soll sich noch zweimal in Richtung eines kleinen Lachers auswachsen. Erstens: Ich treffe einen alten Bekannten wieder. Das „Jesus lebt in mir“-Shirt. Dessen Träger ist in den letzten Stunden sichtlich etwas außer Form geraten und schlurft matt dahin. Wenn da wer in ihm leben sollte, dann muss der sich wohl rasch einen neuen Wirt suchen... Zweitens: wir sind schon kurz vor km 35. Allesamt motivierte, fröhliche, teilweise bereits erschöpfte Hobbyläufer wie meinereins. Plötzlich ein gellender Schrei: eine dem Klang nach bundesdeutsche Athletin neben mir hat einen Blick auf ihre mördermoderne Polar-Alleskönner-Uhr geworfen. „SCHEI...!!!“, entfährt es ihr, sie beschleunigt etwas und lässt die Verpflegungsstation links liegen (schad drum, dabei gibt’s hier auch schon Cola ;-)) ). Na, geh...! Vielleicht die Zielzeit um 12 Sekunden verpasst? Diesmal bin ich nicht der einzige, der kichert.

Jetzt aber...
Geht euch was ab?

Kleiner Hinweis – Mister Hammer, „der-du-weißt-schon-wer“...
Nicht, dass ich ihn vermisst hätte. Aber der hat mich wohl übersehen. Grad die Oberschenkel haben auf der Schüttelstraße retour zum Ziehen begonnen. Geschenkt, das dürfen sie mit Recht, schon seit einiger Zeit ist jeder Schritt ein persönlicher Meilenstein, ein „erstes Mal“ für mich. Ich bin noch nie, in keinem meiner winterlichen long jogs so viel und soweit ohne Unterbrechung gelaufen, wow...
Kurz vor der Franzensbrücke wird das mit dem „Wow“ stärker. Immer mehr Leute. Ich bin so froh, dabei zu sein, lächle gerührt die anfeuernden Leute an, merke mit Staunen, dass mich die Kraft noch immer nicht verlassen hat. Die letzten Kilometer sind auch meine vergleichsweise flottesten. Einfach toll, dass auch jetzt noch, Stunden, nachdem die Spitze ins Ziel gekommen ist, sich hier die Zuschauer drängen, klatschen, jubeln... Das „Wow“ wird förmlich von Schritt zu Schritt stärker. Bald ist es mit der Anstrengung vorbei – endlich und schade zugleich. Als mir in der Zielkurve aus dem Publikum überraschend ein befreundeter Kollege, der mit mir bereits den Halbmarathon Anfang April gelaufen ist und für den VCM verletzungsbedingt kurzfristig absagen musste, quer über die Straße irgendwas mit „Super! Wahnsinn! Bravo Bernhard!“ zubrüllt, steigt mir, nachdem ich ihm mit beiden Armen zugewinkt habe, endgültig das Wasser in die Augen. Bis zur Ziellinie hab ich meine Emotionen wieder etwas mehr im Griff, halbwegs wenigstens. Wenig später sitze ich mit offenen Schuhen im inneren Hof am Boden in der Sonne – gibt’s was Schöneres?



P.S.: Susanne Pumper hat ihr Marathondebut als den – nach der Geburt ihrer Tochter – zweitschönsten Tag ihres Lebens bezeichnet. Muss wohl jede/r für sich überlegen, ob man das unterschreiben würde, aber es hat schon was...

P.P.S.: der schnelle Luxemburger hat die Recherchearbeit eh schon publiziert. Aber falls es wen interessiert, für mich war dieser wundervolle Lauf nach 3:58 zu Ende.

P.P.P.S.: soviel ich weiß, startet der VCM 07 am 29.4.2007 um 9:00
Paragraph eins: jedem sein´s.

 

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