CHICKEN RUN oder 10 KM SIND KEIN MARATHON
20 Jahre Frauenlauf! Frauen-Power-Demo ist angesagt! Über 14 000 Läuferinnen zeigen, dass sie sehr wohl in einer Männerdomäne bestehen können.
Natürlich muss ich da auch mit dabei sein! Und selbstverständlich Wickie als mein persönlicher Coach, zwar nicht ganz freiwillig und etwas Schmollend, weil Männer gänzlich ausgeschlossen werden, aber doch sehr fürsorglich.
Grundsätzlich hat mein Bester ja Recht, es gibt keinen Laufevent, bei dem Frauen ausgeschlossen werden. Doch da muss ich ihn jedes Mal daran erinnern, dass es früher sehr wohl Frauen verboten gewesen ist, an Wettbewerben teilzunehmen!
Seine Betreuertätigkeit übernimmt er schon am Samstag, als das schwere Startersackerl abzuholen ist. Schicksalsergeben täuscht er vor, dass der Kauf der beiden Laufunterhöschen von Nike auch für ihn sehr spannend ist und erträgt die Diskussion am Jubiläums-T-Shirt-Stand, ob small oder doch medium...
All diese Ausdauer muss mit einem Bierli belohnt werden, voller Vorfreude sitze ich mit ihm auf den Bankerln der Festwiese und wir genießen die Sonne.
Der Sonntag beginnt recht entspannt, bei 10km rege mittlerweile nicht einmal ich mich auf. Dieses Mal soll es auch für mich ein Spaß-Lauf werden, denn Bestzeiten sind 4 Wochen nach dem VCM kaum zu erwarten.
Das Wetter verspricht ideales Laufwetter zu werden, es ist nicht zu heiß und es schüttet auch (noch) nicht.
Die einzige Vorbereitung ist wieder mein persönliches Elektrolyt, das mir Wickie vor KM 6 überreichen wird. Dann rein in das brombeerfarbige Frauenlauf-Leiberl, ich will ja schließlich Solidarität demonstrieren, rasch die dazupassende Laufhose überlegt und los zur U6. Der einzige Unsicherheitsfaktor ist, ob ich mit Käppchen oder Piratentuch laufe...Mittlerweile hat es Wickie aufgegeben mich diesbezüglich zu beraten, weil er ja kein Gradmesser ist, läuft er doch immer nur mit Stirnband.
Wir kommen relativ knapp bemessen in den Prater und ich breche beinahe in Entzückung aus, weil das Angebot an TOIs überwältigend ist. Dieser Lauf ist eben von Frauen für Frauen konzipiert.....
Nun wird es knapp, es beginnt zu tröpfeln, weswegen ich die Kapperlversion wähle und wir begeben uns in Richtung Start. Wickie, mein Goldgrundguter, hat seinen Golf-Regenschirm mitgenommen und schon aufgespannt, das kommt mir jetzt doch ein wenig übertrieben vor.
Nun merken wir, dass wir auf der absolut falschen Seite stehen, tausende Läuferinnen des 5km –Bewerbes befinden sich gerade auf dem Weg zum Ziel, der Start befindet sich jedoch auf der anderen Seite und noch ein gehöriges Stück weiter unten auf der Hauptallee....Ein Streckenposten untersagt uns die Strecke zu überqueren, weswegen wir – und etliche andere Läuferinnen auch – weitergehen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ein kurzes Stück von der Läuferinnenmasse mit treiben zu lassen, um dann auf der anderen Seite wieder herauszukommen. Auch Wickie überquert so die Allee, na bitte, jetzt ist er doch noch mitgelaufen!
In einem Anfall von Wahnsinn reihe ich mich tatsächlich ganz vorne in den für mich vorgesehenen Block A ein. Will ich doch – endlich einmal - sub 56´ schaffen. Ich fühl mich topfit, wäre da nicht dieser blöde Magenkrampf letzte Woche beim langsamen (!) Dauerlauf gewesen. Aber ich weiß noch vom letzten Frauenlauf, dass der 1. Kilometer sehr mühsam vorangeht, weil diese Linkskurve zum Stadion sehr eng ist, und da wertvolle Zeit verloren geht.
Wickie grinst, weil er mir mein Vorhaben, nur einen Spaß-Lauf zu machen, jetzt nicht mehr abnimmt. Ich mir auch nicht mehr, die Wettkampf-Atmosphäre hat mich gepackt!
Es ist eine unglaubliche Stimmung, die von so vielen Frauen ausgeht, kein Vergleich zu den Männerfestspielen a la Marathons. Frauen-Power eben. Endlich einmal keine Männer rundherum, die sowieso schneller sind, endlich einmal Männer, die nur zuschauen! Das gibt was her.
Der Startschuss knallt, alle Frauen jubeln und klatschen und los geht es! Wickie ist irgendwohin nach vorne gegangen und ich komme schön weg. Ohne Bremserinnen lässt sich die Linkskurve gut nehmen und bald kommt der 1.Kilometer. 5:31, ups, das ist ein wenig zu schnell, aber passt, zurücknehmen kann ich immer noch. Es ist schwül und an der Biegung Richtung Lusthaus stehen hunderte von Männern, vereinzelt mit Kindern versehen und.........schauen! Stumm! Man könnte fast sagen: fassungslos. Keiner klatscht oder ruft etwas Aufmunterndes! Gespenstisch. Wickie seh ich auch nicht, naja, hab nicht viel Zeit zum Schauen, muss laufen!
Auf dem Gegenlaufbereich fällt mir auf, dass uns noch niemand entgegenkommt, weswegen ich meine Zeit nach oben korrigiere und Tempo rausnehme. Ich pendle mich bei 5:37 ein und bin mit mir und der Welt zufrieden. Zwar glaube ich, dass mir gleich mein Kopf explodiert, denn unter dem Käppchen wird es jetzt so richtig heiß.
Doch alles geht gut, bis ich bei KM 4 ein verräterisches Ziehen in der Magengegend spüre.“ Solange es nicht schlimmer wird, macht es nichts“, denke ich. Kaum gedacht, ist es auch schon zu spät: MAGENKRAMPF!!!! Und es kommt wie es kommen muss: ich sacke drastisch auf einen KM-Schnitt von 6:03 ab. Aus !!! Ich torkle an der Versorgung nach KM 5 vorbei und muss alle an mir vorbeilaufen lassen. Der einzige Grund, weswegen ich nicht gleich aufhöre, ist Wickie, der vor KM 6 auf mich wartet. So quäle ich mich weiter und überlege, wie ich ihm klarmache, dass ich aufhöre. So nebenbei bemerke ich eine Samba-Band, deren Musik hilft aber auch nicht gegen Schmerzen.
Jetzt ist auf einmal Stimmung, die Männer scheinen sich von ihrem Schock erholt zu haben und sind gemeinsam durch den Prater vom Start hierher gegangen.
Bald sehe ich Wickie auf der rechten Seite, endlich, er hat unsere knallrote Picknickdecke um einen Baum gewickelt und den Golf-Schirm aufgespannt, damit ich ihn ja sehe, weil ich ohne optische Brillen laufe. Doch ich winke ihm ab und gehe auf die Seite. Mein fassungsloser Betreuer flößt mir das Elektrolyt ein und redet auf mich ein wie auf ein krankes Huhn, mit Sprüchen, wie: aufgegeben wird ein Brief, und so....Gute 2 Minuten dauert mein Aufbäumen, dann hat er es geschafft, ich beginne wieder zu laufen.
Na gut, hol ich mir eben meine Jubiläums-Medaille! Die Pause scheint gut getan zu haben, ich beginne vorsichtig mit einem 6er-Schnitt, freue mich über die Live-Band bei Km 7 –später erfahre ich, dass Wickie am Rand mitgelaufen ist, um zu sehen, was ich mache- und finde das Laufen halbwegs erträglich. Die Musikbeschallung ist dieses Jahr besonders gut, nie hätte ich gedacht, dass das auch bei 10 km so wichtig sein kann.
Jetzt geht es am Riesenrad vorbei, bei KM 9 blicke ich nach langem wieder auf die Uhr: 54:16! Das könnte sich noch unter 60´ausgehen und eine vollkommene Blamage somit ein wenig abgewendet werden!
Also los! Auf der Hauptallee gebe ich Gas und überhole meine Mitläuferinnen nach und nach! Es geht super, kein Krampf, ich fühl voll die Power, die Stimmung entlang der Strecke steigt, die Zuschauer sind aus ihrem Koma erwacht.
Da, endlich, die Kurve zum Ziel, noch mal Gas geben und dann ab über die Mappen! 59:45, na bitte, das war knapp, aber zum Schluss eine Frage der Ehre!!
Erleichtert nehme ich die Medaille entgegen, die hab ich mir wirklich erkämpft! Ein Typ überreicht mir eine Rose, die, wie ich bald merke, ihren Kopf genauso hängen lässt wie ich.
Doch Wickie jubelt durch das Gitter und gratuliert zu meinem Finish. Eines ist klar: ohne meinen Coach hätte ich aufgegeben!
Und das nächste Mal laufe ich wieder Marathon, weil 10 Kilometer zu laufen ist viel anstrengender.
Eure Ylvie
