Autor Thema: 2014-05-04 Hamburg Marathon - susu  (Gelesen 2587 mal)

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« am: 04.05.2014, 00:00:00 »
Datum: 2014-05-04
Event: Hamburg Marathon
Distanz: 42.195 km

Ersteller: susu

Offline susu

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #1 am: 04.05.2014, 00:00:00 »
Zum ersten und zum letzten Mal

„Elektrisches Gefühl … und die Stimme dir mir sagt … heute wird ein guter Tag“, trällert mir die Sängerin von Juli ins Ohr. Ich bin erst kurz auf der Strecke, um meinen ersten Marathon hier in Hamburg zu meistern.

Noch vor wenigen Minuten stand ich im Startblock I, wo sich die Anfänger tummeln, wie mir ein Ersttäter, den ich im Startblock kennen lerne, freudestrahlend mitteilt. Er hält meinen Fußsensor irrtümlich für eine Art eines „anderen“ Chips. Pulsuhr? Nein, die hat er nicht. Ich schau mich um: Da hat echt keiner was am Schuh, auch kein Kastl am Arm. Nur ich stehe hier als vollverkabelter, vollhydrierter Kohlenhydrat-Knolli - und zwar in der ersten Reihe. Diese Pole-Position bringt trotz Blockabfertigung original Nüsse, denn wir laufen sofort auf die H-Gruppe auf. Als es dann über einen roten Teppich (!) geht, ignoriere ich das erst einmal. Denn wo keine rotbraune Pentek-Matte liegt, kann auch der Startpunkt nicht sein. Ich werde unsicher und frage die Läuferin neben mir, ob das schon die Matte war. Was sie fröhlich bejaht und so drücke ich erst jetzt den roten Knopf.

Den ersten Kilometer erlaufe ich eingezwängt in einer glücklichen Menschentraube ohne Zick-Zack-Kurs in geschätzten 6:02 anstatt 5:35. Ich nehme das recht entspannt zur Kenntnis, denn mein Auftrag hier lautet: „Nerven behalten“. Und das muss ich, denn seit zwei Wochen motzt mein rechter Oberschenkel. Ich leide in der Taper-Phase unter allerlei Symptomen, die man gemeinhin als „Hysteria marathoni“ zusammenfasst, aber das, was hier weh tut, ist „mehr“. Herumdoktern im Vorfeld bessert den Zustand ab Donnerstag, aber ich spüre den (leichten) Schmerz auch beim Einlaufen. Als ich die Startlinie passiere, ist - Hormone sei Dank - der Schmerz perdu.

Wichtig: Ich plane alle 7 km einmal mit und einmal ohne Musik zu laufen, denn komplett „ohne“ halte ich 42 km mental nicht durch, aber komplett „mit“ werde ich wohl auch wahnsinnig. Also 7 mit, 7 ohne usw. Ich schaffe das genau bis km 14, denn ich merke, dass ich ohne Musik genervt bin. Es ist von allem irgendwie zu viel - Masse. Und so "klinke" ich mich aus, nur mit den Kids an der Strecke klatsche ich ab. Ehrlich: Man sollte einen Marathon für „Eremiten, Egoisten und Egomanen, kurz "E3" etablieren, alle 500 m nur EIN Läufer, Zuschauer, die vorweg penibel gecastet werden. Wenn der E3 in Hamburg stattfindet, ist das sicher kein Schaden, denn hier wartet eine grüne Stadt mit viel Gewässer und reichlich schöner Gegend. Die Strecke ist wahrlich ein Traum!

Zurück zu km 2: Die Masse löst sich auf, ich versuche nun bis km 15 auf die geplanten 5:35 zu laufen. Ab km 15 – so der Plan – soll ich dann 10 km in Richtung 5:25 probieren. Obwohl es mir gut geht, traue ich dem Frieden nicht. Und so lautet die Devise: Zumindest nicht langsamer werden. Das geht ganz gut, denn musikalisch befinde ich mich in bester Begleitung mit den Stereophonics. Bei km 21 denke ich mir: „So, das Ganze nochmal von vorn“, was ab km 25 merklich schwerer fällt. Die Gels werden generalstabsmäßig alle 5 km eingeworfen, denn ich darf nicht sterben!
 
Apropos Sterben: Rechtzeitig in Ohlsdorf (hier befindet sich quasi der „Zentralfriedhof“ Hamburgs) beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Ich quetsche meine Sponsor-Zaubertinktur aus der Tube und zwar so überengagiert, dass auch mein linker Handschuh etwas davon abbekommt. Der gibt dann auch seinem rechten Kollegen einen Teil davon ab. Zeitgleich fällt mein MP3-Player aus, den ich entsetzt aus der Trikottasche ziehe. Was ist los? Nun sind auch Display und Power-Knopf klebrig. Nerven behalten! – und halt den Rest ohne Musik laufen. Kaum gedacht, schaltet sich das Ding plötzlich wieder ein.
Nun ist mir fast zu warm, die Finger kleben, also werfe ich erst mal meine Handschuhe weg. Und weil ich grad dabei bin, entledige ich mich auch meines grindigen Stirnbands. Es folgt leichte Entspannung bis km 32, nun kehrt der Schmerz zurück und kommt und geht, das vertraute Schmerzmuster eben, trotzdem weiterlaufen … Ich hab mal wo gelesen, dass man sich auf den Schmerz nicht konzentrieren soll, weil sich sonst der Schmerz ins Hirn einbrennt. Also konzentriere ich mich auf meine Zehen, blöd nur, dass auch die irgendwie krampfbereit sind. Ich spüre, dass ich jetzt die Wohlfühlzone verlasse. Rechtzeitig erreichen wir Eppendorf und das lenkt ab. Stimmung, Spaß, Action und ein Jedi-Ritter am Balkon, der sich weggroovt. Ungefähr hier blicke ich auf die Uhr und beginne zu rechnen … das könnte sich knapp ausgehen … oder auch nicht. Aber was tut das zur Sache, ich will nichts riskieren, es wird so oder so eine gute 4er-Zeit. Denn es ist nicht nur mein erster Marathon, sondern dieser Laufbewerb ist auch mein definitiv letzter.

Bei km 38 dreht sich mein rechter Fuß nach außen, das geschieht plötzlich von selbst. Kann man als watschelnder Donald laufen? Ja, man kann. Der Spuk ist nach wenigen Minuten wieder vorbei. Ich laufe jetzt auf Reserve, es zieht, es krampft leicht hier und da und dort, ich rede mir gut zu: „Locker bleiben, es sind nur noch gute 2 km. Ich weiß, dass noch ein Stück bergauf kommt, hoffentlich geht das noch gut. Ich sehe auf die Uhr, das wird arschknapp, wenn überhaupt, denn was weiß ich, wieviele Sekunden ich auf Grund des Anfangsfehlers im Plus bin.

Die Bee Gees haben eine Antwort, sie tirilieren gerade „You win again“. Damit fällt der Startschuss für alles oder nix. Am Ende des Steilstücks renne ich die letzten 400m in 4:36/km und damit um mein Leben. Jetzt weiß ich a) warum es auch 200er-Serien für einen Marathon braucht und dass b) das Jubeln der Masse, die ich nun urplötzlich liebe, doch sinnvoll ist. Die toben nämlich nur für mich und ich fühle mich total high.

Michael fragt mich im Ziel, welche Zeit ich gelaufen bin. Meine Antwort: „Ich weiß es nicht, entweder knapp drunter oder knapp drüber.“ Im Hotelzimmer erfahre ich durch unser Forum nicht nur, dass ein paar Foris vorzeitig gealtert sind (sorry!), sondern auch das Ergebnis! Mit Worten lässt sich meine Freude nicht beschreiben und so wird dieser Lauf ein wunderschöner Abschluss unter ca. 130 Events und 14 verletzungsfreie Jahre.

Fazit: Es war eine psychologisch interessante Erfahrung. Ich glaube, man kann auf einer langen Strecke gut üben, nicht gleich in Panik zu verfallen, sondern mit einem Widerstand/ mit einer Hürde mit zu fließen, anstatt sich dagegen zu „wehren“. Man muss irgendwie relaxed bleiben, weil man ja nicht wirklich weiß, was kommt. Den Hype rund um den Marathon, der vor zirka 10 Jahren die Massen erfasste, verstehe ich aber noch immer nicht. Die „Exklusivität“ dieser Strecke ist mir nicht nachvollziehbar. Denn jeder durchschnittlich begabte, gesunde Mensch, der gut vorbereitet ist, das Training ernst nimmt und sich im WK gut versorgt, kommt ganz sicher in sechs Stunden ins Ziel.

Offline Ulrich

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #2 am: 06.05.2014, 12:05:34 »
Susu, die Macht war mit Dir ;) Bravo! Danke, dass Du uns da hast teilhaben lassen
Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline heitzko

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #3 am: 06.05.2014, 12:21:03 »
Deine Coolness hätte ich gerne einmal während eines Marathons, Nerven behalten gelungen, Mission (mehr als nur) accomplished, bravo!

Offline ambergimwald

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #4 am: 06.05.2014, 12:33:41 »
Gratuliere, eine gelungene Premiere!

Und jetzt kommt wirklich garnichts mehr? schwer vorstellbar

Offline Naturhexerl

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #5 am: 06.05.2014, 12:47:14 »
Gratuliere susu! Was für ein Debüt! Bravo!
Aber was heißt Abschluss? Gar keine Wettkämpfe mehr?
"Du gewinnst an Stärke, Mut und Selbstvertrauen durch jede Erfahrung bei der du der Gefahr wirklich ins Gesicht siehst. Du musst das tun, wovon du denkst, dass du es nicht tun kannst." - Eleanor Roosevelt

Offline Pizzipeter

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #6 am: 06.05.2014, 13:21:43 »
Gratuliere zum Durchhalten mit super tollen Nerven, für die Zeit sowieso und natürlich für deinen Bericht!
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Offline Don Tango

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #7 am: 06.05.2014, 13:24:04 »
des läufers demut hilft im echten leben. und ohne dramen & problemchen wars sowieso kein echtes rennen! :)
super marathon, super bericht, super susu. quasi sususu :D


>> you'll never know, unless you go <<

Offline Diana11

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #8 am: 06.05.2014, 13:40:24 »
"Sprachlos vor Freude", was gibt's Schöneres für den ersten und letzten Marathon?
Gratuliere dir, Susanne, challenge bravourös gemeistert! Auch wenn's ein bissal Glück braucht, deinen Erfolg hast du dir hart erkämpt und er ist definitiv hochverdient . Ich freu' mich mit dir!
WETTKAMPFSCHWAMMERL
Shit happens! Mal bist du Taube, mal bist du Denkmal. (Dr. Eckhart von Hirschhausen)

Offline Richy

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #9 am: 06.05.2014, 14:06:11 »
Ich hab es erhofft.
Ich hab‘s dir vergönnt.
Und dann mitgelitten.
Super – dass du es geschafft hast.
Danke für den Bericht - sehr lesenswert.

Das mit dem letzten Lauf erinnert mich ein wenig an den Liesinger Lauf, die 5K. ;)
Finde neue Ziele – und in absehbarer Zeit  hört/liest man wieder davon.

Offline helga

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #10 am: 06.05.2014, 14:10:55 »
Toller Marathon, super Bericht, super Susu - freu mich für dich, hoffe du hast dir deinen Traum erfüllt, nicht aufhören mit dem Laufen, running is a wonderful time in life....
Der Weg, auf dem Sie Ihre Ziele erreichen, ist genauso individuell, wie Sie selbst. (Klaus Weiland)

Offline Selbstläufer

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #11 am: 06.05.2014, 14:41:45 »
Gut gemacht & schönes happy end. Bin natürlich auch neugierig welche Geschichte nun ihren Anfang nimmt. Auf dass die 14 Jahre aber jedenfalls weitergehen mögen, wie auch immer.
https://www.alexanderuitz.at/

Auf die Sprünge kommen
Massage wie Intervalltraining für den Körper

Offline JM

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #12 am: 06.05.2014, 19:08:58 »
Danke für den Bericht.
Aufhören  - haha, wie oft habe ich das schon gehört. Meist ist es erst der richtige Anfang ;-)
Demnach: Weiter so ! :-)
When your life flashes before your eyes, make sure you’ve got plenty to watch

Offline wobe

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #13 am: 06.05.2014, 19:18:00 »
Gratuliere!

Offline chribi

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2014-05-04 Hamburg Marathon - susu
« Antwort #14 am: 06.05.2014, 20:38:50 »
danke für den launigen bericht und nochmals gratulation. ich verzeih dir, dass ich um 10 jahre gealtert bin , hab jetzt wenigstens eine ausrede für berlin

 

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