Autor Thema: 2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl  (Gelesen 4222 mal)

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2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« am: 08.12.2022, 22:06:34 »
Datum: 2022-09-25
Event: BMW Berlin Marathon
Distanz: 42,195 km

Ersteller: cbendl

Offline cbendl

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #1 am: 08.12.2022, 22:18:37 »
Es war eigentlich ganz anders geplant: Am 27. August wollte ich (ebenfalls in Berlin) bei der 100-km-Weltmeisterschaft starten. Da ich aber nach 13 Jahren wieder einmal Lust auf den Berlin Marathon hatte (mit den 2.56:15 vom Linz Marathon im Oktober 2021 hatte ich auch das Limit für einen fixen Startplatz) und bei der 100 km Weltmeisterschaft immer die Gefahr einer Absage einkalkuliert werden musste (bei Ultralauf-Weltmeisterschaft grundsätzlich und in Corona-Zeiten umso mehr) und ich irgendwann einmal die 10 Teilnahmen für den Jubilee-Club erreichen wollte, hatte ich mich also im Dezember für den Marathon angemeldet. Ich wollte den Marathon also vier Wochen nach der WM locker als Mehr-oder-weniger-Trainingslauf laufen und fünf Wochen später in New York (dazu kommen wir noch) voll angreifen.
Das war also der Plan.
Es kam anders.
Im Frühling hatte ich ab Ostern Schmerzen im rechten Unterschenkel. Den Wien Marathon zog ich noch durch, aber dann wollte ich die Sache auskurieren. Was sich sehr langwierig gestaltete. Im Juni war immer noch kaum Laufen möglich und auch im Juli ging es nur kurz und mit Schmerzen. Ende Juli, als Martin Covid bekam, war ich sicher, mich auch angesteckt zu haben. Dem war nicht so, aber die Anspannung verschlechterte meine Verfassung noch weiter und so sagte ich, ca. vier Wochen vor dem WM-Termin, ab. Ich war zu dem Zeitpunkt einfach nicht in der Lage, ein Training nach Plan durchzuziehen. Manchmal hatte ich einen guten Tag und konnte laufen, dann wieder nicht – es war mir nervlich einfach zu aufreibend. Ein Lauf > 20 und ein Lauf > 25 km waren einfach kein Ultratraining. Meine Entscheidung wurde nicht gänzlich gutgeheißen, aber zu oft bin ich schon bei (großen) Bewerben angetreten, wo ich besser zu Hause im Bett hätte bleiben sollen, nur um irgendwen nicht zu enttäuschen. Und die Rechnung bekam ich natürlich regelmäßig sehr schnell präsentiert. Nein, diesmal wollte ich das nicht schon wieder.
Ab Mitte August wurde es dann besser. Da steckte aber auch viel Arbeit dahinter: Ein Mal die Woche Arzttermin mit Akupunktur, Laser, etc., ein Mal die Woche Physiotherapie, ein Mal die Woche Massage. Aber gut, ich wollte die Schmerzen ja loswerden. Meine Kilometerumfänge habe ich mir zum Glück nie angeschaut – erst jetzt. Da gab es eine (Urlaubs-)Woche mit 90,2 km, eine Woche mit 62,5 km – die anderen zwischen 51 und 58 km. Manchmal ist es gut, dass ich zu wenig Zeit habe und mir meine Trainingsaufzeichnungen nicht in der Übersicht anschauen kann.  ;D
Berlin kam näher, das Gefühl bei den Trainings – sowohl Tempotraining als auch lange Läufe im Wienerwald – wurde besser. Daher begann ich den Versuch, mich ein bisschen zu organisieren. Und entdeckte Schlimmes: Ich hatte mich für den Vienna Nightrun und für den Business Run angemeldet  :o Die waren beide in der Woche vor Berlin, Dienstag und Donnerstag (der Business Run war ursprünglich für den August geplant, aber wurde dann um ca. einen Monat verschoben – und ich hatte, da Berlin ohnehin nur ein "Jog" hätte werden sollen, einfach nicht genau geschaut). Oje. Schon angemeldet wollte ich dann auch nicht nicht starten.
Besprechung mit dem Trainer: Night Run schnell laufen ist OK, Business Run (da ich ohnehin in keinem schnellen Team war) WIRKLICH (!!) locker.
Gut.
Also erstmal der Nightrun. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf die Angst einzugehen – bei einem Fünfer nach drei Kilometer "liegenbleiben" ist ja wirklich nicht schön. So kam es, dass ich auf einmal im Ziel war und Reserven hatte. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir das bei einem kurzen Wettkampf zuletzt passiert ist! Und die Uhr zeigte aber eine Pace von 3:39 min/km (eigene Messung, offiziell 3:34, aber die Streckenlänge vom Nightrun, naja, lassen wir das ...). Das war (für mich) echt schnell! Mein zweitschnellster Nightrun (die beste Quelle für solche Analysen ist einfach immer noch die Forums-Ergebnisdatenbank, ich muss die Einträge wieder mal ergänzen ...).
Da begann es in meinem Kopf zu rattern ... Wenn ich auf einem "Fünfer" so schnell bin, obwohl ich diesmal wenig Tempo trainiert hatte, dann könnte das für den Marathon einiges versprechen. Der Vergleich zum Vorjahr: Da war ich drei Wochen vor dem Linz Marathon beim Frauenlauf 5er (AIMS vermessen) einen Schnitt von 3:46 gelaufen. Jetzt war es (am Ring auf welligerer Strecke) doch deutlich schneller. Und die Strecke in Berlin ist bekannterweise ja auch eher eine von den schnelleren  ;) (auf der Gegenseite stand, dass der Frauenlauf damals drei Wochen vor dem Marathon war, also noch im Aufbau, während ich jetzt schon am Ende des Trainings stand). Der Gedanke, dass ich auf einmal jetzt schon in Form sein könnte, machte sich wirklich plötzlich breit. Nach dem miserablen Sommer hatte ich eher gedacht "Wie gut, dass NY erst im November ist, bis dahin könnte sich ja ein ordentliches Training ausgehen ..." Also nach allen zur Verfügung stehenden Informationen sollte sich eine Zeit unter drei Stunden ausgehen. Im direkten Vergleich zu Linz sogar wohl eine 2:55er-Zeit – aber das kam mir schon SEHR mutig vor!
Zweites Oje bezüglich der Planung war, dass ich eigentlich am Freitag für eine entspannte Anreise frei nehmen wollte. Dienstag und Donnerstag Wettkämpfe, Freitag Abreise – irgendwann sollte ich ja auch packen und mich ausruhen. Aber nein: Die Aufsicht hatte sich für einen Besuch angekündigt und auch ich durfte Rede und Antwort stehen. Anstatt also Freitag Vormittag gemütlich anzugehen hieße es noch am Donnerstag nach dem Business Run meine Siebenzwetschgen einzupacken (Spoiler!! Diese Stelle wird noch wichtig, also gut aufpassen!  ;) ), Freitag ins Büro zu pilgern, dort eine hoffentlich gute Performance abzuliefern und dann gleich aus der Business-Einserpanier ins Reiseoutfit hüpfen und zum Bahnhof zu sausen. Immerhin war letzteres ein kurzer, unkomplizierter Weg.
Ahja, und der Business Run: Ich nahm mir zu Herzen, dass ich locker laufen sollte und den Wettkampf in einen Lauf von insgesamt einer Stunde packen sollte. "Locker" heißt also auch natürlich: Keine Wettkampfschuhe. Was macht frau also: "Welche Trainingsschuhe passen farblich gut zu meinem Outfit? Ahja, die LunarTrainer aus dem Praecambrium, die nehm' ich!" So weit, so gut – ich lief also, vorsichtig gestartet, immer bedacht nicht unter 4:00 zu kommen (was sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht schnell anfühlte). Trotzdem überholte ich auf der zweiten Hälfte ziemlich viele – Tempogefühl ist beim Business Run Mangelware. Beim Weiterlaufen spürte ich dann aber: Die Schuhe waren ziemlich brettlhart, das war nicht meine beste Idee. Aber gut, jetzt war es zu spät, bis zum Sonntag würde es hoffentlich gut werden (war es dann auch, aber am Donnerstag fühle es sich an, als wäre ich mit einer Eisenstange verprügelt worden). Danach am Team-Buffet noch ein Carboloading bei Lasagne und Kaiserschmarrn absolviert, dass die Kolleg*innen nur so in Staunen kamen und trotz "langsamen" Laufs den Preis für die "Schnellste Postlerin" eingeheimst und auch der Business Run war Geschichte.
Am Freitag ging alles glatt, sowohl am Vormittag dienstlich als auch zu Mittag logistisch auf dem Weg zum Bahnhof. Es war meine erste Fahrt nach Berlin mit der Bahn. Im Juli, zur Zeit katastrophaler Flugverspätungen und -ausfälle kam mir diese Idee in den Sinn. Das Öko-Gewissen plädierte auch stark für die Bahn-Variante. Und als ich sah, anders als man es vielleicht von früher gewöhnt ist, dass ein Flug mehr als vier mal so viel kosten würde (!!) war die Entscheidung klar. Weil damals dachte ich ja auch noch: Berlin wird ja eh nur ein Spaßlauf, also probier doch mal die Bahn aus.  ;) (Oldies im Forum erinnern sich vielleicht an einen Bericht von Tina zum Frankfurt Marathon, den sie ja auch nur zum Spaß laufen wollte.)
Die Bahnfahrt war ganz OK, es gab nur einen wirklich verwirrenden Punkt: Ca. einen Monat vor der Reise bekam ich die Benachrichtigung, dass sich der Fahrplan geändert hätte. Gut, kann vorkommen. Nur waren die beiden Zeitpläne identisch – bis vor Berlin. Dann auf einmal gab es ein zeitliches Loch von ca. einer halben Stunde. Was machen wir? Stehen wir da einfach herum? Aber egal, ich konnte es eh nicht ändern. Im Zug wurde dann aber wieder der ursprüngliche, schnellere, Plan angezeigt. Ich freute mich. 21:58 oder 22:26 anzukommen macht doch einen Unterschied. Als wir dann aber zum zweiten Mal in "Berlin Ostkreuz" (das noch dazu, um die Verwirrung zu steigern, als "Berlin Ostbahnhof" angesagt wurde), hielten, machte sch Nervosität breit. Was war los? Waren wir im Kreis gefahren? Ja, waren wir vermutlich. Wie ich später aufgeklärt wurde, kamen an dem Tag so viele Züge in Berlin an, dass teilweise Extraschleifen nötig wurden.
Kurz vor 23:00 war ich dann aber endlich in meinem Hotel! Die Bahnfahrt war nicht schlecht, aber doch auch anstrengend. Wie ich es beim nächsten Mal machen werde? Noch keine Ahnung. Aber hoffentlich zumindest mit weniger Stress in der Woche davor.
Der Plan für Samstag war eigentlich nur: Laufen gehen, Startnummer Abholen, Essen. Ausruhen. VIEL Ausruhen!!
Der Wecker ging um 07:20 los und ich lief Richtung Tempelhof zum Frühstückslauf. Am Plan stand "40 Minuten locker laufen mit 4 x beschleunigen". Gut, Tempelhof war nur ca. 7 km entfernt, aber mit dem ca. 5 km Frühstückslauf in (wie ich dachte und von früher kannte) 6:00 oder langsamer würde es schon hinkommen. Ich kam also am Flugfeld an und der Tross setzte sich auch schon in Bewegung. Die Runde über das Flugfeld war nett, aber die frühre Strecke vom Schloss Charlottenburg zum Olympiastadion fand ich schöner. Aber wie war das mit dem Tempo? Sechserschnitt oder langsamer? In 4:48 wetzten sie dahin, schneller als ich davor alleine! Aber gut, dann ist es schneller wieder erledigt und ich bin schneller beim Frühstück (und dann beim zweiten Frühstück). Wieder zurück beim Start gab es Krapfen / Berliner / Pfannkuchen (so sollten es alle verstehen  ;) ) und Laugenbrezel. Laugenbrezel sind super!! Nicht so süß! Da geht genug rein und das Carboloading wird fortgesetzt.  :)
Nach dem Lauf ging es zurück zum Hotel um dort gleich weiterzufrühstücken. Damit war das Carboloading wirklich weitgehend abgeschlossen. Startnummer abholen musste ich noch. Das wollte ich nicht gleich in der Früh beim Frühstückslauf erledigen, weil ich ja auch noch in Ruhe schauen wollte, was die Marathonmesse zu bieten hätte. Vorher legte ich mich aber noch ins Bett, um jetzt endlich mal zur Ruhe zu kommen.
Mittags dann zur Startnummernabholung. Dort war alles bestens organisiert. Beim Eingang Ausweis- und Anmeldebestätigungskontrolle, dann gab es das Armband, das den Zutritt zu Startnummernabholung und später auch Start ermöglichte. Die Expo war eher mau, vielleicht lag es aber auch an meiner Erschöpfung, dass ich nicht sonderlich shoppingmotiviert war. Also gleich zur Startnummernabholung. Anmeldebestätigung und Ausweis hergezeigt, der Typ am Schalter scannt und tippt und auf einem kleinen Bildschirm scheinen meine Daten auf. "Stimmt alles mit den Daten?" Name OK, Geburtsdatum OK – Chipnummer?!? DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN!!! "Oh!" "Stimmt etwas nicht mit den Daten?" "Doch, alles stimmt. Aber ich habe meinen Chip nicht mit." Oh nein ... Und es lief schon Kopfkino ab, wie ich es OFT bei der VCM-Messe gesehen hatte: Der Schalter für Leihchips hatte Schlangen bis gefühlt zum Halleneingang hinaus und: Cash only. Was ich natürlich, wie meistens, nicht hatte. Also sicher mindestens einen Kilometer bis zum nächsten Bankomaten hatschen (und wieder retour) – und dabei war ich doch schon so erledigt! Tja, da hilft dir jetzt leider niemand ... "Ich brauche bittet einen Leihchip. Wo bekomme ich den?" "Dort gleich hinten" Erster Glücksmoment: Keine Schlange bis nach Brandenburg – nur zwei Leute angestellt! Und: "Kann ich auch mit Karte zahlen?" "Ja, kein Problem." ICH LIEBE MEINEN SCC!!!  :-* Ich war mir ja beim Packen zwar sicher, dass auch bei Berlin der Chip in die Startnummer integriert wäre, wollte aber (sicher ist sicher) meinen Pentek-Chip doch mitnehmen. Nur irgendwie hatte ich es dann Donnerstag spät abends doch vergessen. :(
Dann also zum Troubledesk, mein Anliegen erklärt: Alles OK mit meiner Anmeldung, ich brauche nur einen Leihchip. Die Frau am Schalter war von meinem unkomplizierten Anliegen etwas verwirrt, so dass es dann doch wieder etwas kompliziert war. Und ich immer erledigter und erledigter. Als ich dann Startnummer und Chip hatte, wollte ich nichts wie weg und ins Bett (Spoiler!! Auch diese Stelle wird noch wichtig, also auch hier gut aufpassen  ;) )
Zurück im Hotel wollte ich noch erstmal meine Sachen für den Lauf herrichten und mich dann ins Bett legen. Schuhe, Socken, Top, Wegwerfgewand für vor dem Start, Gels, Maske, Startnummer ... STARTNUMMER!!! Die war ja da, aber was mache ich mit ihr? Auf der Nase balancieren? ICH HABE DIE SICHERHEITSNADELN VERGESSEN!!! Beim "normalen" Startnummernabholschalter hatte ich sie noch gesehen und wollte sie nehmen aber dann durch den Chip-Stress hatte ich ganz darauf vergessen. OH NEIN!! Ich hatte auch sonst nirgendwo welche eingesteckt. Natürlich lassen sich Sicherheitsnadeln irgendwo auftreiben, aber Berlin ist bekanntlich eine große Stadt und ich war eh schon so geschlaucht. :( Da war mein Optimismus vom Dienstag / Mittwoch dahin und ich lag völlig fertig im Bett und hatte nur einen Gedanken: "Ich sollte mich am besten betrinken und morgen gar nicht starten!" Die Messe hatte zwar noch offen, aber die Fahrt dorthin und dann noch bis ganz zum Ende des Geländes marschieren wollte ich mir nicht NOCH EINMAL antun, nur um Sicherheitsnadeln zu holen. Im Hotel gab es keine, das Housekeeping hatte seinen Dienst schon beendet "Morgen früh sollten sie wieder da sein und dann sollte es Sicherheitsnadeln geben". Aber auf "sollte" am Marathonmorgen wollte ich mich lieber nicht einlassen. So funkte ich also andere, von denen ich wusste, dass sie auch in Berlin wären, an, fragte nach ihren Koordinaten und ob sie Nadeln hätten. Ja, Nadeln waren vorhanden und Josef war ohnehin noch unterwegs, so konnte ich mich mit ihm auf halbem Wege treffen und bekam gleich zwei Sets Nadeln. VIELEN DANK, Josef!! Seither ist ein Bündel Sicherheitsnadeln in meiner Reisegeldbörse und ihr glaubt gar nicht, wie viele Nadeln ich dann in Linz und New York mithatte.  ;)
Das war dann aber wirklich genug an Abenteuer! Ich verschickte zum Vier-, Sechs- und Achtaugencheck noch Fotos von meinen vorbereiteten Sachen: Alle waren der Meinung, das sah jetzt komplett aus. Den Rest vom Samstag verbrachte ich dann aber wirklich lesend und schlafend im Bett!
Sonntag war ca. 06:45 Tagwache. Früh, aber nicht extrem früh. Und ich fühlte mich endlich gut! Das Stress der vergangenen Woche und die "Dramen" vom Samstag waren vorbei, jetzt war Fokus auf den Lauf. Mein übliches Frühstück – Semmeln mit Honig und (viel!) schwarzer Tee. Und dann ging es auch schon los. Die S-Bahn schaukelte langsam Richtung Hauptbahnhof – gerade recht um noch ein bisschen zu dösen und zu denken, dass es im Bett jetzt doch eigentlich viel netter wäre. Aber Laufen ist ja auch schön.  :)
Hinein ins Startgelände, wieder Kontrolle des Armbandes. Ich war eigentlich ziemlich früh dort. Aus der Vergangenheit hatte ich ärgeres Gedränge und Geschiebe in Erinnerung durch das man viel länger brauchte, bis man wirklich am Bestimmungsort war. Aber gut, das Wetter war in Ordnung (für's Laufen sogar sehr in Ordnung) und ich hatte eine alte Trainingshose, ein Kurzarmshirt und einen Plastikponcho, also frieren musste ich nicht.
Ortskundig war mein Plan, mich wieder in der linken Fahrspur einzuordnen, da dort weniger Gedränge ist. Also peilte ich den hintersten Startblock an, um durch diesen hindurch- und auf der linken Seite bis zu meinem nach vorne zu gehen. Beim ersten Versuch ließen sie mich (strenge Startblockkontrolle!) nicht durch ("Sie müssen noch weiter nach vorne"), aber beim zweithintersten Block konnte ich unbemerkt hinein (und links wieder hinaus). Merken: Beim nächsten Mal einfach sagen "Ich begleite meine*n Freund*in (auf beliebige Person mit hinterstem Startblock zeigen) und daher starten wir beide in diesem Startblock" oder "Ich habe nicht gut trainiert und möchte von weiter hinten starten" – dann sollt es jedenfalls klappen. Links war es zum Aufwärmen etwas eng, aber für einen Marathon gut genug Wir waren hier ja nicht bei einem 3000 oder 5000 m Rennen.
Bei den Starts von Handbiker Elite, Rollstuhl und Handbiker, alle zu "Sirius" war schon echtes Gänsehautgefühl da! Dann waren wir dran. Zuerst die Vorstellung der Elite. Da ich nicht weit dahinter war (Startblock B, der für Zeiten ab 2:42 vorgesehen war) bekam ich alles deutlich mit. Was für eine Stimmung lag da in der Luft! Alle wussten: Eliud hat etwas vor! Und die Bedingungen waren ausgezeichnet! Heute kann ein ganz großer Tag werden. Diese Anspannung war einfach ansteckend und ich (und wie mir schien, auch alle um mich herum) war in meinem Marathontunnel. Und dann ging es auch für uns los. Ich muss das jetzt einfach noch einmal hören: (aber auf der Straße des 17. Juni aus den richtig mächtigen Lautsprechern klingt es einfach viiiieeel besser!)
Was hatte ich vor? Aus meiner Herumrechnerei und Vergleichen mit Linz hatte ich mich auf eine Pace von 4:10 eingestellt (und das beim Business Run auf die Frage, was denn meine Marathonpace wäre auch so gesagt – im nächsten Moment war ich über diese Aussage selbst geschockt  :o ) Die 4:10 wollten bloß nicht so ganz klappen ... Erster km in 4:07 – na gut, 4:07 ist auch nicht so arg schnell, du fühlst dich ja jetzt gut, das passt schon. Zweiter km in 4:10 – ja, so ist das gut, das ist genau der Plan. 4:05 – 4:06 – 4:04 – 4:07 – alles OK, das passt schon, einfach so um die 4:06 herum (auf einmal war 4:06 meine Referenzzeit, die sich im Kopf festgesetzt hatte – keine Ahnung, woher das kam, aber so falsch war es letztendlich gar nicht). Dann ein paar Marken übersehen, drei km in 12:17 – auch alles fein. Dann aber verlor ich ein bisschen (oder ein bisschen sehr) die Kontrolle über das, was sich abspielte. Es ging in 4:04 – 4:03 – 4:00 – 4:06 – 4:08 – 4:02 – 3:55 – 4:02 – 4:01 – 3:58 – 4:05 – 3:59 weiter (ob alle Tafeln ganz exakt gestanden sind, kann ich nicht sagen, und auch in Berlin gibt es leichte Steigungen und Bergabstücke). Halbmarathon in 1:25:41 absolviert und als langsamster Kilometer im 2. Viertel eine 4:08. Das kann nicht gut gehen, denn dass ich keine 2:50~51 drauf hätte, war mir klar. Aber Bremsen war so schwer! Dabei war es schon zu diesem Zeitpunkt nicht komplett mühelos. Die Beine waren in Ordnung, aber ich war ständig extrem durstig, die Labestationen waren nicht ideal organisiert (Helfer*innen, die im letzten Moment ihre Becher wegzogen und ich ins Leere griff), so dass ich nie genug zu trinken bekam und heiß war mir außerdem. Bei einer Temperatur von (angeblich) 14°C zwar merkwürdig, aber so war es eben. Ich steuerte jeden Wassersprüher an, aber bei Optimaltemperaturen gab es davon klarerweise nicht viele.
Die folgenden Kilometer immer noch zu schnell, vor allem, da es jetzt bis zum Wilden Eber bei ca. km 28 leicht anstieg: 4:01 – 4:04 – 4:01 – 4:04 – 4:01 – 4:01 – 4:10.
Wilder Eber geschafft! Die Stimmung dort, wie immer, großartig! Es war echt motivierend und mitreißend. Mein Name stand gut lesbar auf meiner Startnummer – namentlich angesprochen und angefeuert zu werden ist einfach viel intensiver als einfach nur "Schreierei".
Mein Mantra vom letzten Berlin Marathon (2009, lang lang ist's her, aber an Vieles erinnere ich mich noch gut): Du musst nur 28 km laufen, ab dem Wilden Eber geht es bergab! Das Gefälle ist immer noch das gleiche, aber so ganz ohne war das letzte Drittel dann doch nicht.  ;) Ab dem kleinen "Gipfel" wurde ich tatsächlich wieder schneller: 4:01 – 3:56 – 4:05 – 3:57 – 4:01. Die Splits waren noch gut, aber ich spürte schon, dass ich jetzt langsam (oder schnell) an meine Grenzen kommen würde.
hippocampus abdominalis

Offline cbendl

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #2 am: 08.12.2022, 22:18:50 »
In der Hoffnung, mich noch ein kleines Stück "drüberretten" zu können, nahm ich schon bei km 34 und nicht erst bei 35 mein 3. Gel. Es half, aber Wunder bewirken konnte es halt doch keine.  ;) Ich war schon ziemlich am Ende. Km 34 in 4:10 (oder schneller, ab da waren dann einige Schilder recht seltsam platziert, km 35 in 4:04 (es ging ja doch noch!) aber dann: 4:08 (oder schneller, GPS meint 4:03) – 4:09 (eher langsamer, GPS meint 4:13, was auch eher meinem Gefühl entsprach) – zwei Kilometer in 7:59 (nie!!im!!Leben!!! Laut GPS 4:06) – 4:34 (so falsch stehende Tafeln bei km 40 sind eine Gemeinheit!! GPS meint 4:15). Aber was die hier teilweise falsch stehenden Tafeln anbelangte: Irgendwie war mir zu dem Zeitpunkt schon alles ziemlich wurscht. OK, nicht alles – das Gesamtergebnis nicht. Ich wusste, dass, sofern ich ins Ziel komme, die Zeit jedenfalls unter drei Sunden sein würde, und das war mir auch mal am wichtigsten. Sollte ich auf den letzten 6,2 km einen Fünferschnitt (diese Rechnung geht immer!  ;) – außer es sind Meilen im Spiel ...) laufen, sogar eine 2:57er-Zeit. Es würde also bestimmt ein gutes Ergebnis werden. Ob da jetzt die eine oder andere Tafel falsch stand, täte nichts zu Sache. Einfach laufen, so gut es ging. Wobei das nicht mehr sehr gut war ... Die Oberschenkel waren schon Blei, es fiel mir schwer sie zu heben. Und bei ca. km 40 begann auch so eine Art Seitenstechen. Rechts vorne, direkt unter dem Rippenbogen. Ich versuchte es mit Gegendruck ruhig zu halten – naja, so einigermaßen gelang es, aber richtig tief durchatmen, wie es normaleweise auf den letzten zwei Kilometern nötig ist, war nicht ganz möglich. Aber was geht, das geht, bloß nicht nachlassen.
Die letzten paar Kurven von der Leipziger Straße – Jerusalemer Straße – Mohrenstraße – Markgrafenstraße – Franzstraße – Glinkastraße bis ich endlich Unter den Linden war, waren mühsam. Geradeaus ging ja noch irgendwie, aber zum Kurvenlaufen fehlte mir echt die Kraft! Immerhin hörte ich ziemlich genau beim 40er eine Berliner Stimme mich deutlich anfeuern. Das gab Auftrieb! Eine Kollegin aus meiner Asics-Zeit, die mich in der Menge identifiziert hatte. Zu diesem Zeitpunkt war mein Sehsinn nur mehr auf die Strecke, genau gesagt, die paar Meter vor mir, fokussiert, aber immerhin gehört hatte ich sie. Km 41 war in 4:16 (GPS meint eher 4:20, aber egal – es war nicht!mehr!weit!) absolviert.
41,xx und endlich Unter den Linden!! Ab da ist es zwar immer noch ein schönes Stück, aber trotzdem ist das Ziel langsam greifbar. Und hörbar!  :) Pariser Platz, Brandenburger Tor – welchen Durchgang nehme ich? Bloß keine Umwege, jeder Zentimeter kann kritisch werden. Brandenburger Tor, ab dort nach meiner Erinnerung (die stimmen dürfte) noch ca. 400 Meter. jetzt ist es Zeit, alles zu geben. Ich war mir in diesem Moment nicht mehr sicher, ob ich es tatsächlich ins Ziel schaffen würde oder nicht vielleicht vorher zu Boden gehen. Aber die Entscheidung, was mir lieber wäre, war in dem Moment klar.  :o Dann die 42er-Marke und der Versuch, etwas auf meiner Uhr abzulesen und daraus Schlüsse zu ziehen: Wie durch einen Schleier verschwommen (ganz bei mir war ich wirklich nicht mehr  :o ) las ich dort 2:51:17 Ich wusste: Für die letzten 195 Meter brauche ich +/– je nach meiner Verfassung ca. 45 Sekunden. Wenn ich jetzt allesallesalles rausquetsche, das ich habe, könnte ich es vielleicht noch unter 2:52 schaffen!! Also drückte ich an und versuchte allesallesalles rauszuquetschen, was ich hatte. Die Fotos von meinem Zieleinlauf unterstreichen das.  ;)
Ziellinie! Uhr stoppen! Jubelpose schaffte ich nicht, obwohl mir durchaus zu jubeln war. Das innerliche Jubeln musste reichen, schließlich ging es mir um Zehntelsekunden. Was sagt die Uhr? 2:51:59 (offiziell dann 2:51:58). Jaaaa! Ich habe es geschafft! Sogar unter 2:52!Ich hielt mich am Zaun an und lehnte mich dagegen. Die Helferin verstand mich, ganz kurz stehenbleiben war auch kein Problem. Ich war überwältigt und wusste nicht, was ich jetzt sagen oder tun (oder auch nicht sagen oder tun) sollte. Ich war gleichzeitig voller Emotionen und auch völlig leer. Was ich dann sagte war "So ein Sch...jahr bisher und dann so ein Marathon!" Etwas merkwürdig, aber etwas Besseres fiel mir einfach nicht ein.
Ich dachte, es müssten Freudentränen kommen, aber sie kamen nicht wirklich. Der Ausgang aus dem Zielgelände war, wie meistens, recht prosaisch. Wie so oft übersah ich die ersten dünnen Wärmefolien (aber die Ponchos, die es später gab, entdeckte ich, da war ich allerdings schon ganz eingefroren). Ich holte mir also Bananen, später ein alkoholfreies Bier und noch eines. Ich fror zwar noch weiter ein, aber irgendetwas Essen und trinken wollte ich und der Weg ins Hotel war doch noch weit. Während der ganzen Zeit hatte ich nichts zu sagen, aber die anderen, die auch halb frierend an ihren Bieren nuckelten, grinsten genauso wie ich und irgendwie verstanden wir uns ja doch.  :) Die Zahlen:
2:51:58 netto
2:52:16 brutto - das ist nach wie vor österreichische Jahresbestleistung
Rang 82
Altersklasse W-45 Rang 3
1. HM 1:25:41
2. HM 1:26:18 – dann war das ja eh gar nicht sooo schlimm.
Und es war mein zweitschnellster Marathon. Mit 46. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich sehr dankbar.
Wäre es besser gegangen? Vielleicht. Den Mittelteil etwas vorsichtiger wäre nicht schlecht gewesen, aber der Unterschied im Gesamtergebnis wäre vermutlich nicht so extrem gewesen. Eine 2:50er-Zeit hätte es vermutlich auch nicht gebracht.
« Letzte Änderung: 08.12.2022, 22:24:43 von cbendl »
hippocampus abdominalis

Offline Lemonhead1978

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #3 am: 09.12.2022, 10:58:43 »
Cooler Bericht. Und so lang, dass er meine ganze Fahrt im 26a versüßt hat. Gratulation noch mal für diesen tollen Lauf! Wie immer nicht nachvollziehbar für mich, wie das geht :-)

Offline cbendl

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« Antwort #4 am: 09.12.2022, 11:21:03 »
Und so lang, dass er meine ganze Fahrt im 26a versüßt hat.


Wie viele Runden hast du gedreht?  ;D
hippocampus abdominalis

Offline Ulrich

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #5 am: 09.12.2022, 11:51:15 »
Carola, Du bist  :applaus_klatsch: :applaus_klatsch: :applaus_klatsch: großartig.........als Schreiberin




ok, auch als  :running:
Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline Lemonhead1978

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #6 am: 09.12.2022, 12:34:26 »
Und so lang, dass er meine ganze Fahrt im 26a versüßt hat.
Wie viele Runden hast du gedreht?  ;D


Gar keine - die Fahrt von Groß-Enzersdorf zur U-Bahn dauert lang genug! :-)

Offline Anna

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #7 am: 10.12.2022, 13:46:18 »
Deine Endzeit ist sensationell!  :welle1: Was mich auch sehr beeindruckt ist, wie schnell du wieder so leistungsfähig bist.
Um in Zukunft unliebsames Fehlen von Laufzubehör vor Wettkämpfen zu vermeiden wäre ein Laufuhrgadget, das ähnlich wie der selbst nachbestellende Kühlschrank funktioniert -  hilfreich ;) .

Offline cbendl

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #8 am: 10.12.2022, 15:37:29 »
Deine Endzeit ist sensationell!  :welle1: Was mich auch sehr beeindruckt ist, wie schnell du wieder so leistungsfähig bist.
Um in Zukunft unliebsames Fehlen von Laufzubehör vor Wettkämpfen zu vermeiden wäre ein Laufuhrgadget, das ähnlich wie der selbst nachbestellende Kühlschrank funktioniert -  hilfreich ;) .
Danke für die Glückwünsche! Was die Zeit anbelangt, war ich selbst wirklich überrascht. Wie gesagt, eine 2:55er-Zeit habe ich mir schon zugetraut - aber vier Minuten schneller ist halt schon eine ordentliche Größe. Interessant auch, dass es der Körper irgendwie gespürt hat, dass mehr drin ist, weil ich bin ja in diesem Bereich angelaufen und Splits von über 4:10 hate ich dann kaum.
Was das Chip-Vergessen anbelangt, so wird sich dieses Problem möglicherweise von selbst bald löaen. Mika-Timing hat die Einstellung der gelben Championchips mit Ende 2023 angekündigt. Ich nehme an, andere Zeitnehmer werden folgen.
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Offline heitzko

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Antw:2022-09-25 BMW Berlin Marathon - cbendl
« Antwort #9 am: 11.12.2022, 11:39:17 »

Und es war mein zweitschnellster Marathon. Mit 46. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich sehr dankbar.
einfach der wahnsinn! was du so "zusammenläufst" ist schlicht und einfach einfach phänomenal  :good: !

 

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